Damals wurde nämlich am Ortsrand ein Metallwerk gegründet, das sich mittlerweile zu einem der größten Arbeitgeber der Region entwickelt hat. Auch der Onkel und der Albert waren vor ihrer Pensionierung dort tätig.
„Was hat der Birnbacher bloß mit ‚Russen‘ gemeint?“, grübelt der Albert tags drauf im Gastgarten vom Egger-Wirt. Stammtisch ist heute nicht, er hat den Onkel Franz um ein außerordentliches Treffen gebeten. Der hat die Ereignisse des Vorabends eigentlich schon wieder ad acta gelegt, und zwar unter „G“ wie „Geht mich nix an“. Ganz anders sein Spezi. Von Natur aus neugierig und in seinem Pensionisten-Alltag anscheinend nicht ausgelastet, lässt ihm die Sache keine Ruhe.
„Vielleicht was zum Essen?“, schlägt der Onkel eher scherzhaft vor.
„Wie bitte, was meinst?“
„Na, einen Russen halt. Einen Gabelroller. Rollmops sagen d’ Preussen.“
„Glaubst?“, zieht der Albert den Vorschlag ernsthaft in Betracht und geht weiter darauf ein. „Ja, warum nicht, das könnt sein. Dass sie vielleicht sowas auf die Karte setzen wollt, er war dagegen. Oder, anders: ‚Supermarkt‘ und ‚verkaufen‘ hat er ja auch gesagt, gell. Dann war er wahrscheinlich dagegen, dass man die Russen im Supermarkt kauft, im Glasl, wo man doch nur Eigenproduziertes verkaufen darf als Mostschänke und …“
„Geh, so ein Blödsinn“, unterbricht ihn der Onkel Franz in seinem Wortschwall, „wegen so was streitet man sich doch nicht derartig. Und außerdem geht’s uns nix an. Aber ist trotzdem eine gute Idee.“
„Was?“
„Na, so ein Russ’. So einen bestell ich mir jetzt, der richt’ den Magen wieder ein, heißt’s.“
Nachdem die Resi diese Bestellung aufgenommen hat – der Albert hat sich angeschlossen – betritt ein neuer Gast den Biergarten. Er grüßt freundlich, man kennt sich. Es ist der Hausleitner Thomas, Gruppeninspektor der örtlichen Polizeiwache. Allseits beliebt, weil nicht besonders streng in der Auslegung der Gesetze. Gemütlich halt. Ähnlich flexibel ist auch sein Zugang zur dienstlichen Verschwiegenheit. Diese Richtlinie hat der Hausleitner schon immer eher für einen Vorschlag gehalten. Er nimmt am Nebentisch Platz und bestellt sich ein Seiterl Bier. Prostet den beiden Freunden zu und sagt: „So, das brauch ich jetzt. Den ganzen Vormittag hat mich der Mostbauer sekkiert wegen seiner Frau.“
Der Albert spitzt die Ohren. „Mostbauer? Welcher? Der Birnbacher?“
„Ja, genau, der. Eine Vermisstenanzeige wollt er aufgeben. Weil sie verschwunden wär, seine Gattin. Wann, hab ich g’fragt. Sagt er: Letzte Nacht. Sag ich: Wird halt bei einer Freundin sein oder sonst wo. Er soll morgen wieder kommen, wenn’s dann immer noch nicht da ist. Morgen hab ich nämlich keinen Dienst, verstehst?“
Dabei zwinkert er dem Onkel Franz zu. Nach einem Schluck Bier berichtet er weiter.
„Der Birnbacher aber gibt keine Ruh. Sagt, er glaubt, es wär ihr was passiert, sie war noch nie weg. Frag ich: Habt’s vielleicht gestritten, dass sie deshalb weg ist? Gestritten, meint er drauf, hätten s’ noch nie. Kein einziges böses Wort, sowas käm bei ihnen nicht vor. Drum wär er ja so beunruhigt. Bis zu meinem Dienstschluss hat mich der genervt, dann hab ich an einen Kollegen übergeben, soll sich der jetzt damit plagen.“
Bei den letzten Sätzen des Polizisten schauen sich der Albert und der Onkel bedeutungsvoll an.
Dem Albert kann man an den Augen ablesen, dass er drauf und dran ist, von ihrer gestrigen Beobachtung zu erzählen. Der Onkel hindert ihn allerdings daran, indem er ihn scharf anschaut und unterm Tisch auf den Fuß tritt. Er hat nämlich keine Lust, in irgendeiner Form an der Sache teilzuhaben. Es kostet einiges an nonverbaler Überredungskunst, den Albert im Zaum zu halten, bis der Polizist sich wieder verabschiedet. Doch der Onkel Franz schafft es. Kaum sind die beiden aber wieder allein, platzt es aus seinem Spezi heraus.
