Michael Ritter

Wiener Hochzeitsmord


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hatte es lediglich zwei Themen gegeben, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren, um abzuklären, ob eine Hochzeit in der Kapelle überhaupt möglich wäre: die breit erzählte Lebensgeschichte des heiligen Stanislaus und die Frage des Geldes. Weil, so Pater Anzelm, die Erhaltung der Kapelle sei eine kostspielige Aufgabe! Seine Lebensaufgabe. Und ein Auftrag Gottes, natürlich. Und wenn die Menschen das Geld hätten, um sich nach der Hochzeit eine feierliche Festtafel mit dem besten Essen zu leisten, dann wäre es nur recht und billig, wenn eine entsprechende Summe für die Kirche abfiele. Denn wieso sollte nicht auch der Ort des Segens Gottes seinen Wert haben?

      Dr. Fried hatte den Eindruck gehabt, dass der Geistliche bereit gewesen war, zu feilschen. Jede Krone mehr, die er heraushandeln konnte, wäre ihm stundenlanges Reden und Argumentieren wert gewesen. Doch die großzügig bemessene Zeit eines Priesters hatte ein Kriminaloberinspektor nicht. Dr. Fried hatte schnell nachgegeben und sich eine Summe nennen lassen, die der Priester für den Ort und den Anlass als angemessen befand.

      »Alles für die Kapelle, natürlich. Alles!« So seine Worte. Die schmalen Augen waren noch schmaler geworden, nur mehr erahnbare Striche. Dr. Fried hatte ihm kein Wort geglaubt.

      Das Misstrauen war bei ihm zu einer Berufskrankheit geworden, die manchmal bis in sein Privatleben drang. Oder zumindest gewisse Symptome hervorrief. Vielleicht war es auch einfach ein geschärfter Spürsinn. Oder er hatte Überempfindlichkeiten entwickelt, wenn er auf einen gewissen Typus Mensch stieß – den unangenehmen, den, der etwas zu verbergen hatte. Als solcher Typus erschien ihm Pater Anzelm. Aber vielleicht lag seine Abneigung einfach daran, dass er Priestern generell nicht mit Sympathie gegenüberstand. Damals hatte er nur möglichst schnell einig werden wollen mit dem Mann und alle anderen organisatorischen Fragen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

      Jetzt lag fast alles hinter ihm. Die morgige Hochzeit würde der Höhe- und zugleich Endpunkt all dessen sein, worum er sich in den vergangenen Monaten gekümmert hatte. Und heute war der Tag der letzten Kontrolle.

      »Herr Regierungsrat!« Die Stimme war unverkennbar jene von Pater Anzelm.

      Gepresst kamen die Worte hervor und Dr. Fried konnte sich gut vorstellen, dass der unter dem Bart verborgene Mund ein ebenso schmaler Strich war wie die beiden Augen. Akzent war fast keiner zu hören, lediglich ein etwas anderer Klang, als man ihn vom Wiener Zungenschlag gewohnt war.

      »Herr Regierungsrat!«, wiederholte er, lauter als beim ersten Mal, und eilte mit großen Schritten und ausgestreckter Hand auf den Oberinspektor zu.

      Pater Anzelm war die übertriebene Freundlichkeit in Person. Dr. Fried hatte die vereinbarte Summe für den Tag vor der Hochzeit zugesagt, also für heute. Vielleicht war Pater Anzelms Laune deswegen so gut? Manchmal sah Dr. Fried nur das Schlechteste in einem Menschen.

      »Ein schöner Tag heute«, stellte Pater Anzelm fest, und es war Dr. Fried nicht klar, ob er das Wetter meinte oder den Umstand seines geldversprechenden Erscheinens.

      Pater Anzelm ergriff Dr. Frieds Hand und schüttelte sie bedächtig. Er hielt sie lange fest, Dr. Fried wollte sie ihm nicht brüsk entreißen, es wäre ihm als ein doch zu unfreundlicher Akt erschienen. In Pater Anzelms schmalen Augen zeigte sich ein Glanz, den Dr. Fried nicht einer seligen Entrückung zuschrieb.

      »Sie wollen sicher die Kapelle besichtigen?«, fragte der Geistliche eher rhetorisch.

      »Darum bin ich hier«, antwortete Dr. Fried und erhielt endlich seine Hand zurück.

      Sie standen in einem kurzen Gang, an dessen Ende eine dunkelbraune Holztür einen Spalt geöffnet war. Dahinter, so wusste Dr. Fried von seinen früheren Besuchen, lagen ein paar kleine Räumlichkeiten, eine davon das Büro des Paters.

