Kurt Anglet

Gott - der Vater Jesu Christi: der Gott der Vollendung


Скачать книгу

oder Anthropozentrik die Rede, um das Besondere des Heilswirkens Jesu wie die menschlich-existentielle Dimension seiner Botschaft zu betonen. Das Neue Testament – vom Alten gar nicht zu reden – kennt eine derartige Christozentrik oder Anthropozentrik nicht. Gott ist der Ursprung allen Geschehens; von Ihm aus bzw. auf Ihn hin geht alles Wirken nicht zuletzt seines in Jesus Christus mensch-, ja fleischgewordenen Wortes, seines Logos (vgl. Joh 1,1). Noch in der Einsamkeit, in der Abgeschiedenheit des Gebets, ist es die Nähe zu Gott, seinem Vater, aus der Jesus Kraft schöpft, wie beim Gebet in Gethsemani (vgl. Lk 22,43 et par.). Selbst in der Todesverlassenheit am Kreuz, in der Gottesferne eines Verbrechertodes, wendet sich sein Ruf an Gott: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mt 27,46; Ps 22,6) Seine Verlassenheit aber resultiert nicht aus einem menschlichen Geschick, das einem zuteil wird, der sein Schicksal herausfordert. »Schicksal«, eine Kategorie aus der Welt tragischen Heidentums, waltet hier nicht, sondern der Wille dessen, dem er sich zunächst widerstrebend ergibt – also alles andere als heroisch im Zeichen tragischer Größe; man denke nur an Lk 22,44: »Und er betete in seiner Angst noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.« Bezeichnenderweise wendet er sich in seinem Gebet in Gethsemani nach dem Matthäusevangelium, das als einziges seine Todesverlassenheit am Kreuz bezeugt, dreimal an seinen Vater, dessen Wille geschehen soll – nicht der eigene: gleichsam das Äußerste an Selbstentäußerung, die das Wesen und Wirken, das Leiden und – Sterben des Sohnes ausmacht, um den Willen seines Vaters zu erfüllen.

      Wer von Christus spricht, kann nicht von Gott; wer vom Sohn spricht, kann nicht vom Vater abstrahieren, ohne sein Wesen und seinen Willen, seine messianische Sendung und deren Vollendung zu verfälschen, indem er sie auf irgendwelche menschliche, gar historische Motive reduziert, weil Wesen und Sendung Jesu Christi vom Anfang der Empfängnis bis zum Ende am Kreuz – von seiner Auferstehung und Himmelfahrt gar nicht zu reden – den Horizont des Menschen wie seiner Geschichte sprengen, in die sie eingelassen sind.

       1. Offenbarung Jesu Christi als Offenbarung des Vaters

      Dass der Horizont des Menschen und seiner Geschichte im Christusgeschehen transzendiert wird, gilt nicht allein für das Leben Jesu, Gegenstand zahlloser historisch-kritischer Forschungen, obschon sich deren theologische Defizite in der Philologie der neutestamentlichen Texte abzeichnen. Um mit dem Letzten zu beginnen, ist bereits der geläufige Titel Johannesoffenbarung irreführend: »Offenbarung Jesu Christi« – lauten die ersten drei Worte, die programmatisch das zusammenfassen, »was bald geschehen muss«. Also könnte man schließen, dass es sich hierbei um eine Selbstoffenbarung Jesu Christi handelte, wie ein geflügeltes Wort in der zeitgenössischen Theologie lautet, gar um eine »Selbstmitteilung« des erhöhten Kyrios. Doch schon der anschließende Relativsatz belehrt eines Besseren, dass von irgendwelchen Selbstmitteilungen oder Selbstoffenbarungen, die aus der Schatulle des neuzeitlichen Subjekts mit den ihm eigenen Selbstmystifikationen stammen mögen, gar nicht die Rede sein kann. Ausdrücklich heißt es weiter: »Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat«. Gott ist daher der Ursprung der Offenbarung, Jesus Christus ihr Empfänger. Dass Gott ihr Ursprung ist, ist nicht neu. Schon im alttestamentlichen Buch Daniel (2,28) heißt es: »Aber es gibt im Himmel einen Gott, der Geheimnisse offenbart; er ließ den König Nebukadnezar wissen, was am Ende der Tage geschehen wird.« Und zwar durch einen Traum des Königs, der erst der Deutung durch den Propheten Daniel bedarf, um die Zeit seiner Herrschaft und deren Zukunft bis hin zum »Ende der Tage« zu begreifen. Auf sie blickt der Prophet aus der Vergangenheit, also aus dem Horizont der Geschichte, weshalb ihm Nebukadnezar huldigt. »Und der König sagte zu Daniel: Euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige, und er kann Geheimnisse offenbaren; nur deshalb konntest du dieses Geheimnis enthüllen« (Dan 2,47). Obgleich der König dem Propheten huldigt, erkennt er in Gott den Ursprung der Offenbarung, während Daniel lediglich die Auslegung seiner Geheimnisse obliegt, gewissermaßen des aus rein menschlicher Sicht völlig Unbegreiflichen der Geschichte bzw. ihrer Bewegung (vgl. den rollenden Stein, der das Standbild zerschmettert) auf das Ende hin.

