Pascale Gmür

Puzzeln mit Ananas


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entweder in ihr kirchliches Mutterhaus oder in das Schwesternheim des Berufsverbands zurück.

      In der Schweiz begann die Professionalisierung der häuslichen Krankenpflege im Jahr 1859, als Valérie de Gasparin zusammen mit ihrem Mann die École normale de gardes-malades in Lausanne gründete, heute La Source genannt. Es war die erste nichtkirchliche Schule für häusliche Krankenpflegerinnen. Hier erwarben ledige, verheiratete oder verwitwete Frauen theoretische und praktische Pflegekenntnisse, um anschliessend freiberuflich in der häuslichen Pflege arbeiten zu können.

      Vierzig, fünfzig Jahre nach der Schulgründung in Lausanne entstanden in Bern und Zürich – später auch in den Kantonen Luzern, Schwyz und Waadt – die ersten Krankenpflegeschulen, die einem Spital angegliedert wurden, teilweise subventioniert durch das Schweizerische Rote Kreuz (SRK). In ländlichen Regionen mit noch fehlenden Spitälern waren es manchmal Hausärzte und Hausärztinnen, die sich für die Ausbildung von Pflegerinnen und Gemeindeschwestern einsetzten. Viele Gemeindeschwestern, entlöhnt von der Kirche oder der Gemeinde, arbeiteten auch in den Arztpraxen mit und gingen zu den Patientinnen und Patienten nach Hause, um die verordneten Behandlungen auszuführen.

      Bei manchen heutigen Spitex-Pflegefachfrauen noch immer bekannt ist die Schule für Gemeindekrankenpflege in Sarnen, die 1902 vom Arzt Julian Stockmann und seiner Frau gegründet wurde und bis 2010 Ausbildungsgänge für «Hilfe und Pflege zu Hause» durchführte. Zudem bot das SRK ab 1920 Weiterbildungskurse für Gemeindeschwestern an, die vor allem auch sozialmedizinische Aufgaben wahrnahmen und Familien über gesundheitsförderndes Verhalten aufklärten. Die freiburgische Sektion des SRK baute in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und dem Kanton die erste gemeinnützige Spitex auf.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten Frauen die Möglichkeit, eine Schule für Hauspflegerinnen zu besuchen, vielerorts initiiert und geführt von Frauenorganisationen, wie zum Beispiel an der 1895 gegründeten Bündner Frauenschule in Chur. Die neu ausgebildeten Hauspflegerinnen waren sehr gefragt. In der Hochkonjunktur der Nachkriegszeit fehlten in vielen Branchen die Arbeitskräfte, so auch im Pflegebereich. Mit dem Bevölkerungswachstum und den medizinischen Fortschritten stiegen die Ansprüche an die Gesundheitsversorgung. Es wurden neue Spitäler gebaut, was mehr Personal erforderte, und auch die spitalexterne Pflege wurde immer mehr beansprucht. Kleinere Familien mit berufstätigen Eltern, für die Wohnen und Arbeiten immer seltener am gleichen Ort stattfanden, konnten für kranke und betagte Angehörige nicht mehr umfassend sorgen. Die häusliche Pflege erforderte mehr und mehr professionelle Hauspflegerinnen und Gemeindeschwestern. Konnte früher eine Gemeindeschwester die kranken Menschen eines ganzen Dorfs allein versorgen, entstand mit dem gesellschaftlichen Wandel ein immer dichteres, schliesslich flächendeckendes Versorgungsnetz mit kleineren und grösseren Spitex-Teams.

      Als 1952 die Schweizerische Vereinigung der Hauspflegeorganisationen gegründet wurde, fühlten sich die diplomierten Krankenschwestern konkurrenziert und forderten, die Arbeitsbereiche zwischen Gemeindekrankenschwestern und Hauspflegerinnen aufzuteilen. Auch gegenüber Spitälern und Heimen stärkte die Gemeindekrankenpflege ihre Position, indem sie 1986 die Schweizerische Vereinigung der Gemeindekranken- und Gesundheitspflege-Organisationen gründete. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in einigen Kantonen die beiden Berufsgruppen der diplomierten Gemeindeschwestern und der Hauspflegerinnen angenähert, andernorts gingen sie weiterhin getrennte Wege. 1995 jedoch konnten sich die beiden Organisationen darauf einigen, den Spitex Verband Schweiz zu gründen, mit den beiden Standbeinen der Pflege und der Hauswirtschaft. Ausschlaggebend für die Entstehung der heutigen Nonprofit-Spitex war die Einführung des Krankenversicherungsgesetzes, mit dem 1996 die für alle Personen obligatorische Krankenversicherung entstand und damit auch die Abgeltung der ärztlich verordneten Spitex-Pflege und -Behandlung durch die Krankenkassen. Für die erforderlichen Verträge wollten Bund und Krankenversicherer nicht mit zwei Organisationen verhandeln und hatten nun die vereinte Spitex Schweiz als Ansprechpartnerin.

      In den letzten zwei Jahrzehnten entwickelte sich die Nonprofit-Spitex zur kompetenten Dienstleisterin des Gesundheitswesens, mit gut ausgebildeten Frauen und Männern, die sich dafür einsetzen, dass gesundheitlich beeinträchtigte und fragile Menschen möglichst lange und autonom daheim wohnen können.

