messianischen Seufzer: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein?“ (Mk 9,19) Damit ist das Thema des Unglaubens gesetzt. Doch jetzt richtet sich die „Kamera“ des Erzählers auf den, der sich als Vater eines kranken Knaben zu erkennen gibt. Jesus wendet sich ihm zu. Es bleibt nicht unbemerkt von der Macht, die durch den Auftritt Jesu provoziert wird. Der kurze Wortwechsel zwischen dem Vater und Jesus führt zu einer Attacke des Dämons. Jesus beobachtet den Angriff und fragt den Vater wie ein Arzt, der eine Anamnese vornimmt: „Seit wann geschieht ihm das?“ Man hört eine lange Leidensgeschichte und spürt die Frustration des Vaters. Die letzte Episode in dieser Kaskade der Enttäuschungen war das Versagen der Jünger. Jetzt steht der Vater vor dem Meister und packt die Gelegenheit beim Schopf. „Doch wenn du etwas vermagst, so hilf uns, indem du dich über uns erbarmst!“ In die Bitte mischt sich ein Vorbehalt. Der Zweifel spricht mit. „Hilf, wenn Du vermagst.“ Aber es spricht auch der Glaube. „Hilf, indem du dich erbarmst.“ Jesus antwortet mit einer Belehrung. Er nimmt die Formulierung des Vaters auf und kommentiert: „Was das ‚wenn du vermagst‘ betrifft, gilt, dass dem Glaubenden alles möglich ist.“ Das ist natürlich nicht nur für die Ohren des Gegenübers bestimmt. Auch die Jünger, die Herumstehenden und die Schriftgelehrten sollen es hören. Und der Vater hört die Ermutigung. Dem Glaubenden ist alles möglich! Er zögert keine Sekunde und schreit: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Die Losung ist geboren!
Im Zusammenhang erzählt, wird deutlich, dass von zwei verschiedenen Typen des Glaubens gesprochen wird. Einerseits dem Glauben an Jesus Christus, der sich als Bekenntnis ausspricht, und andererseits dem Vermögen bzw. dem Unvermögen, im Moment zu vertrauen. In der Figur des Vaters kommt beides zusammen. Er getraut sich nicht, sich ganz auf den Zuspruch Jesu zu verlassen und traut ihm doch zu, dass er sich seiner erbarmt. Der erste Glaube ist die Entscheidung, sich Jesus anzuvertrauen, der zweite Glaube die Erfahrung, die sich einstellt – oder nicht! Während der erste Glaube in der Begegnung mit Jesus geschenkt wird, verweist der zweite Glaube auf etwas, das vom Unglauben über den Kleinglauben bis zum Glauben, der Berge versetzt (Mk 11,24), wachsen oder aber in der Anfechtung – zum Leidwesen des Messias (Mk 9,19) – auch einmal schrumpfen kann.
Die Jahreslosung ist eine theologisch dichte Formel für die Spannung, in der wir ein Leben lang unseren Glauben erleben. Dazu passt, dass Jesus den väterlichen Schrei nicht kritisiert. Bei der Belehrung im Nachgang macht Jesus dann deutlich, dass die zwei Glaubensweisen zu unterscheiden, aber nicht zu trennen sind, indem er auf den Zusammenhang von Gebet und Glauben verweist. Es wäre schön, wenn wir in unserer Kirche mehr von diesem Glauben spürten. Unwahrscheinlich? Wir hoffen, hilf unserer Resignation!
Peter Gemeinhardt | Göttingen
geb. 1970, Dr. theol., Professor für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen
Vom Nutzen der Heiligen
Die Frage „Was nützt das?“ ist allgegenwärtig. Sie richtet sich auf den Ertrag einer Tätigkeit („Wozu soll ich das tun?“), einer Kompetenz („Warum muss ich das können?“) oder einer Lebensweise („Weshalb soll ich mich einschränken?“). Nach dem Nutzen kann politisch, organisatorisch oder ökonomisch gefragt werden – und muss gefragt werden, damit nicht Zeit, Kraft, Geld und andere Ressourcen unnütz eingesetzt, im schlimmsten Fall vergeudet werden. Das erzeugt Rechtfertigungsdruck, zumal da, wo nach messbarem Nutzen gefragt wird. Nun gibt es im menschlichen Leben Dinge, die nicht messbar sind, deren Sinn deshalb aber trotzdem nicht zu bestreiten ist; in lockerer Anlehnung an Schleiermacher nenne ich Kunst, Bildung, Geselligkeit und auch Religion. Hier muss der Begriff des Nutzens anders bestimmt werden: Bildung ist zweifellos nützlich, insofern die Teilhabe am Bildungssystem berufliche und damit finanzielle Perspektiven eröffnet. Aber darin geht der Sinn von Bildung nicht auf. Wenn Bildung auf die Einübung eines reflexiven Verhältnisses zu Gott, Welt und Selbst zielt, darf sie auch dann noch als nützlich gelten? Oder ist sie in radikaler Weise „unnütz“? Sich zu bilden, hat seinen Zweck in sich, es dient der Bestimmung des Menschen, zu sich selbst zu kommen. Das fälschlich so genannte „Bildungssystem“ kann dies nicht operationalisieren, es kann allenfalls die Rahmenbedingungen schaffen, damit Menschen über sich selbst, ihre Mitmenschen sowie den Grund und das Ziel ihres Daseins ins Reflektieren kommen. Wo dieser transzendente – aus christlicher Perspektive schöpfungstheologische – Hintergrund ins Spiel kommt, kann Bildung grundsätzlich keinen verrechenbaren Nutzen haben.
