Birgit Erwin

Die Bibliothek des Kurfürsten


Скачать книгу

wanderten die dunklen Brauen des Katholiken in die Höhe. »Wieso unmöglich?«

      Jiří fasste sich und grinste. »Weil ich so etwas normalerweise als Erster erfahre. Wisst Ihr, die Leute reden gern mit mir.«

      »Und Ihr mit ihnen. Wart Ihr wirklich am Weißen Berg dabei?«

      »War ich«, entgegnete Jiří kurz und leerte sein Bier.

      Der Katholik betrachtete es, dann Jiří, zuletzt hob er einen Finger. Lena nickte und ging zum Tresen.

      »Danke«, sagte Jiří überrascht.

      Liebig bedachte ihn mit einem undeutbaren Blick. »Nehmt es als Anzahlung für den Schlachtbericht, den ich später von Euch erwarte.« Er schob den Hocker zurück. »Die Wahrheit wäre allerdings schön.«

      »Wirklich?«, entfuhr es Jiří.

      Liebig antwortete nicht, sondern gesellte sich zu Karius, der aus einem Auge – das andere war komplett zugeschwollen – zu ihnen herüberstierte. Jiří widmete sich einem erfreulicheren Anblick: Lena und seinem Bier.

      Diesmal gelang es ihm, ihre Finger beim Abstellen des Kruges zu erhaschen. »Du kennst den Kerl, nicht wahr?« Als sie ihn nur stumm anschaute, verschränkte er seine Finger mit ihren. »Hat er mit dir auch über diese Leiche gesprochen?«

      »Ja«, gab sie einsilbig zurück und befreite ihre Hand.

      »Wenn du in Schwierigkeiten bist …«

      Lenas Augen weiteten sich, bevor sie in Gelächter ausbrach. Es war ein wunderschönes Geräusch. »Und da wollt ausgerechnet Ihr mir helfen, Herr Němec? Danke, aber nein danke.«

      »Aber …«

      »Ich danke Euch wirklich.« Sie berührte flüchtig seinen Handrücken. »Ich wollte mich nicht über Euch lustig machen. Aber ich denke nicht, dass mir von Herrn Liebig Schwierigkeiten drohen. Herr Němec …«

      »Ja?«, fragte er etwas atemlos.

      »Wenn Ihr Euch wirklich als Freund erweisen wollt, dann habt ein Auge auf Anni. Sie ist zu vertrauensselig.«

      »Anni?«, murmelte Jiří. »Nun gut. Wenn ich dir damit eine Freude mache. Nennst du mich dann Jiří? Als Gegenleistung?«

      Lena lachte, dieses Mal leise, und ging zum Tresen. Sein Blick saugte sich an ihren Hüften unter dem Leinenrock fest. Wenn der Weg zu dieser Frau über Anni führte, würde er sich nicht beklagen.

      Während das Bier in die Steinkrüge gluckerte, beobachtete Lena die Gäste. Normalerweise liebte sie den Trubel der Schankstube, der sie von ihren eigenen düsteren Grübeleien abhielt, aber heute konnte sie kaum erwarten, bis der Raum sich leerte. Herr Liebig und der Leutnant waren vor einer Stunde gegangen, ersterer mit einem höflichen Lächeln, bei dem jeder Muskel seines Gesichtes geschmerzt haben musste. Lena hatte schon einige Schlägereien gesehen, doch den vornehmen Herrn Liebig konnte sie sich beim besten Willen nicht Fäuste schwingend vorstellen. Der Leutnant war etwas anderes. Selten hatte ein Mensch ihr solch eine Furcht eingejagt. Sie dachte an Anatol, ihren mörderischen Geliebten. Auch er war Leutnant gewesen. Hauptmann Maxilius und Jakob hatten ihn zur Strecke gebracht. Es war Sünde, dass ihr Herz noch heute manchmal zuckte, wenn sie an ihn dachte. Er war ein schlechter Mensch gewesen. Und sie eine dumme Gans! Ihr Blick huschte zu Anni, die endlich mit geröteten Wangen und keckem Hüftschwung nach unten gekommen war.

      Lena seufzte. »Anni!«

      Das Mädchen warf den Kopf in den Nacken und reckte die Stupsnase. »Ich hab nichts getan.«

      Lena dachte an ihr Gespräch mit dem Böhmen und setzte eine strenge Miene auf. »Nur weil Herr Reiling es gutheißt, was du oben …« – ein warnender Laut Annis verriet ihr, dass der Wirt im Anmarsch war, aber sie ließ sich nicht beirren – »… treibst, heißt das nicht, dass es keine Sünde ist.«

      In ihrem Rücken brummelte Gisbert etwas vor sich hin, aber er wies Lena nicht zurecht. Anni hingegen fuhr er unwirsch an: »Die Treppe muss gewischt werden. Und zwar nass. Nicht nur mal schnell mit dem Besen drüber wie beim letzten Mal.«

      »Ich helfe ihr!«, rief Lena rasch, und ehe der Wirt Einwände erheben konnte, hatte sie Annis drallen Arm ergriffen und zog sie zur Tür.

