Kurt Anglet

Vorausbilder


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ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.«

      Wie aber kommt es, dass die Worte dieses Psalms, der doch in jeder Sonntagsvesper gebetet wird, so wenig in das christliche Bewusstsein eingedrungen sind? Warum kapituliert der bedeutendste Kenner der christlichen Eschatologie in der neueren Theologie vor den Mächten seiner Zeit? – Dafür gibt es nicht allein zeitgeschichtliche Gründe. Vielmehr zeugt es von einem ungeheuren Defizit in der Bestimmung des messianischen bzw. eschatologischen Zeitbegriffs, auf das wir bereits beim heiligen Augustinus, dem wohl bedeutendsten Theologen der lateinischen Patristik, stoßen. Und zwar in seiner Auslegung von Psalm 2, dem messianischen Psalm par excellence, der mit den Worten einsetzt: »Warum toben die Völker, / warum machen die Nationen vergebliche Pläne? / Die Könige der Erde stehen auf, / die Großen haben sich verbündet / gegen den Herrn und seinen Gesalbten. ›Lasst uns ihre Fesseln zerreißen / und von uns werfen ihre Stricke!‹ / Doch er, der im Himmel thront, lacht, / der Herr verspottet sie« (Ps 2,1–4).

      Blicken wir auf die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zurück, so erscheinen diese Sätze in einer brennenden Aktualität. Kein Wunder, dass auch im Neuen Testament – so von Paulus auf seiner ersten Missionsreise in Antiochia (vgl. Apg 13,33) oder im Hebräerbrief 1,5; 5,5 – vor allem V. 7 zitiert wird, wo der Gesalbte spricht: »Den Beschluss des Herrn will ich kundtun. / Er sprach zu mir: ›Mein Sohn bist du. / Heute habe ich dich gezeugt.‹« Auf Christus, den Gesalbten, bezieht auch der heilige Augustinus die betreffende Stelle, um ihr jedoch folgende Bedeutung beizumessen: »In dem Tag, von dem der Prophet spricht, könnten wir den Tag erblicken, an dem Jesus Christus als Mensch geboren ist. Aber ›heute‹ besagt Gegenwart, und in der Ewigkeit gibt es nicht Vergangenes, als habe etwas aufgehört, zu sein, und nichts Zukünftiges, als gäbe es etwas, was noch nicht ist. Es gibt nur Gegenwärtiges. Denn was ewig ist, ist immer. Es ist vom Wesen Gottes aus zu verstehen nach dem Wort: ›Heute habe ich dich gezeugt.‹ Damit verkündet der reine katholische Glaube die ewige Zeugung der Kraft und Weisheit Gottes, des einziggeborenen Sohnes Gottes.«

      Dagegen ließe sich nichts sagen, insofern die Kirche in dem betreffenden Artikel des Großen Glaubensbekenntnisses bekennt: »Gott von Gott, Licht vom Licht, / wahrer Gott vom wahren Gott, / gezeugt, nicht geschaffen; eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.« Doch handelt es sich hierbei um das »Hervorgehen« (griechisch: physein) aus dem Vater, weshalb es in der Zeile zuvor heißt: »aus dem Vater geboren vor aller Zeit«. Es handelt sich also um die ewige Zeugung des Logos, des Wortes, das der Zeit, der Schöpfung vorausgeht, weshalb der heilige Johannes in seinem Prolog schreiben kann: »Alles ist durch das Wort geworden, / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (Joh 1,3). Zeit aber, also auch Gegenwart, die ja zwischen Vergangenheit und Zukunft steht, gibt es nur im Zusammenhang des Gewordenseins, also der Schöpfung. Und deshalb gibt es auch nur ein einziges, einmaliges Gewordensein des Logos, nämlich bei seiner Mensch-, genauer bei seiner Fleischwerdung: »Und das Wort ist Fleisch geworden (griechisch: egéneto)« (Joh 1,14). Und diese Zeugung setzt ein Werden voraus, ein Werden im Schoß der Jungfrau und Gottesmutter Maria – ein Werden, das es nun bei dem Hervorgehen aus dem Vater vor aller Zeit nicht gab, weil der Logos, das »Wort« Gottes, der Ursprung alles Werdens bzw. alles »Gewordenen« (vgl. Joh 1,3) ist, durch den Gott der Vater und Schöpfer alles geschaffen hat.

      Daher besitzt die Zeugung des menschgewordenen Logos anders als die Zeugung von »Gottes eingeborenem Sohn« vor aller Zeit, wovon zunächst im Glaubensbekenntnis die Rede ist, durchaus einen Zeitkern. So kann der Apostel Paulus im Galaterbrief schreiben: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen« (Gal 4,4 f.). Und zwar handelt es sich nun nicht um irgendeinen Zeitpunkt im Weltgeschehen als vielmehr um die Zeiten-, ja Äonenwende, weil wir erst mit dem Anbruch des neuen Äons, der neuen »Weltzeit«, in Christus zu »Söhnen« werden. Und so schließt Paulus seine Überlegungen: »Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.« Das aber bedeutet, dass es um nichts weniger geht als um unsere Vollendung; um unsere Teilhabe an Christi Sohnschaft, um in Christus und mit Christus am Reich Gottes teilzuhaben.