      Links an der Längsseite des Ganges gab es zwei weiß lackierte Türen. Die erste stand weit offen, die zweite war geschlossen. Es waren die Türen zu den beiden ehemaligen Wohnräumen Stanisław Kostkas und seines Bruders, die später zu einem Raum zusammengelegt worden waren, um eine Kapelle von halbwegs ausreichender Größe zu gestalten. Sie war im 18. Jahrhundert mit viel Stuck, Marmor und Goldplattierungen ausgestattet worden und wirkte seitdem protziger, als ihre übersichtlichen Ausmaße es eigentlich zuließen. Dr. Frieds verstorbene Frau war von Kindesbeinen an in diese Kapelle verliebt gewesen und hatte die Gottesdienste dort regelmäßig besucht. Als nicht intensiv religiöser Mensch hatte Dr. Fried ihren Wunsch, dort zu heiraten, von vornherein respektiert, und seine Schwiegereltern hatten mit viel Freude das Aufgebot übernommen.

      Mit ähnlicher Freude war nun Dr. Fried als Brautvater am Werke. Der Blumenschmuck sollte üppig sein, das würde er gleich zu sehen bekommen, weiße Rosen in rauer Menge. Dazu – ebenfalls reichlich – großflächige tiefgrüne Blätter, vor allem seitlich vom Altar. Jede der Stuhlreihen war mit einem zarten Bukett geschmückt, hier dominierte die Farbe der Liebe: ein inniges, ein tiefes Rot.

      Ja, Dr. Fried konnte auch kitschig sein. Wer behauptete, dass ein Kriminaloberinspektor nicht in der Lage war, romantische, gefühlvolle Saiten zum Klingen zu bringen, hatte keine Ahnung. Seine Frau – Gott hab’ sie selig – hatte das immer gewusst.

      »Nach Ihnen, Herr Regierungsrat«, sagte Pater Anzelm und ließ Dr. Fried den Vortritt durch die offen stehende Tür. Der erste Eindruck erschütterte Dr. Fried, aber in positiver Weise. Schon allein der Duft, der den kleinen Raum erfüllte, umschmeichelte ihm das Vaterherz und trieb ihm beinahe Tränen der Rührung in die Augen, als er sich Amalia und Max vor dem Altar kniend vorstellte.

      Die Bestuhlung war schlicht. Auf der Sitzfläche jedes mit weinrotem Plüsch bezogenen Stuhles lag eine cremeweiße Karte aus stärkerem Papier, auf die in goldenen Lettern ein passendes Zitat aus der Bibel gedruckt war sowie die Namen des Brautpaares und das Hochzeitsdatum. Max Becker und Amalia hatten sich gemeinsam für Johannes 15,12 entschieden:

      Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.

      Wiederholte sich alles im Leben von Generation zu Generation? Oder waren das nur die sentimentalen Gefühle und Interpretationen eines alt werdenden Vaters? Dr. Fried sah vor seinem geistigen Auge sich selbst in jungen Jahren durch diese Tür schreiten, seine Braut am Arm, die Musik kam von einer mobilen Orgel, wie er sie auch für morgen organisiert hatte.

      Das Instrument stand ganz hinten in dem Raum, unter dem von außen mit einem Schmiedeeisengitter geschützten Fenster, das auf die Kurrentgasse hinauswies. Er hatte dafür auf die letzten beiden Stuhlreihen verzichtet, aber angesichts der überschaubaren Festgemeinschaft war das kein Problem. Es gab ausreichend Sitzplätze für alle.

      »Nun?«, fragte Pater Anzelm. Er stand mit gefalteten Händen neben Dr. Fried und dünstete geradezu eine unerträgliche Selbstzufriedenheit aus. Als ob das alles hier sein Verdienst wäre.

      Dr. Fried nickte. Sollte der Priester sich doch in seinem Wohlgefühl baden. Im Grunde war er die unwichtigste Person von allen, wenngleich er sie nicht völlig ausschließen konnte. Auch zur Festtafel direkt nach der Trauung würde er ihn einladen. Er musste ihn ja nicht gerade neben sich platzieren. Vielleicht neben Amalias Tante, der Schwester seiner verstorbenen Frau? Sie führte gerne Gespräche mit Geistlichen.

      »Es ist genau so, wie es sein soll«, stellte Dr. Fried fest.

      »Das war nicht anders zu erwarten«, bestätigte Pater Anzelm. »Ich habe auf alles höchstpersönlich geachtet. Als der Blumenschmuck geliefert wurde … Ach, übrigens: Dürften wir diesen nach der Zeremonie in der Kapelle behalten? Sozusagen als Spende. Er würde unseren geweihten Ort noch wenigstens eine Woche lang schmücken.«

      Der Priester grinste Dr. Fried an, der, ohne eine Miene zu verziehen, nickte. Was sollte er mit dem vielen Blumenzeug auch zu Hause anfangen?

      »Wie gesagt, ich habe alles überwacht. Der Bursche vom Floristen hat den Schmuck pünktlich gebracht heute Früh und ich habe ihn genauestens angewiesen, wie die Blumenpracht zu arrangieren ist.«

      Wenn man ihm länger zuhörte, bemerkte man, dass Deutsch nicht seine Muttersprache war. Er sprach perfekt, kein Zweifel, aber Vokale, die lange ausgesprochen gehörten, gerieten bei ihm regelmäßig etwas zu kurz.

      Wiederum nickte Dr. Fried. »Gute Arbeit,