      Die Krux mit den Kosten

      Die Finanzierung der Spitex-Leistungen wurde gesamtschweizerisch geregelt, als 2011 die neue Pflegefinanzierung eingeführt wurde. Bis dahin galten unterschiedliche kantonale Tarifverträge. Doch nun werden die ambulanten Pflegekosten – davon ausgeschlossen sind die hauswirtschaftliche Hilfe und die Betreuung – aufgeteilt zwischen Krankenversicherern, Kantonen, Gemeinden sowie den Patientinnen und Patienten. Der Bund hat für die an die Spitex gehenden Krankenkassenbeiträge drei Tarifstufen festgelegt. Sie richten sich nach dem zeitlichen Aufwand und der Tätigkeit der Pflegepersonen: Am wenigsten erhält die Spitex von den Versicherungen für die Grundpflege, die vor allem Körperpflege beinhaltet und die häufigste Tätigkeit ist. Besser vergütet werden Untersuchungen und Behandlungen, am höchsten eingestuft sind Abklärungen, Beratungen und Koordination.4

      Die Klientinnen und Klienten müssen eine relativ geringe gesetzlich festgelegte Patientenbeteiligung5 übernehmen, welche an die Spitex geht. Weitere, verhältnismässig kleine Einnahmen der Spitex sind Spenden und Mitgliederbeiträge – viele Spitex-Basisorganisationen sind als Vereine strukturiert, mit ehrenamtlich engagierten Vorstandsmitgliedern. Für eine grosse Tranche der Lohn- und Betriebskosten, die genauso wachsen wie die Kundenzahlen und die gesellschaftlichen Ansprüche an die ambulante Pflege, kommen Kantone und Gemeinden auf, die gemäss der sogenannten Restkostenfinanzierung gesetzlich dazu verpflichtet sind. Im Jahr 2017 wurden die schweizerischen Nonprofit-Spitex-Betriebe insgesamt zu rund 47 Prozent durch die Kantone und die Gemeinden finanziert.

      Für alle Leistungen geben die Krankenkassen zeitliche Durchschnittswerte vor, die begründet überschritten werden können. Die Tarife für die zu verrechnenden Spitex-Leistungen wurden seit Jahren nicht erhöht, im Gegenteil, die Kostenbeteiligung der Krankenversicherer wurde in einigen Bereichen reduziert.6 Damit steigen die Restkosten. Wenn Kantone oder Gemeinden die Restkosten nicht vollständig tragen, werden die Spitex-Betriebe finanziell belastet und zu Sparmassnahmen gezwungen – was sich unmittelbar auf das Personal und somit auf die Angebotsvielfalt und Versorgungsqualität im jeweiligen Einzugsgebiet auswirkt.

      Max Moor, Geschäftsleiter des Spitex Verbands Aargau, betont: «Es wird woanders im Gesundheitssystem teurer, wenn die Spitex finanziell eingeschränkt wird. Erhält die Spitex-Versorgung nicht den ihr angemessenen gesundheits- und sozialpolitischen Rückhalt, müssen mehr Leute in ein Heim oder länger im Spital bleiben.» Die spitalexterne, ambulante Pflege arbeitet kostengünstig, da sie keine teuren Gebäude und keine aufwendige Infrastruktur benötigt: Die Spitex verursacht heute nur gerade zwei bis drei Prozent der gesamten Gesundheitskosten, die achtzig Milliarden Franken betragen. «Wenn die Aufwände der Spitex-Betriebe steigen, liegt es an der demografischen Entwicklung», sagt Max Moor. «Wir pflegen mehr und mehr ältere Personen, die wir drei Mal täglich und während einer langen Zeit besuchen. Auch Menschen mit chronischen Krankheiten oder einer Behinderung werden heute dank medizinischen Fortschritten älter und möchten von uns zu Hause begleitet werden, nicht in einer Institution.» Hinzu kommen vermehrt Patientinnen und Patienten, die nach einem kurzen Spitalaufenthalt oder ambulanten Eingriff daheim eine Nachsorge benötigen.

      Patient, Klientin oder Kunde?

      Die Mitarbeitenden der Spitex sprechen weniger von Patientinnen und Patienten als von Kundinnen oder Klienten. Das Marketing der spitalexternen Branche wie generell des Gesundheitswesens betont die Kundenorientierung, was missverständlich sein kann. Denn bei der öffentlichen Spitex lassen sich nicht einfach Leistungen und Waren einkaufen, wie dies der Kunde in einem Geschäft tut. Was die Spitex daheim schliesslich leistet, geschieht aufgrund medizinischer Diagnosen und zu Hause stattfindender Bedarfsabklärungen – stets mit dem Ziel, das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Leben zu respektieren und zu fördern. Dennoch sind die Betroffenen in gewisser Weise auf die Dienstleistungen der Spitex angewiesen. Seit einiger Zeit verwendet die Spitex immer häufiger die Bezeichnung Klientinnen und Klienten.7

      Ob Patient, Klientin oder Kunde, niemand möchte auf fremde Hilfe angewiesen sein. Dieser Aspekt spielt mit, wenn lokale Spitex-Organisationen diskutieren,