Urlaub) wie des beruflichen Lebens zu meistern, um also das Leben als Projekt zu gestalten, braucht es spezifische Schlüsselqualifikationen, zuallererst Kreativität und Empowerment. Während Genialität im romantischen Ideal noch wenigen vorbehalten war, ist Kreativität eine „Jedermannsressource“33: „Das Attribut ‚kreativ‘ adelt noch die banalsten Tätigkeiten.“34 Vor allem aber: Kreativität ist marktbezogen. „Kreativ ist das Neue, das sich durchsetzt.“35 Empowerment wiederum ist „gleichermaßen Ziel, Mittel, Prozess und Ergebnis persönlicher wie sozialer Veränderungen“36. Ziel ist es, durch Handeln die Selbstbestimmung und Mündigkeit der Adressaten sowie des Handelnden zu vergrößern. „Es gibt in dieser Perspektive keine Schwächen, sondern nur in die Latenz abgedrängte Stärken.“37 Das „positive Denken“ diverser Coaches vermarktet solches Empowerment zu Höchstpreisen.
Und es gibt immer etwas zu verbessern. Es geht darum, in einem „panoptische(n) System wechselseitiger Beobachtung und Beurteilung“ eine „Dynamik permanenter Selbstoptimierung in Gang“38 zu setzen. Qualität kann stets verbessert werden: die Geburtsstunde des „Total Quality Management“ und des „360°-Feedback“. Bereits getroffene Entscheidungen müssen konsequent überdacht und wenn nötig revidiert werden. Das „unternehmerische Selbst“ hält, wie jeder Unternehmer, stets Ausschau nach neuen Möglichkeiten, eine zentrale Eigenschaft des Unternehmers ist die Findigkeit. Da jede Handlung eine Auswahl zwischen mehr oder minder attraktiven Optionen darstellt, ist das Nutzen von Gewinnchancen aber natürlich immer spekulativ und mit Risiken verbunden, da sich solches Kalkül auf eine Zukunft bezieht, die zwar abgeschätzt, aber nicht restlos erkannt werden kann.
Das unternehmerische Selbst kann sich mithin nur sehr bedingt auf vorliegende Pläne stützen, es muss sich bewähren gerade in dem, was noch nicht erprobt ist. Wie jeder Unternehmer trägt es enorme Risiken. „Nur weil viele den Ausgang ungewisser Handlungen oder Ereignisse falsch einschätzen, können jene, die dabei eine glücklichere Hand haben, Gewinne realisieren.“39 Auch der Konsum muss dabei übrigens als unternehmerische Tätigkeit verstanden werden, als Einsatz der knappen Ressourcen Zeit und Geld mit dem Ziel optimaler Befriedigung. Der Mensch steht unter ständigem Entscheidungszwang. Genau das aber macht ihn regierbar: „Wenn der Einzelne seinen Nutzen zu maximieren sucht, kann man seine Handlungen steuern, indem man deren Kosten senkt oder steigert und so das Kalkül verändert.“40
Die dunkle Seite des unternehmerischen Selbst wird deutlich: „die Unabschließbarkeit der Optimierungszwänge, die unerbittliche Auslese des Wettbewerbs, die nicht zu bannende Angst vor dem Scheitern“41. Wenn dann gar „Marktmechanismen gegenstrebige Impulse entweder absorbieren oder marginalisieren und das unternehmerische Selbst“ schließlich gar „mit der Norm konfrontieren, nicht konformistisch zu sein“42, wird es nur scheinbar tragikomisch, es treibt die Optimierungsspirale nur eine Windung höher. Depressive Erschöpfung, Ironisierung und passive Resistenz stellen nach Bröckling gängige Reaktionen darauf dar.
Das unternehmerische Selbst kann die Ansprüche, gerade jene, die es an sich selbst stellt, nie einlösen, es lebt im ständigen Vergleich mit anderen und in der Gefahr, ausgesondert zu werden. „Das Gefühl der Unzulänglichkeit … ist chronisch, die einschlägigen Therapien versprechen nicht Heilung, sondern Krisenabfederung durch gute Wartung.“43 „Im pharmakologischen Befindlichkeitstuning“ schließlich „hält der Selbstoptimierungsimperativ noch jene in seinem Bann, die an ihm verzweifeln.“44 Wer ironisch auf die Situation reagiert, enttarnt ihre Absurdität, spitzt die Widersprüchlichkeiten zu „und zieht so ins Lächerliche, was er nicht ändern kann“45. Aber selbst der Müßiggang ist mittlerweile „marktgängig geworden“46: Auch für die Abkehr von Erfolg und Reichtum gibt es Ratgeber.
3.
