zu einer freundlichen Miene. »Setz dich zu uns, Matthias, oder musst du gleich in die Backstube? Pfarrer Hermeskeil freut sich sicher über deine Gesellschaft.«
Matthias’ Gesicht war immer noch gerötet, seine Augen funkelten mordlustig. »Ich denke, ein Schluck Wein wird mir guttun«, presste er hervor. Er bediente sich im Stehen und stürzte das Glas hinunter.
»Du wirkst aufgebracht.«
Matthias füllte sein Glas ein zweites Mal. »Hirsch rät mir – in aller Freundschaft natürlich –, meine Bewerbung für den Rat ruhen zu lassen.«
»Das ist natürlich ärgerlich, aber, Matthias, wir haben Gäste.«
Er stutzte und strich sein Wams über dem Bauch glatt. »Verzeiht, Frau de Bonneville.« Er hauchte Ernestine einen unbeholfenen Kuss auf den Handrücken. »Führt Euch der Kuchen zu mir? Bitte greift zu!«
Hermeskeil sah auf den Teller, doch der Appetit war ihm vergangen. Am liebsten hätte er Matthias ein wenig Feingefühl in seinen Dickschädel gebläut, aber die stille Verzweiflung in Sophies Zügen hielt ihn zurück. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Ernestine sich mit einer geschmeidigen Bewegung erhob.
Sophie sprang ebenfalls auf. »Du willst gehen?«
»Ich denke, es ist an der Zeit. Du wirst mir bei anderer Gelegenheit erzählen, wer dieser … alte Freund ist, nicht wahr?«
Sophies Blick huschte zu Matthias. »Ja, ich … ja, natürlich.« Sie zupfte an ihren Spitzenmanschetten. »Ich begleite dich nach unten.«
»Warum übernimmt das nicht dein Mann? Wo er sich Emilie gegenüber schon als vollendeter Kavalier erwiesen hat.«
Matthias musterte die schöne Frau misstrauisch. Als er ihr den Arm bot, wirkte er noch unbeholfener. Sophie wandte den Kopf ab, während Ernestine ihre schmale Hand, schmucklos bis auf einen kostbaren Ehering, auf seinen mehlbestäubten Ärmel legte.
»Auf bald, liebe Freundin. Und Euch, Herr Pfarrer, werde ich ja am Sonntag im Gottesdienst sehen dürfen.«
Bei dem Wort »Gottesdienst« musste Hermeskeil an die Begegnung vor dem Haus denken. »Sagt, Frau Abele, kennt Ihr einen großen, zwielichtig aussehenden Burschen? Dunkel. Irgendwie verwegen. Er trieb sich vor Eurem Haus herum, als ich kam.«
Sophie hob die Schultern, doch Ernestine warf den Kopf zurück. »Sophie, du führst ja ein wildes Leben!«, rief sie mit einem spröden Lachen. »Du musst mir wirklich alles erzählen!«
»Aber ich kenne so einen Mann nicht.«
»Wie überaus schade!«
Jakob fuhr mit der Hand über seine rasierte Wange, während er zum Fenster trat. Er bedauerte, dass sein Gepäck noch nicht gebracht worden war, aber wenigstens hatte Hermeskeil Wort gehalten und den Drachen von Wirtschafterin angewiesen, ihm ein Bad herzurichten. Das lauwarme Wasser war ein Segen gewesen, doch jetzt, in seiner kleinen Kammer, kehrten die düsteren Gedanken zurück. In einem Anflug von kindischem Trotz wünschte er, Maxilius hätte ihn im Kerker sitzen lassen. Alles war besser als Karius’ grinsende Fratze unten auf der Straße. Der Leutnant schien von seinen anderen Pflichten entbunden und stand zufrieden in der Sonne. Jakob fasste einen Entschluss. Er streifte sein Lederwams über das verschwitzte Leinenhemd, glättete die Spitze an Kragen und Manschetten und trat in den engen Flur. Auf der Treppe begegnete ihm die Haushälterin. Das Erschrecken der ältlichen Frau stachelte seinen Ärger von Neuem an.
»Um Gottes willen, ich tue Euch nichts«, erklärte er ironisch.
»Der Herr Pfarrer hat gesagt, dass Ihr das Haus nicht verlassen dürft«, keifte sie, nachdem sie ihren Schrecken überwunden hatte. »Also geht zurück! Oder wollt Ihr mich in Schwierigkeiten bringen?«
Jakob fragte sich flüchtig, ob Übellaunigkeit in Heidelberg zwingend zum Wesen einer Haushälterin gehörte. »Mit Verlaub, ich kann mir den Herrn Pfarrer nicht mit der Gerte vorstellen, wie er Euch züchtigt. Daher bitte ich Euch, beiseitezutreten und mich meinen Geschäften nachgehen zu lassen. Sie sind wichtig.«
Die Frau warf ihm einen giftigen Blick zu, aber als Jakob einfach auf sie zuging, raffte sie ihre Röcke und flüchtete die Stufen hinunter. »Ich habe die Haustür abgeschlossen!«, rief sie und ließ die Schlüssel klimpern.