      Man könnte nun Christus analog zu Daniel in der Prophetenrolle mit Blick auf das Geschehen der Endzeit wähnen, zumal aus heutiger Sicht, mehr noch aus der des historistischen Zeitbewusstseins des neunzehnten Jahrhunderts, wonach das Ende auf sich warten lässt, so dass kaum jemand daran so recht glauben mag. Doch eine rein historische Einschätzung verkennt, dass Christus »der Herrscher über die Könige« (vgl. Offb 1,5) ist; »er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten«, wie es zuvor heißt, und weiter: »Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut;« und im folgenden Vers (6): »Er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.« Wie die Benediktion zeigt, ist Christus der messianische Herrscher und Erlöser, der nicht allein über alle Mächte und Herrscher dieser Weltzeit erhoben ist, sondern durch das Werk seiner Erlösung auch uns in den Stand von Königen und Priestern zu erheben vermag. Deshalb ist er kein bloßer Prophet, der den Traum eines profanen Herrschers im Lichte dessen, »was am Ende der Tage geschehen wird«, also einer fernen Zukunft auslegt. Vielmehr ist er als Erlöser »auch Mittler zwischen Gott und den Menschen« (vgl. 1 Tim 2,5), der nun nicht ein Geheimnis bzw. »Geheimnisse« [Plural!] Gottes offenbart, sondern das Geheimnis unserer Vollendung. Allein aus diesem Grunde können sich die Empfänger der Offenbarung, »die Gott ihm gegeben hat«, nicht wie ein König Nebukadnezar zurücklehnen und beruhigt auf ein fernes Geschehen, das sie selbst nicht mehr betreffen wird, vorausschauen. Vielmehr hat mit dem Anbruch seiner messianischen Herrschaft, mit dem Anbruch des neuen Äons, die Zukunft bereits begonnen; ist gewissermaßen der kleine Stein, der nach der prophetischen Auslegung Daniels alle Weltreiche zerschmettern wird, längst ins Rollen gekommen. Daher ist das Geschehen, von dem die »Offenbarung Jesu Christi« zeugt, von höchster Aktualität, und zwar unabhängig von seiner Dauer, die sich nicht nach historischen Maßstäben bemessen lässt. Und wie Christus auf Erden als Erlöser, als der »Mittler eines neuen Bundes« (Hebr 12,24) zwischen Gott und den Menschen in Erscheinung tritt, der seinen prophetischen Vorläufer in Johannes dem Täufer fand, so ist er nun Mittler der Offenbarung, »die Gott ihm gegeben hat, damit er seinen Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er hat es durch seinen Engel, den er sandte, seinem Knecht Johannes gezeigt« (Offb 1,1).

      Johannes bildet nun das letzte Glied der »Kette« dieser Offenbarung, die von Gott dem Vater ihren Ausgang nimmt. Zu ihrem Empfang ist schließlich keineswegs ein Mensch – und wäre es ein Prophet! – bestimmt. Nach Kap. 5 hat gesiegt »der Löwe von Juda«; ihm, dem messianischen Herrscher, dem geschlachteten Lamm ist es vorbehalten, das versiegelte Buch zu öffnen. Ja, Johannes steht es nicht einmal zu, dessen Geheimnisse zu entschlüsseln, sondern in Gestalt von Visionen zu schauen – zu schauen, »was bald geschehen muss«. Die visionäre Schau ist eine andere als die Schau, von der der Evangelist Johannes mit Blick auf den fleischgewordenen Logos spricht: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit« (Joh 1,14). Es handelt sich um die apostolische Sichtweise; die Schau, wie sie der Apostel zu Beginn des Ersten Johannesbriefes bezeugt: »Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände ›begriffen‹ haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde« (1 Joh 1,1–2). Denn dass es sich hierbei um ein apostolisches Zeugnis handelt, geht aus den beiden folgenden Versen hervor, wo es heißt: »Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns [!] habt.« Es heißt nicht, wie zu erwarten wäre: mit Christus und/oder mit Gott, sondern ausdrücklich »mit uns«. Denn wir hätten überhaupt keinerlei communio mit Christus und mit seinem Vater, wenn sie uns nicht durch die apostolische Verkündigung vermittelt wäre. Weshalb Johannes recht selbstbewusst fortfährt: »Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Wir schreiben euch dies, damit unsere [und nicht etwa »eure«!] Freude vollkommen ist« (1 Joh 1,3–4). Und wie der Evangelist am Schluss des Johannesevangeliums zu erkennen gibt: »Dieser Jünger ist es, der all das bezeugt hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist« (Joh