Bernd Leix

Teuchel Mord


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also nachdem seine Frau ausgezogen ist. Er fährt jetzt täglich nach Balingen. Außerdem ist das alles längst Schnee von gestern. Der Franz, der war ja kein schlechter Chef, aber seit er nach Freudenstadt gezogen ist, hat er seine Bekanntschaften öfter gewechselt als normale Leute ihre Unterwäsche.«

      Lindt zog die Stirn in Falten. »Dann gab es ja allerhand zu tuscheln bei euch im Kommissariat.«

      »Aber hallo! Es war sozusagen Tagesgespräch. Doch nachdem er sich körperlich in Form gebracht hatte, sind die Frauen auf ihn geflogen wie die Motten aufs Licht. Dabei hat er angeblich nichts anbrennen lassen.«

      Ein anderer Techniker ergänzte: »Die Wohnungen im ›Parkside‹, so heißen die zwei supermodernen vornehmen Häuser, haben dreiseitig Glasbalkone. Und es gibt durchaus Leute, die ihre Spaziergänge extra so gelegt haben, um zu sehen, wer aktuell im dritten Stock im Liegestuhl lag.«

      »Wie bitte?«

      »Mehrere Kolleginnen haben sich sogar darin abgewechselt, den Balkon von weiter oben, vom Rand des Steinbruchs aus, zu beobachten. Da stehen mehrere Parkbänke strategisch günstig mit prima Aussicht. Fernglas aus der Handtasche – am nächsten Tag wusste die ganze Polizei Bescheid.«

      Lindt schmunzelte: »Das waren dann die, die der Franz nicht erwählt hatte?«

      Schallendes Gelächter breitete sich aus. »Nein, die bekamen bei ihm keine Chance. Von internen Verwicklungen hatte er wohl genug. Aber man hört, dass es in seinem Fitnessstudio genügend Auswahl gab.«

      »Ts, ts, ts«, kommentierte der Kommissar. »Schau an, der Franz. Und jetzt ist er leider tot. Schade für ihn, schade für die Freudenstädter Damenwelt und für die Kleinstadt-Gerüchteküche.«

      Dann wurde er wieder dienstlich: »Jetzt aber zurück zum Ernst des Lebens. Sämtliche Ergebnisse eurer Arbeit gehen nur an mich. Ausschließlich! Niemand sonst darf darauf zugreifen.«

      Lindt sah in drei fragende Gesichter, doch keiner sagte etwas.

      »Versteht ihr nicht?«

      Kopfschütteln.

      »Kripochef tot, da gilt natürlich höchste Diskretionsstufe. Die eigene Mannschaft muss völlig außen vor bleiben. Das hat gar nichts mit Misstrauen zu tun, sondern ist eine eiserne Regel. In solchen Fällen laufen die Ermittlungen komplett extern. Immer. Ich werde auch meine engsten Mitarbeiter holen und irgendwo eine provisorische Ermittlungszentrale einrichten.«

      »Gut gesagt, Lindt«, ergänzte Lea Frey, die sich zwischenzeitlich beruhigt hatte und wieder näher gekommen war. »Ist ein Muss. Ich will mir später keine Vorwürfe über unprofessionelle Vorgehensweise anhören.«

      »Also alles reine Routine«, beruhigte der Kommissar die verunsicherten Kollegen. »Gibt es schriftliche Aufzeichnungen? Handschriftlich, meine ich?«

      »Nein, komplett auf dem Tablet. Und auf der Kamera.«

      Lindt streckte die Hand aus. »Dann brauche ich das Gerät und vom Fotoapparat die Speicherkarte. Und natürlich die Beweismitteltüten mit den Spurenträgern. Am besten, wir gehen gemeinsam zum Weg runter und laden dort alles in meinen Dienstwagen.«

      »Und wer bearbeitet unsere gesicherten Spuren weiter?«

      »Werde ich koordinieren. Vermutlich auch Kollegen aus meinem Bereich.«

      Die Techniker waren offensichtlich nicht besonders glücklich über diese Ansage, doch sie hatten keine Wahl und mussten sich fügen.