Statt einer Antwort suchte Jakob nach der Hintertür für die Dienstboten. Er fand sie ohne Schwierigkeiten und zu seiner Erleichterung war sie unverschlossen. Ohne auf das Zetern zu achten, gelangte er ins Freie. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er keinen Mantel mitgenommen hatte, doch die plötzliche Freiheit berauschte ihn. Entschlossen zog er die Tür hinter sich zu.
Er durchquerte das Gemüsegärtchen und trat durch das Holztor auf die Straße. Dort sah er sich nach rechts und links um, aber außer einer Horde lärmender Kinder war die Gasse leer. Jakob schmunzelte, als er an Karius dachte, der immer noch vor dem Haus herumlungerte. Dennoch galt es, sich zu beeilen, denn er wusste nicht, ob der Hausdrache auf die Idee kam, dem Leutnant von seiner Flucht zu berichten.
Beschwingt eilte Jakob zu dem Mietstall, in dem laut Hermeskeils Aussage seine Stute untergestellt war. Anstandslos zäumte der Knecht das Pferd auf, sattelte es und führte es aus dem Stall. Jakob warf dem Mann eine Münze zu. Der tippte sich an die Schläfe und Jakob war überrascht, wie gut die spontane Freundlichkeit tat, obwohl er vermutete, dass der Mann gar nicht wusste, dass er ein katholisches Pferd gesattelt hatte. Im Geiste sah er sich bereits in Reilings Hof, wo er endlich seinen Auftrag weiterverfolgen konnte, und damit meinte er nicht die Leiche, die ihm fast ebenso gleichgültig war wie offenbar dem Stadtkommandanten.
Er machte Anstalten, sich auf sein Pferd zu schwingen, als er an der Schulter herumgerissen wurde. Eine Faust traf ihn ins Gesicht. Jakob taumelte, gleichzeitig stieg die temperamentvolle Rappstute mit einem schrillen Wiehern auf die Hinterhand. Er versuchte, nach dem Zügel zu greifen, wurde aber an den Armen gepackt und zurückgeworfen.
»Um der Liebe Gottes willen, Ihr Herren«, schrie der Knecht, der zu ihnen rannte, »das Pferd!«
Im letzten Moment rollte Jakob sich weg, als die Hufe über seinem Kopf niedersausten. Ein Tritt traf ihn in die Eingeweide. Der Pferdeknecht zog das Tier beiseite, während Jakob sich auf die Knie kämpfte. Keuchend wischte er sich über den Mund und schüttelte den dröhnenden Kopf, ehe er aufsah. Über ihm stand Karius.
Mit so viel Würde, wie er aufbringen konnte, kam Jakob auf die Füße und klopfte den Schmutz von den Kleidern. »War das nötig?«, fragte er kalt, wenn auch etwas undeutlich. Behutsam tastete er mit der Zunge über die Zähne. Sie schienen festzusitzen.
»Scheißkatholik!«, knirschte Karius. »Du lebst nur noch, weil der Major es so will!«
»Der Major wünscht, dass ich einen Mord aufkläre. Ihr hindert mich daran mit Eurer vollkommen unsinnigen Wut. Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich Befehl erhalten habe, Euch über meine Schritte zu informieren.« Jakob betonte das »Euch« geringschätzig und fragte sich, warum er den fanatischen Katholikenhasser auch noch reizte. Er zwang sich, nicht auf die krampfartig geschlossene Faust zu achten, die halb erhoben in der Luft schwebte. Stattdessen schaute er sich betont gelassen nach seinem Pferd um. Es stand mit zuckenden Ohren neben dem Pferdeknecht. Karius’ Stimme zwang ihn, sich wieder seinem Gegner zuzuwenden.
»Ich werde Euch jetzt dahin zurückbringen, wo Ihr hingehört. In den Kerker. Kommt gutwillig mit, sonst …«
»Ja? Ihr habt Euren Satz nicht zu Ende gesprochen. Seid Ihr sogar zum Reden zu feige?«, höhnte Jakob.
In den Augen des Soldaten loderte es. Jakob spannte die Muskeln an. Karius war größer, schwerer und wütender. Egal, was jetzt kam, schön würde es nicht werden.
Karius’ Faust schoss vor, aber diesmal wich Jakob zur Seite und der Schwung brachte den Leutnant aus dem Gleichgewicht. Jakob rammte ihm die Faust in die Rippen. Sein Widersacher taumelte, Jakob setzte nach, doch in diesem Moment bäumte sich sein Pferd erneut auf. Der winzige Augenblick genügte. Zum zweiten Mal traf Karius Jakobs Kinn. Der strauchelte, ließ sich fallen und rollte unbeholfen aus der Reichweite der Schläge. Als der Leutnant sich auf ihn stürzen