      Aus diesem Grunde hat das »Heute« sehr wohl einen Zeitbezug: einmal mit Blick auf Christus, der Mensch geworden ist, was er vorher nicht war; dann mit Blick auf den Menschen, der durch das Erlösungswerk Jesu Christi ihm auch dem Wesen nach ähnlich wird, was er vorher nicht war, sofern Christus zu der Zeit gestorben ist, »da wir noch schwach und gottlos waren« (vgl. Röm 5,6). Deshalb entspricht das »Heute« seiner Zeugung in der Zeit dem Anfang unserer Wiedergeburt, d. h., dass die Menschen über Vergangenheit und Gegenwart hinaus wahrhaft eine Zukunft haben, die nicht bloß im Ablauf der Zeiten, in der consecutio temporum, eine Übergangszeit darstellt, sondern zur Zeit unserer Vollendung, zum wahrhaften Kairos wird, wie für Christus die Stunde seiner Passion wahrhaft zur Stunde seiner Verherrlichung (vgl. Joh 12,23–33), zu seinem Kairos wurde.

      Deshalb ist es unzutreffend, wenn der heilige Augustinus zu dem »Heute« befindet: »Es gibt nur Gegenwärtiges. Denn was ewig ist, ist immer.« Es handelt sich schlichtweg um die antike Auffassung des Ewigen, weshalb es Heidegger in seinem Vortrag »Der Begriff der Zeit« vor der Marburger Theologenschaft im Jahre 1924 leichtfiel, den vermeintlich christlichen Ewigkeitsbegriff mit einer Handbewegung beiseitezuschieben: »Der Philosoph glaubt nicht. Fragt der Philosoph nach der Zeit, dann ist er entschlossen, die Zeit aus der Zeit zu verstehen bzw. aus dem

was so aussieht wie Ewigkeit, was sich aber herausstellt als ein bloßes Derivat des Zeitlichseins.« Denn dass Ewigkeit nicht im Sinne des
ein »Immergleichsein« bedeutet, sondern – im Hinblick auf die Schöpfung und den Menschen – ein Werden und Vollenden einschließt, muss auch Augustinus im Hinblick auf die weiteren Psalmverse einräumen: »Fordere von mir, und ich gebe dir die Völker zum Erbe, / die Enden der Erde zum Eigentum.« Das gelte »bereits zeitlich, insofern er den Menschen angenommen hat, der anstelle aller Opfer sich selbst dargebracht hat und für uns eintritt. Auf die ganze zeitliche [!] Heilsordnung, die für das Menschengeschlecht getroffen wurde«, will Augustinus jene und die folgenden Psalmworte beziehen, die er nun aber in einem rein allegorisch-moralischen Sinne auslegt: als ein geistliches Fruchtbringen oder als ein Zerschlagen der irdischen Begierden, wovon im Psalm selbst überhaupt gar nicht die Rede ist. Hier geht es nämlich erstens um die Inthronisation des Gesalbten, also des messianischen Herrschers, dessen Herrschaft über Völker und Könige sich ja nicht jenseits der Zeit, sondern in der Zeit kundtut, ja, er selbst tut ihn kund. Zweitens handelt es sich um keine »zeitliche Heilsordnung«, sondern um eine ewige, die auf Gott den Vater zurückgeht. »Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott«, vermerkt Paulus im Epheserhymnus (Eph 1,3b f.), »und er hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im voraus bestimmt hat: Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist« (Eph 1,9 f.). Entsprechend heißt es im ersten Brief des Apostels Petrus zu Christus: »Er war schon vor der Erschaffung der Welt dazu ausersehen, und euretwegen ist er am Ende der Zeiten erschienen.«

      M. a. W., es handelt sich um keine »zeitliche Heilsordnung«, sondern um eine ewige (»vor der Erschaffung der Welt«). Ferner kann nicht nur als ewig gelten, was »immer« ist, sowie »nichts Zukünftiges, als gäbe es etwas, was noch nicht ist«. Denn in der Tat gehört zur Ewigkeit Gottes die Vollendung der Zeiten; hat er doch selbst beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen in Christus. Anders als in der neuplatonischen Philosophie sind Zeit und Ewigkeit aus biblischer Sicht keine völlig disparaten Größen, weil Gott in seiner Vorsehung und in seinem Heilshandeln Herr über die Zeit ist, und zwar nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Vollender des Zeitgeschehens. Daher ist eine kulturpessimistische Einschätzung der Geschichte, wie sie etwa der frühe Peterson im Geiste Kierkegaards hegte, abzuweisen, was sich bis zum Jüngsten Tage manifestiere, sei »doch nur Maskerade«, die Geschichte werde lediglich »abgewickelt«.