Kann Heiligkeit einen Nutzen haben?
Auch Religion – so scheint es – ist immer unnütz. Religion einen (fragwürdigen) Nutzen zu attestieren, ist eine klassische Denkfigur der Religionskritik („Opium fürs Volk“). Religion ist kein Vehikel der Selbstoptimierung, Fasten kein Mittel der Gewichtsreduzierung, Spiritualität keine Technik zur Bewältigung des Alltags. All das sind vielleicht hilfreiche Strategien zum (Über-)Leben. Aber Religion ist mehr als das, woraus ich Nutzen ziehe.
Von hier aus kann die Frage, ob Heiligkeit einen Nutzen hat, eindeutig beantwortet werden: nein, natürlich nicht! Jedenfalls nicht in religiösem Sinne (dass sich z.B. mit Wallfahrten und Devotionalien ein gutes Geschäft machen lässt, ist eine andere Geschichte). Unter „Heiligen“ verstehe ich Menschen, deren Handeln von Zeitgenoss(inn)en und Nachwelt als authentisch christlich anerkannt wird. Heiligkeit bedeutet, den Ruf zur Nachfolge Jesu Christi, der allen Menschen gilt, in einer Weise umzusetzen, dass andere sehen und anerkennen: Ja, dieser Mensch hat dem heiligen Gott entsprechend gelebt (Num 19,2; 1 Thess 4,3)!1 Kann das einen Nutzen haben? Schon die frühen Christ(inn)en glaubten, dass die Märtyrer ohne Umweg in den Himmel gelangen würden2, das Erleiden des Todes für das Christusbekenntnis also ewigen Lohn nach sich ziehen würde. Aber dass sie zueinander gesagt hätten: „Es hat sich gelohnt, sich von den Römern hinrichten zu lassen“ – davon hören wir nichts. Umso bemerkenswerter ist es, dass von dem Theologen Origenes († 253) niemand anderem als Christus selbst die Frage des Nutzens seines Todes in den Mund gelegt wird: „‚Welchen Nutzen hat mein Blut, wenn ich zur Verwesung hinabsteige?‘ (Ps 30,10) Warum habe ich den Menschen solchen Nutzen gebracht? Was haben sie getan, das des Blutes würdig wäre, das ich für sie vergossen habe? (…) Ich bin vom Himmel hinabgestiegen, habe mich der Vergänglichkeit ausgeliefert, habe einen menschlichen Leib getragen. Was haben die Menschen Rechtes getan, das dessen würdig wäre?“3
Die modern scheinende Frage – „Was hat das gebracht?“ – wird Jesus selbst zugeschrieben: Wozu das Ganze? Wenn niemand meinem Beispiel folgt, war es dann unnütz? Origenes hört, nicht anders als seine Zeitgenossen, in den Psalmen Christus selbst reden; doch ist es ungewöhnlich, dass der, der das Heilswerk vollbracht hat, klagt, dass dies vergeblich gewesen sei! Wenn unter den Menschen jemand diese Klage Christi Lügen gestraft hätte, dann waren das in der Sicht der Alten Kirche die Heiligen, die authentischen Nachfolger(innen) Christi. Ich möchte daher die Frage nach dem Nutzen der Heiligkeit an einem besonders aussagekräftigen Beispiel bedenken: Wie kann ein Gott entsprechendes Leben „nützlich“ sein – und für wen?
Antonius – Ein „nützlicher“ Heiliger
Das semantische Feld und das theologische Konzept des Nutzens ist in spätantiken Viten von Heiligen unterschiedlich ausgeprägt. Besonders deutlich kommt es in der Vita Antonii zum Ausdruck; dies möchte ich im Folgenden etwas näher beleuchten und nach den Gründen dafür fragen. Antonius (ca. 251–356 n. Chr.) gilt in der Tradition als der erste Eremit – der erste, der sich in die Wüste zurückzog, um sich dort, wo Jesus Christus vierzig Tage lang vom Teufel versucht worden war (Mt 4,1–11), in dessen Nachfolge den Dämonen zu stellen und zu einem kontinuierlichen Leben mit Gott zu finden. Ob er tatsächlich der allererste war, der so etwas versuchte, sei dahingestellt; schon im 4. Jahrhundert behauptete Hieronymus († 419), in Wahrheit sei Paulus von Theben der wirklich erste Wüstenasket gewesen, und die spätere ikonographische Tradition stellte beide