Die Regierungstechnik des kulturell hegemonial gewordenen Kapitalismus appelliert nun aber nicht nur an das unternehmerische Kalkül im Selbst, so sehr es dem Individuum auch vorspiegelt, auf dieser Ebene souverän zu agieren, und seinen sujet-Status verschleiert. Die kapitalistische Regierungstechnik arbeitet noch auf einer verborgeneren und schwerer zu erhellenden Ebene: jener der Gefühle und Sehnsüchte der Regierten. Kulturell hegemonialer Kapitalismus meint also nicht nur, dass sich die Logik und die Mechanismen des Marktes in immer mehr gesellschaftliche Teilsysteme ausbreiten und deren Eigenlogiken unterwandern und überformen, was natürlich offenkundig der Fall ist und wofür die Universität mit ihrem akademischen Kapitalismus,47 die öffentliche Verwaltung mit dem new public management48 und der Spitzensport paradigmatisch stehen.
Es geht vielmehr auch darum, „wie die Marktperspektive unsere Gefühlswelt beeinflusst“49. Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hatte bereits 1983 mit The Managed Heart. Commercialization of Human Feeling als eine der ersten eine empirisch basierte Studie dazu vorgelegt. Ihr Fazit: „Wir übertragen die Regeln und Muster unserer Gefühlsarbeit aus dem Leben auf dem Markt auf unsere nicht-marktförmigen Lebensbereiche. Wir leben unser nicht-marktförmiges Leben so, als ob wir einkaufen, Waren erwerben oder wegwerfen.“50
Russell Hochschild unterschied dabei noch „gespielte Gefühle“ von „realen Gefühlen“, das „wahre Selbst“ vom „falschen Selbst“51. Sighard Neckel weist in seiner Einleitung zur deutschen Neuauflage ebenso vornehm wie zu Recht darauf hin, dass diese Unterscheidung einige „kompliziertere Probleme“ aufwerfe. Denn auch „authentische Emotionen“ seien „soziale Konstrukte“, die von „gesellschaftlich erlernten Bewertungsmustern und Ausdrucksregeln schon mitgeprägt worden sind.“ Emotionen werden, so Neckel, „daher von feeling rules nicht erst nachträglich überformt“, sondern diese feeling rules „gehen bereits in die Konstitution unserer Gefühlswelt ein“52. Der „emotionale Kapitalismus unserer Zeit“, so Neckel, „steht ganz im Zeichen einer Optimierung der Gefühle zugunsten persönlicher Durchsetzungskraft und des Erfolgs im Marktwettbewerb. Aus der emotionalen Selbstfindung, die einst die postmaterialistische Phase der kulturellen Liberalisierung propagierte, wurde das emotionale Selbstmanagement, dem nichts wichtiger ist, als mentale Ressourcen für die Erlangung sozialer Vorteile zu nutzen.“53
Eva Illouz hat in ihren Studien zum „emotionalen Kapitalismus“54 diese Forschungslinie aufgegriffen und weitergetrieben. „Der emotionale Kapitalismus“, so dann Illouz, „ist eine Kultur, in der sich emotionale und ökonomische Diskurse und Praktiken gegenseitig formen.“55 Diese gleichstufige Wechselseitigkeit zu betonen ist wichtig. Denn sie bringt jene „breite Bewegung (hervor), die Affekte einerseits zu einem wesentlichen Bestandteil ökonomischen Verhaltens macht, andererseits aber auch das emotionale Leben … der Logik ökonomischer Beziehungen und Austauschprozesse unterwirft“56. Liebe in Zeiten des Kapitalismus ist eben Liebe in Zeiten des Kapitalismus – und nicht einfach Liebe.
Was für die Liebe, dieses scheinbar Innerste des spätmodernen Menschen, in Zeiten des Kapitalismus gilt, das gilt nun aber auch für die Religion und den Glauben in Zeiten des Kapitalismus: Sie werden von jenem geprägt, zutiefst und zuinnerst. Denn die Priorität, die Macht, die Dominanz liegen beim Kapitalismus. „Der heutige Hyperkapitalismus löst die menschliche Existenz gänzlich in ein Netz kommerzieller Beziehungen auf. Es gibt keinen Lebensbereich mehr, der sich der kommerziellen Verwertung entzöge. Der Hyperkapitalismus macht alle menschlichen Beziehungen zu kommerziellen Beziehungen.“57
Der kulturell hegemoniale Kapitalismus ist souverän, nicht zuerst, weil er sich, wie der Staat, des äußeren Machtapparates bemächtigt, sondern weil er sich der Menschen auf einer viel wirksameren Ebene bemächtigt, jener, die sie zu dem macht, was sie sind: Er bemächtigt sich ihrer Sehnsüchte und Hoffnungen, ihrer Ängste und Nöte. Er formt bereits Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute und dann befriedigt er sie, er gibt all dem Sprachen, Bilder und – Erfüllung: und das konkret und fassbar.
Der kulturell hegemoniale Kapitalismus arbeitet im Übrigen exakt dort, wohin sich auch die Kirchen gerettet hatten, als der moderne Staat ihnen als Souverän die äußere Macht nach und nach nahm: auf jener Sehnsuchts- und Gefühlsebene, die man christlich Frömmigkeit nennt. Der Protestantismus schrieb sie