nur die gesamte wissenschaftliche Literatur sichten, sondern Landkarten erstellen, die Politikern gangbare Wege zur Begrenzung des Klimawandels aufzeigen sollten. Mehrere hundert Alphatiere, Sonderlinge, tatsächliche Genies und solche, die sich selbst unter Genieverdacht stellten, mussten ermuntert, beruhigt, erheitert und unterhalten werden. Sie alle brachten mich an die Grenzen meiner psychologischen und pädagogischen Fähigkeiten und rangen mir eine neue Hochachtung vor Erziehern, Sozialpädagogen und Lehrern ab.
Gemeinsam mit den anderen Vorsitzenden des Weltklimarates musste ich mit 194 Staaten die Zusammenfassung für Entscheidungsträger verhandeln und im Konsens verabschieden: Der permanente Schlafentzug, anhaltender Druck, Drohungen und Lockungen stellten meine physische und psychische Kraft auf eine harte Probe. Ich habe geflucht, geklagt und gelitten. Aber am Ende war es geschafft: Wir hatten die wissenschaftlichen Grundlagen für das Abkommen von Paris im Jahr 2015 gelegt. Die Einsichten des Weltklimarates lassen sich einfach zusammenfassen: Es steht der Menschheit nur noch ein begrenztes Kohlenstoffbudget zur Verfügung, wenn der Klimawandel begrenzt werden soll. Wir bräuchten nicht einmal eine Klimapolitik, wenn die fossilen Ressourcen im Boden – Kohle, Öl und Gas – kleiner wären als der Deponieraum der Atmosphäre. Steigende fossile Ressourcenpreise würden dafür sorgen, dass die Menschheit auf den Pfad der klimapolitischen Tugend gezwungen wird. Die globalen fossilen Ressourcenmärkte würden die Klimapolitik ersetzen. Leider ist die Realität eine andere: Wir haben etwa 15.000 Gigatonnen Kohle, Öl und Gas im Boden. Die globalen Ressourcenmärkte werden daher das Klimaproblem nicht lösen. Dem Klimaproblem kann nur durch einen internationalen Vertrag erfolgreich begegnet werden, der die Nutzung des verbleibenden Deponieraumes in der Atmosphäre regelt.
Diese grundlegende Einsicht, dass die Atmosphäre ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist, das einer weltumspannenden Regelung bedarf, habe ich in den Entwurf des Fünften Sachstandsberichts geschrieben. Die gesamte Wissenschaftsgemeinschaft hat dem zugestimmt. Am Ende haben jedoch die Regierungen dafür gesorgt, dass diese Formulierung in eine Fußnote verbannt wurde. Manchmal werden Revolutionen und Schlachten in Fußnoten gewonnen.
Die Atmosphäre ist ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit, das einer weltumspannenden Regelung bedarf.
LAUDATO SI‘ UND DIE BEGEGNUNG MIT PAPST FRANZISKUS
Wenige Monate nach der Verabschiedung unseres Berichtes, im Juli 2014, saß ich schließlich dem Mann in Rom gegenüber, der aller Welt laut und klar verkünden sollte: Die Atmosphäre ist ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit (Laudato si‘ Nr. 23). Papst Franziskus lud mich ein, um mit ihm über die Fragen der Klimapolitik zu sprechen. Wir tauschten uns ausführlich über das Konzept der globalen Gemeinschaftsgüter, über die Eigentumslehre der Kirche und über Romano Guardini aus.
Die Begegnung mit Papst Franziskus war denkwürdig in jeder Hinsicht. Ich hatte zwei Gastgeschenke im Gepäck. Wie es sich für einen deutschen Professor gehört, schenkte ich ihm die englische Ausgabe unseres Buches „Global, aber gerecht“ und ich brachte eine Zeichnung mit, die meine Tochter für ihn gemalt hatte.
