Andreas Winter

Artgerechte Partnerhaltung. Das Geheimnis glücklicher und beständiger Liebe


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Warum fällt es einigen Menschen so schwer, sich endgültig zu trennen, obwohl die Beziehung von Streit und Misstrauen geprägt ist?

      Und nun die Antwort: weil konfliktfreie Zwischenmenschlichkeit an Reife gebunden ist und erlernt werden muss. Wie eine Fremdsprache. Beziehungs- oder Liebesfähigkeit und Sexualität sind nicht automatisch perfekt, reifen nicht von ganz allein. Sie führen ohne Training nicht zur erfüllten Partnerschaft, sondern werden durch unsere kindlichen Erfahrungen beeinflusst. Erlebte Konflikte mit Eltern und Geschwistern verhindern oft echte Liebe. Menschen versuchen unterbewusst, durch ihren Partner einen alten Konflikt mit einem Elternteil, mit Bruder oder Schwester zu lösen, oder suchen in ihrem Partner etwas, das dieser gar nicht erfüllen kann, weil er oder sie gar nicht gemeint ist.

      Hinzu kommt: Viele Menschen haben solch starke Minderwertigkeitsgefühle, dass sie sich selbst nicht mehr bedingungslos annehmen – und sich somit erst recht nicht auf andere einlassen können. Auch die Liebe zu sich selbst muss erlernt werden, um ein wertvoller Lebens- und Liebespartner zu sein. Je nachdem, von welchen Vorbildern wir lernen, leben, lieben – oder leiden wir.

      So erklärt sich plötzlich das Unerklärliche. Alle oben gestellten Fragen werden beantwortet, wenn man weiß, dass die soziale Komponente der Beziehungsfähigkeit die biologische überwiegt. So etwa, warum eine Frau, die einen gewalttätigen Vater hatte, sich unbewusst einen gewalttätigen Mann sucht – weil sie gelernt hat, dass ein solches Verhalten offenbar zu einem durchsetzungsfähigen Mann gehört. Nicht selten suchen sich solch traumatisierte Frauen auch einen überaus sanften und „lieben“ Mann und provozieren ihn so lange, bis er gewalttätig wird – nur um unbewusst die Gewalt des anderen kontrollieren zu können. Auch die Abkehr von einem Mann und die Hinwendung zu einer Frau kann die Folge einer maskulinen Gewalterfahrung sein. Jetzt wird klar, weshalb eine attraktive Frau jahrelang erfolglos auf Partnersuche ist und plötzlich den „Richtigen“ findet. Nachdem sie den psychologischen Grund ihrer Isolation verarbeitet hat, hält sie nicht mehr länger nach einem Vaterersatz Ausschau, sondern ist offen für einen Partner auf Augenhöhe. Nun ist es nicht weiter verwunderlich, warum sehr viele Menschen lieber für Sex Geld bezahlen, anstelle sich auf das Abenteuer einer auch sexuell gleichberechtigten Partnerschaft einzulassen. Isolation in einer Beziehung ist meist kein Pech, sondern die Folge einer tief sitzenden Angst.

      Ein Freund von mir sagte neulich: „Ich habe meine Traumfrau gefunden!“ Er schwärmte zehn Minuten lang von der intelligentesten, reflektiertesten, schönsten, verständnis- und liebevollsten Frau in seinem ganzen fünfzigjährigen Leben. „Ach?“, fragte ich. „Wann, wo und wie hast du sie kennengelernt?“ Und er (mit strahlendem Blick): „Gestern Abend in der Buchhandlung!“ Okay…gestern Abend…, dachte ich und fragte vorsichtig erneut nach. „Und wie?“ – „Na, ich fragte sie, ob sie einen Kaffee haben möchte.“ – „Ja und …?“ – „Sie sagte Nein!’“ – „Ja, und dann?“ – „Dann habe ich sie gefragt, ob sie Portugiesin ist, da hat sie aber auch Nein gesagt. Und sie sei verheiratet.“

      Jetzt traf mich wirklich der Schlag! Und obwohl diese Anmache an Direktheit wohl kaum noch zu überbieten war, ergab sich daraus ein stundenlanges und intensives Gespräch, und die beiden wollten sich wiedertreffen, obwohl sie verheiratet ist. Allerdings ist so etwas meines Erachtens eher die Ausnahme. Für gewöhnlich klopft man an, bevor man eintritt.

      Also: Was machen Sie, wenn Sie einem Menschen zum ersten Mal begegnen? Geben Sie ihm sofort Telefonnummer, Autoschlüssel, einen Kuss und Ihr Portemonnaie? Natürlich nicht! Sie „checken“ ihn zunächst. Erst einmal beschnuppern. Bis dahin bleibt man an der Oberfläche, tauscht sich thematisch über Dinge aus, bei denen man sich hoffentlich nicht auf den Schlips tritt: das Wetter, Musik, das Weltgeschehen oder bestenfalls noch Hobbys und gemeinsame Bekannte. Man will sich ja schließlich erst einmal kennenlernen.