      Wenig motiviert machten sie sich wieder an die Arbeit und begannen, die weitere Umgebung der Kneippanlage abzusuchen. Plötzlich rief einer der Männer vom Fahrweg aus: »Fund!«

      Der Karlsruher Kommissar und die Juristin eilten hinzu. Der Techniker stand direkt neben Lindts Dienstwagen und zeigte auf mehrere dunkle Flecke im plattgedrückten Gras neben dem Schotter. »Blut, jede Wette. Hier könnte er niedergeschlagen worden sein.«

      Süffisant grinsend, drehte sich Oskar Lindt zur »Eisernen«. »Frau Oberstaatsanwalt, auf dieser Seite sind Sie ausgestiegen.«

      Sie sandte ihm einen bösen Blick zu. »Bin ich vielleicht ein Spürhund?«

      Der Kommissar antwortete nicht und lächelte still in sich hinein. »Ich fahre mal den Wagen weg, dann habt ihr Platz, um alles aufzunehmen.«

      2

      Es dauerte eine weitere Stunde, bis sämtliche Arbeiten erledigt waren und die Absperrungen aufgehoben werden konnten. Die Polizeifahrzeuge verließen nach und nach das Waldgebiet, so dass schließlich nur Oskar Lindt zurückblieb. Auch die Oberstaatsanwältin war in einem Streifenwagen mitgefahren, nicht ohne den Kommissar nochmals auf äußerste Geheimhaltung zu verpflichten.

      »Machen Sie sich keine Sorge«, hatte er geantwortet. »Erstens bin ich Profi, und zwar ein alterfahrener. Zweitens, und das wiegt genauso schwer, bin ich es dem Franz ganz einfach schuldig, alles bis ins Kleinste aufzuklären.«

      »Genau deshalb habe ich Sie geholt«, hatte ihm die »Eiserne« energisch die Hand gedrückt. »Ich zähle auf Sie.«

      Nun war er alleine. Alleine am Tatort. Tatort? Nein, der lag vermutlich dort unten auf dem Waldweg. Hier handelte es sich nur um den Fundort seines getöteten Kollegen. Tatwaffe? Nein, weit und breit keine Spur. Lindt nahm auf der braun gestrichenen Holzbank zwischen Schutzhütte und Wassertretbecken Platz und setzte aufs Neue eine Pfeife in Brand.

      Er sah auf die Uhr. Bereits später Nachmittag. Eigentlich Zeit, an Rückkehr zu denken. Zeit, um Carla anzurufen. Zeit, sich bei Paul und Jan zu melden.

      Doch er tat nichts dergleichen. Ruhig zog er an seiner Pfeife, blies aromatische Rauchkringel in die Luft und sog die Atomsphäre in sich auf.

      Weshalb hatte man Franz-Otto Kühn ausgerechnet hier in knietiefes Wasser gesetzt? Welche Bedeutung kam diesem besonderen Ort zu?

      Oskar Lindt lehnte sich zurück und betrachtete die stolzen hohen Tannen und Fichten rings um die Kneippanlage. Ja, das waren sie, echte »Tannenriesen«, riesige alte Bäume. Diesen Ausdruck kannte er von früheren Ausflügen und Wanderungen hier in der Gegend, im Schwarzwald, der ihm und Carla im Laufe der Jahre immer mehr zur zweiten Heimat geworden war.

      Einzigartig auch das Klima. Selbst im Hochsommer konnte er es bestens aushalten. Natürlich, bei körperlichen Aktivitäten ginge es auch in den schattigen Wäldern nicht ohne Schweißtropfen ab, doch verglichen mit der brütend schwülen Hitze zwischen den Karlsruher Häuserwänden fühlte er sich an diesem Ort einfach nur wohl. Wenn da nicht der tote Franz gewesen wäre …

      Lindt riss sich zusammen, nahm sein Mobiltelefon und suchte nach der gespeicherten Nummer von Ludwig Willms, seinem langjährigen Weggefährten und Chef der Karlsruher Kriminaltechnik.

      »Auf diesen Anruf hab ich schon gewartet«, meldete sich Willms. »Wollte dich was fragen, aber du warst nicht an deinem Arbeitsplatz.«

      »Heute arbeite ich im Wald«, antwortete der Kommissar. »Freudenstadt, Teuchelwald. Kannst ja mal googeln, dann weißt du, was das bedeutet.«

      »Paul hat mir natürlich berichtet, dass du dich wieder im Schwarzwald rumdrückst.«

      »Und wenn du anständig bist, darfst du auch noch kommen. Wir müssen hier unsere Zelte aufschlagen.«

      »Die ›Eiserne Lea‹ hat dich engagiert. Ausgerechnet dich. Wie kommt denn das? Ihr seid euch doch in inniger Abneigung verbunden.«

      »Heute war sie zeitweise sogar ganz manierlich. Schließlich will sie ja was von mir. Ich nehme an, du hast gehört, dass Franz-Otto Kühn getötet wurde?«

      »Auch das hat mir Paul gesteckt. Ich kannte den Kühn zwar nicht persönlich, aber ein toter Kripochef ist natürlich der Hammer.«

      »Ob ein Hammer auf seinem Kopf gelandet ist, finden die Gerichtsmediziner in Tübingen gerade heraus, und du bekommst heute noch eine Kiste voller Beweismitteltüten von mir. Alle weiteren Untersuchungen laufen bei dir im Labor. In unserem Labor.«

      »Hoppla!«