„Franzl, da ist was faul! Von wegen nicht streiten. Da ist was passiert, glaub’s mir. Das hätten wir dem Hausleitner sagen müssen.“
„Ah, woher. Was soll denn passiert sein. Die kommt schon wieder, wirst sehen. Und noch einmal, Albert, das geht uns nix an.“
Als die Resi dann etwas später auch bei den beiden abkassiert, zeigt sich, dass einer altgedienten Kellnerin wie ihr grundsätzlich nichts entgeht, was sich in ihrem Revier abspielt. Nachdem sie sich – wie üblich – mit Block und Stift zu den beiden gesetzt hat, trägt sie nämlich ganz nebenbei das Ihre zum Thema bei.
„Also, wenn mich wer fragt, davong’laufen is’ ihm, die Birnbacherin! Aber gar nicht so weit weg, könnt ich mir vorstellen.“
Auf die Nachfrage vom Onkel Franz, wie denn das zu verstehen sei, beginnt sie mit einem ausführlichen Bericht über das Vorleben der Verschwundenen.
3
„Sag, musst du jetzt essen?“ Der Albert schüttelt den Kopf, während er mit einem Stofftaschentuch die Linsen seines Feldstechers putzt. Nach der polizeilichen Information über das, wie er sich ausdrückt, „mysteriöse“ Verschwinden der Mostbäuerin und der Mutmaßung der Resi, dass sie vielleicht noch ganz in der Nähe, nämlich wieder bei ihrem ersten Mann, sein könnte, hat der Albert zwei Tage lang keine Ruhe gegeben. Ist dem Onkel Franz so lange damit in den Ohren gelegen, bis der schließlich nachgegeben hat. Und so haben die beiden nun gerade ihren Beobachtungsposten im Buchenwald hinterm Hof vom Haslinger bezogen. Der Onkel hält noch immer nichts von der Sache. Obwohl, wenn er der Typ wäre, etwas zuzugeben – was er nicht ist – müsste er jetzt schon einräumen, dass er mittlerweile auch ein bisserl neugierig geworden ist.
Er erachtet halt dieses Indianerspielen hier im Wald als eigentlich nicht mit der Würde seiner Person und seines Alters vereinbar, aber was soll’s. Zumindest eine Jause nehm ich mir mit, hat er sich gedacht und sich vorher noch beim Metzger seines Vertrauens eine frisch angemachte Essigwurscht ins mitgebrachte Tupper-Doserl abfüllen lassen. Eine Scheibe Brot sowie ein gut gekühltes Flascherl Bier hat er von zu Hause mitgebracht, nur auf eine Gabel hat er vergessen. Muss es halt sein Schweizermesser tun, das hat er sowieso immer bei sich.
Der Albert hat sich da schon besser auf die abendliche Aktion vorbereitet. Fernglas, Notizblock nebst Kugelschreiber und sein Smartphone packt er aus. Ein Geschenk seiner Frau, von letztem Weihnachten. Seither geht er dem Onkel damit auf die Nerven, vor allem die Foto-App hat es ihm angetan. Mit deren Hilfe macht er jetzt Testaufnahmen, um den günstigsten Winkel für seine Beweisfotos herauszufinden, wie er sagt.
„Jetzt tu einmal dein blödes Telefon weg, was glaubst denn, gibt’s da heut zum Fotografieren?“
„Jetzt lass mich, am Stammtisch hast mir’s eh verboten, da werd ich doch wenigstens jetzt …“
Weiter kommt der Albert nicht, denn er wird von einem dröhnenden Motorengeräusch unterbrochen.
„Was ist jetzt das?“
Der Onkel Franz hätte sich beinahe verschluckt, so laut ist der Achtzylinder, der gerade beim Haslinger auf den Hof fährt.
„Pontiac Firebird. Trans Am, schätzungsweise Baujahr 77. Schwarz mit goldenem Adler auf der Motorhaube, der Klassiker.“
Da kennt er sich aus, der Albert. Hat den dazugehörigen Film mit Burt Reynolds schon x-mal gesehen, aber vor allem jede Folge der amerikanischen Serie „Detektiv Rockford – Anruf genügt“ mit James Garner in der Hauptrolle. Drum wohl auch jetzt seine kriminalistische Ader.
„Hint’ und vorn kein Geld“, sagt drauf der Onkel Franz zwischen zwei Bissen Essigwurscht, „aber ein sauteures Auto fahren, das schaut ihm ähnlich, dem Haslinger.“
„Franz, nicht so laut!“, sagt der Albert viel zu laut. Und darauf, deutlich leiser: „Außerdem, so teuer sind die nicht mehr. Und schau, das ist ja überhaupt nicht der Haslinger.“
Er gibt dem Onkel den Feldstecher. Selbst knipst er drauflos mit seinem Fotohandy, als jetzt der Fahrer aussteigt. Das erste, was man sieht, sind prächtige