viel differenzierteren) Wandels zu erkennen, und um meine Frage zu verdeutlichen: Was wird aus unserer Hoffnung? Gehört zur Hoffnung nicht das Interesse an der Zukunft? Gehört zu ihr nicht auch der Wille, die kommende Wirklichkeit mitzugestalten?
Sehnsucht
Vielleicht zeigt sich aber noch eine andere, relativ neue Brücke zur Hoffnung: die Sehnsucht. Seit einigen Jahren begegnet mir dieses Wort häufiger, und zwar wiederum ebenso in profanen wie in religiösen Zusammenhängen. Plötzlich stand es in den Feuilletons, der Computer des Buchhändlers listet viele Hunderte von Titeln mit der Vokabel „Sehnsucht“ auf, und die Werbesprache verspricht die Erfüllung aller Sehnsüchte.
Hat die Sehnsucht etwas gemeinsam mit der Hoffnung? Sie träumt von einer größeren, schöneren Wirklichkeit, sie streckt sich danach aus, sie überschreitet das Gegenwärtige und Vorhandene. Sie kann das Herz öffnen, sie kann aus der Selbstgenügsamkeit herausführen und sensibilisieren für das Geheimnis Gottes und für seine absolute Zukunft.
Aber gibt es nicht auch große Unterschiede? Ist die Hoffnung nicht aktiver? Spielen in ihr nicht das Wollen und das Handeln eine größere Rolle? Könnte die neuerliche Aktualität des Wortes „Sehnsucht“ ein Zeichen dafür sein, dass wir gegenwärtig weniger entschlossen sind, weniger zielgerichtet handeln, weniger motiviert, Zukunft zu gestalten, mehr mit uns selbst, mit unserer Befindlichkeit und mit unserem Schmerz beschäftigt, als etwa die Generation derer, die sich von Martin Luther King und von der lateinamerikanischen Hoffnungsbewegung inspirieren ließen?
Oder ist, bei aller begrifflichen Unterscheidung, in der lebensgeschichtlichen Praxis mit gleitenden Übergängen zu rechnen? Um es mit einem Bild zu sagen: Könnte die Sehnsucht mit ihren Träumen den selbstgenügsam Schlafenden unruhig machen, ihn aufwecken, ihn verlocken, aufzustehen und darauf zu setzen, dass die Träume realisierbar sind, sodass er sich nun konkrete Ziele setzt und sich aufmacht, sie zu erreichen? Könnte die Sehnsucht der Hoffnung eine neue Tür öffnen? Könnte es sogar sein, dass die Sehnsucht dann nicht etwa durch die Hoffnung überholt oder abgelöst wird, sondern dass sie den hoffenden Menschen weiter begleitet und, als Hunger des endlichen Wesens nach Unendlichkeit, daran erinnert, dass alle konkreten innerweltlichen Hoffnungsziele immer nur vorläufig, nie schon die letzte Erfüllung sein können?
Zu diesem Buch
Die Stichworte „Fortschritt“, „Traum“, „Apokalyptik“ und „Sehnsucht“ wollen wir uns in den folgenden Kapiteln etwas genauer anschauen. Anschließend werden wir auf Fragen und Denkimpulse eingehen, die aus dem Dialog mit jüdischer Theologie und mit der Naturwissenschaft sowie aus dem Gespräch über die Reinkarnationsidee kommen und mit denen sich heute eine christliche Theologie der Hoffnung zu beschäftigen hat. Und schließlich werden wir fragen, was die Hoffnung für das Verständnis des Sterbens bedeuten und wie sie grundsätzlich die Existenz der Hoffenden prägen könnte. Doch zuvor müssen wir uns mit der der Hoffnung eigentümlichen Sprache befassen.
1 GS 1.
2 Franz Kaulen, Hoffnung, in: Wetzer-Welte, Bd. 6, 1889, 148–151, Zit.: 148.
3 GS 39.
4 Elie Wiesel, Die Nacht, Freiburg 51996, 56. Die französische Originalausgabe erschien in Paris 1958.
5 Hans Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, Frankfurt am Main 1987, 12.
6 Vgl. Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945–1985, hrsg. von Rolf Rendtorff und Hans Hermann Henrix, Paderborn und München 1988, und den Fortsetzungsband: Dokumente von 1985–2000, hrsg. von Hans Hermann Henrix und Wolfgang Kraus, Paderborn und Gütersloh 2001.