      Kennenlernen? Wie lange dauert das eigentlich? Ein befreundeter Iraner erzählte mir diesbezüglich einmal: „Wir Moslems sagen, bis man jemanden wirklich kennengelernt hat, hat man ein Kilogramm Salz miteinander gegessen.“ In zeitliche Dimensionen übertragen, heißt das – wenn Sie nicht gerade eine Salz leckende Ziege sind – in etwa sieben Jahre. Sieben Jahre dauert es übrigens auch, bis ein transplantiertes Organ vom Empfängerkörper entweder angenommen oder abgestoßen wird. Also scheint das „Kennenlernen“ irgendwie tatsächlich an diese Zeit gebunden zu sein. Aber das auch nur, wenn Sie viel miteinander zu tun haben, weder Scheuklappen noch ein Brett vor dem Kopf haben und überdies nicht in die bösen Fallen der Projektion und der verzerrten Wahrnehmung tappen, denn diese verhindern echtes Kennenlernen.

      Unser Gehirn ist zwar nicht dumm, aber faul. Es arbeitet ununterbrochen, aber nur so viel wie nötig. Unsere Abermilliarden von Nervenzellen beginnen bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche, zu arbeiten und Umweltreize zu registrieren. Zu dieser Zeit – da weiß eine Mutter meist noch gar nicht, dass sie überhaupt schwanger ist – beginnt unser Herz zu schlagen, und unsere ersten Nervenzellen entwickeln sich. Mit Letzteren sind wir in der Lage, Neurotransmitter – das sind die chemischen Botenstoffe, die im mütterlichen Gehirn für Gefühle sorgen – zu registrieren. Allerdings gibt es in der Gebärmutter noch nicht allzu viele spürbare Erfahrungen – es ist für den Follikel immer einigermaßen gleich warm und gleich dunkel. Doch ab diesem Zeitpunkt ist der kleine Zellknubbel, der zweieinhalb Wochen später unser Nervenzentrum ist, bereits in der Lage, zu spüren, ob sich Stresshormone, Glückshormone, Schlafhormone oder etwa Drogen in seiner Umgebung befinden. Das Kind tritt in Interaktion mit dem mütterlichen Körper. Es beginnt, im weitesten Sinne, zu denken! Nach etwa weiteren sechs Wochen nennt man diesen kleinen „Haufen“ von Nervenzellen, der sich stetig weiterentwickelt, bereits „Gehirn“. Im Alter von etwa fünf Monaten bekommt das Kind sogar eine ganz genaue Vorstellung davon, ob es im Bauch willkommen ist oder etwa ungewollt. Es braucht sich lediglich beim mütterlichen Organismus bemerkbar zu machen, etwa indem es sich herumdreht oder von innen gegen Mutters Bauchdecke tritt. Das tut es ab diesem Zeitraum für gewöhnlich und bekommt darauf die Antwort seiner Mutter in Form von Neurotransmittern, die durch die Nabelschnur direkt zum embryonalen Gehirn rasen und ihm die gleichen Gefühle ermöglichen, die seine Mutter empfindet. Entweder sie freut sich, ihr Kind zu spüren, dann bekommt dieses einen Endorphinstoß, der als Glücksgefühl wahrgenommen wird, oder sie ist verzweifelt, weil sie gar kein Kind will; dann spürt der Embryo einen Adrenalinstoß. Dieses Stresshormon wird von einem Ungeborenen fast wie ein Stromschlag empfunden. Wenn das Kind diese Erfahrung ein paar Mal gemacht hat, schlussfolgert es, dass es offenbar eine ganz schlechte Idee ist, sich allzu deutlich bemerkbar zu machen.

      Depressionen und Introvertiertheit nehmen somit ihren Ursprung bereits vor der Geburt, bedingt durch die sich zunehmend ausbildende Verschaltungsfähigkeit, „Intelligenz“ genannt. Und mit dieser Intelligenz ordnen wir unsere Welt. Wenn Sie also monatelang im Bauch Ihrer Mutter beispielsweise die Erfahrung machten, dass Vaters Stimme mit endorphinbedingten Glücksgefühlen einhergeht (Sie wissen ja nicht, dass es Mutters Gefühle sind), dann schlussfolgern Sie leichtfertigerweise, Ihr Vater würde Sie lieben – dabei war er lediglich in Ihre Mutter verliebt. Mit diesem Wahrnehmungsmuster werden Sie dann aber ein ganz langes Gesicht machen, wenn sich herausstellen sollte, dass Ihr Vater Ihnen nicht die „versprochene“ Beachtung schenkt. Denn nach der Abnabelung bleibt der gewohnte Endorphin-Kick aus, und Sie empfinden ein Aufmerksamkeitsdefizit.

      Dieses Frustrationserlebnis übertragen Sie als Frau, wenn Sie Pech haben, auf alle künftigen Männer, die einem Vater-Muster entsprechen. Die tragische Folge kann sein, dass Sie nun in Ihrer Partnerschaft wie ein Luchs darauf lauern, dass Ihr Partner Sie ignoriert, nur weil Sie ein neuronales Muster hierfür angelegt haben. Dass er sich möglicherweise für Sie mehr interessiert als für jeden anderen Menschen, entgeht Ihnen dann leider. Auch die Suche nach einem deutlich älteren Partner, der dem Vater-Muster entspricht, gehört in diesem Zusammenhang erwähnt. Diese vorgeburtlichen Verknüpfungen habe ich mit meinem Team in den letzten Jahren sehr gründlich erforscht, und ich kann Ihnen sagen, dass nahezu alle ungelösten Dauerbaustellen im Leben eines Menschen auf embryonale Traumatisierungen zurückzuführen sind. Mit dem passenden psychologischen Werkzeug sind sie dann auch wieder lösbar.