      Der Hof lag zwar in hellem Sonnenglanz, dennoch pfiff ein kalter Wind vom Wald her. Sie fröstelte in den dünnen Kleidern, doch genoss sie den Geruch nach Herbst und Laub, den der Wind herüberwehte.

      Anni quietschte empört und riss sich los. »Das ist ja nett, dass du mir helfen willst …«

      »Nimm den Eimer und lass dir nichts anmerken«, befahl Lena. »Los, mach schon.«

      Während Anni den Eimer in den Brunnen hievte, musterte sie Lena aufmüpfig. »Was ist?«

      »Erinnerst du dich an diesen dunkelhaarigen, jungen Mann – Kuno?«

      Anni schoss die Röte ins Gesicht. »Kuno. Natürlich.« Sie kicherte. »Der ist ein stattliches Mannsbild. Ganz anders als der fette alte Mann, den ich eben … Aber er ist lieb. Seine Frau …«

      »Anni«, zischte Lena. »Was kannst du mir über Kuno erzählen?«

      »Er ist …« Anni schürzte trotzig die Lippen. »Aber das willst du ja doch nicht wissen. Eigentlich wollte er mich hier rausholen und zu seinen Leuten mitnehmen, das hat er mir versprochen. Dann hatten wir Streit und ich hab nichts mehr von ihm gehört. Wieso? Ist er wieder da? Dann könnten wir …«

      Kurz war Lena in Versuchung, dem Mädchen eine kräftige Ohrfeige zu geben, aber sie packte sie nur an den Schultern und schüttelte sie leicht. »Beschreib ihn mir!«

      »Wieso? Du weißt doch selber, wie er aussieht.«

      »Gibt es irgendetwas an seinem Körper? Ein Mal oder …«

      Anni schlug die Hand vor den Mund und kicherte albern. »Haare!«

      »Haare?«

      »Du, der Kuno ist wirklich behaart. Manchmal habe ich …« Anni sah, wie Lena die Hände faltete, und verstummte. »Was ist? Ist … ist etwas mit ihm?« Ihre Unterlippe begann zu beben. »Du machst mir Angst. Was ist passiert?«

      »Etwas Schlimmes. Es tut mir so leid, ich fürchte, Kuno ist tot.«

      Anni schrie auf.

      Lena schloss sie fest in ihre Arme und wartete auf den Tränenstrom. Während sie mechanisch über Annis Haare strich, waren ihre Gedanken weit fort. Sie würde zu Major Maxilius gehen müssen. Sie schob das Mädchen von sich. »Anni, sieh mich an. Es ist ein Toter gefunden worden, und ich denke, es ist dein Kuno. Das müssen wir dem Stadtkommandanten sagen.«

      Annis Unterkiefer klappte herunter, sie vergaß sogar zu schluchzen. »Dem Stadtkommandanten? Aber … aber da werden die uns nie vorlassen. Und ich will auch gar nicht. Du weißt doch nicht, ob er es wirklich ist. Mein Kuno!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann, laut zu heulen.

      Lena griff nach der Kurbel und holte den Eimer nach oben. Das Wasser schwappte über die Vorderseite ihres Kleides, doch sie hatte keine Zeit, darauf zu warten, dass Anni ihr half. Das Mädchen stieß immer noch unzusammenhängende Satzfetzen hervor.

      »Wir gehen!«, befahl sie schließlich. »Jetzt. Und ja, der Stadtkommandant wird uns empfangen.«

      »Wie kannst du da so sicher sein?«, begehrte Anni auf. Ihre Augen weiteten sich ungläubig. »Du und er? Aber …« Sie verstummte, als Lena sie grob am Handgelenk packte und erneut schüttelte.

      »Du nimmst jetzt den Eimer, putzt die Treppe, und wenn du fertig bist, brechen wir auf. Ich kläre das mit Herrn Reiling.«

      »Du wolltest mir doch helfen«, schmollte Anni.

      »Das tue ich. Glaub mir.« Lena drückte ihr den Eimer in die Hand und schubste sie zurück in die Schankstube.

      Der Böhme hob sofort den Kopf, und Lena verwünschte das Wasser, das dafür sorgte, dass ihre Rundungen sich ungeschützt unter dem nassen