7 Vgl. z. B. Johann Baptist Metz: „Fragt euch, wenn euch da eine neue Theologie begegnet, fragt euch: Ist das eine Theologie, die man vor und nach Auschwitz gleich treiben könnte? Und wenn ja, dann lasst sie, mit welchem Namen sie auch immer verbunden sein mag, dann lasst sie liegen!“, hier zit. aus der Podiumsdiskussion: Glaube und Widerstand nach Auschwitz, in: Auschwitz als Herausforderung für Juden und Christen, hrsg. von Günter B. Ginzel, Heidelberg 1980, 170–202, Zitat 175 f.
8 Vgl. z. B. Olaf Briese, Einstimmung auf den Untergang. Zum Stellenwert „kupierter“ Apokalypsen im gegenwärtigen geschichtsphilosophischen Diskurs, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 20 (1995) 145 bis 156.
9 Vgl. z. B. Michael N. Ebertz und Reinhold Zwick (Hrsg.), Jüngste Tage. Die Gegenwart der Apokalyptik, Freiburg 1999.
10 Vgl. dazu unten das 4. Kapitel.
11 Mon âme se repose en paix sur Dieu seul, in: Gesänge aus Taizé. Neuausgabe Taizé 2000, Nr. 32. Der französische Originaltext wirkt allerdings weniger infantil als die deutsche Nachdichtung.
12 Andreas Gryphius, Betrachtung der Zeit (1663), hier zitiert aus: Das große deutsche Gedichtbuch, neu hrsg. von Karl Otto Conrady, Darmstadt 41995, 41.
2
Nicht Fahrpläne, sondern Perspektiven
Die Bildersprache der Hoffnung
„Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne: sie sind genauer“ – als Hans Magnus Enzensberger vor fünf Jahrzehnten diese Verse „Ins Lesebuch für die Oberstufe“1 schrieb, ging es ihm wohl kaum um eine allgemeine Reflexion über die Sprache, sondern eher um einen politischen Appell. Manche Zeitgenossen nahmen diesen Text aber wie ein literarisches Programm: Poesie, die Sprache der Bilder, sei nicht mehr brauchbar, gebraucht werde die harte Sprache genauer Informationen.
Wie ein direkter Widerspruch dazu klingen einige Sätze in dem Grundsatzdokument der Würzburger Synode der westdeutschen Bistümer von 1975. In diesem Dokument, überschrieben „Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit“, heißt es:
„Wir Christen hoffen auf den neuen Menschen, den neuen Himmel und die neue Erde in der Vollendung des Reiches Gottes. Wir können von diesem Reich Gottes nur in Bildern und Gleichnissen sprechen, so wie sie im Alten und Neuen Testament unserer Hoffnung, vor allem von Jesus selbst, erzählt und bezeugt sind. Diese Bilder und Gleichnisse vom großen Frieden der Menschen und der Natur im Angesichte Gottes, von der einen Mahlgemeinschaft der Liebe, von der Heimat und vom Vater, vom Reich der Freiheit, der Versöhnung und der Gerechtigkeit, von den abgewischten Tränen und vom Lachen der Kinder Gottes […], wir können sie nicht einfach ‚übersetzen’, wir können sie eigentlich nur schützen, ihnen treu bleiben und ihrer Auflösung in die geheimnisleere Sprache unserer Begriffe und Argumentationen widerstehen, die wohl zu unseren Bedürfnissen und von unseren Plänen, nicht aber zu unserer Sehnsucht und von unseren Hoffnungen spricht.“2
Hinter den zuspitzenden Formulierungen der letzten Zeilen steht eine Auseinandersetzung um die Genauigkeit der Sprache, den Wirklichkeitsgehalt des Glaubens und die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Bewegt sich der Glaube, wenn er zum Beispiel von der Versammlung der Völker auf dem Berg Sion, vom Kommen des Menschensohns auf den Wolken des Himmels, von der Auferstehung der Toten aus den Gräbern usw. redet, in einem überholten Weltbild? Spricht er die Sprache einer untergegangenen Vorstellungswelt? Wäre heute nicht eine genauere Sprache angebracht? In dieser Frage vollzog sich in der Theologie der letzten Jahrzehnte ein Wandel, den man als hermeneutischen Schlüssel zum Verstehen der neueren Eschatologie bezeichnen könnte.
„Die letzten Dinge“
Die neuscholastische Theologie des 19. Jahrhunderts, die bis um die Mitte des 20. Jahrhundert als die klassische katholische Schultheologie galt, wollte möglichst genau sein. Wenn sie in der Eschatologie von den „letzten Dingen“ sprach, klangen ihre Aussagen nicht wie dichterische Visionen, sondern wie ein sachlich distanzierter