Für mein Buch hat sich der Papst höflich bedankt, sein wirkliches Interesse galt jedoch dem Bild meiner Tochter Sarah. Ich trete meiner Tochter nicht zu nahe, wenn ich sage, dass dieses Bild technisch nicht in jeder Hinsicht ein Meisterwerk war. Aber der Papst betrachtete es lange und sagte, er finde in dem Spiel von Licht und Dunkelheit die Situation von Kirche und Welt treffend wieder. Auch ein kleines Licht mache die Dunkelheit heller.
Als ich von meiner Romreise zurückkam, lag in unserem Briefkasten ein Brief aus dem Vatikan, in dem Papst Franziskus sich bei Sarah für das Bild mit den Worten bedankte: „Liebe Sarah, vielen Dank für dein kleines Gemälde. Es hat mir sehr gefallen. Bete für mich. Gott segne Dich. Franziskus“. An der Echtheit des Briefes konnte kein Zweifel bestehen, dennoch war meine Tochter gar nicht so leicht davon zu überzeugen, dass der Papst aus Rom ihr einen Brief geschrieben hatte. Sie fragte mich, wie viele Päpste es eigentlich gäbe und ob der Papst katholisch sei. Der Wert dieses Briefes ist für meine Tochter beträchtlich gestiegen, seit ich sie davon überzeugt habe, dass wir nur einen Papst haben und – entgegen mancher Unkenrufe – unser Papst auch katholisch ist.
GLOBALE GEMEINSCHAFTSGÜTER – DIE FRAGE DER EIGENTUMSRECHTE
Auch jenseits des medialen Interesses wird diese Enzyklika in der kirchlichen Soziallehre eine überragende Stellung einnehmen, die nur noch mit Rerum novarum vergleichbar ist. Mit dieser Enzyklika hat die Kirche 1891 begonnen, sich an der Reform des Kapitalismus zu beteiligen.
Oswald von Nell-Breuning, Nestor der katholischen Soziallehre, dem 1972 der Romano Guardini Preis verliehen wurde, hat die Sozialpflichtigkeit des Eigentums unter den Bedingungen des Kapitalismus so ausgelegt: Die „allgemeine Bestimmung der Erdengüter“ ist dem Privateigentum vor- und übergeordnet. Alle Menschen sollen grundsätzlich an der Nutzung der Erdengüter teilhaben können. Die Institution des Privateigentums ist nur insofern legitim, als sie dieser allgemeinen Bestimmung der Erdengüter gerecht wird.
Diesen Grundgedanken erweitert Laudato si‘ auf die globalen Umweltprobleme des 21. Jahrhunderts: Die Übernutzung der natürlichen Senken wie eben der Atmosphäre, der Ozeane oder der Wälder rechtfertigt die Einschränkung privater oder nationalstaatlicher Nutzungsrechte. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter ErnstWolfgang Böckenförde fordert darüber hinaus, dass das Aneignungsrecht von Ressourcen durch das Solidaritätsprinzip begrenzt werden muss. Eine Begrenzung der Nutzungsrechte an der Atmosphäre ist demnach sozialethisch nur dann zu vertreten, wenn die Lasten zwischen Ländern gerecht verteilt werden.
DER NEUZEITLICHE MACHTGEBRAUCH – ROMANO GUARDINI
Man hat Laudato si‘ nicht nur ein romantisches Wirtschaftsverständnis unterstellt, sondern auch eine geradezu technikfeindliche Haltung. Ich bestreite nicht, dass sich da und dort Formulierungen finden, die eine solche Interpretation nahelegen. Die Enzyklika Laudato si‘ verweist hier auf Romano Guardini, mit dessen Thesen sich dieser Vorwurf nicht nur entkräften, sondern ein zukunftweisendes Konzept des Umgangs mit dem technischen Fortschritt entwickeln lässt.
Denn nach Romano Guardini ist das Problem der neuzeitlichen Technik gerade nicht, dass dem Menschen eine zu große Macht zuwächst. Im Gegenteil, der Machtzuwachs durch die Technik wird grundsätzlich positiv und produktiv bewertet. Das Problem des neuzeitlichen Machtgebrauchs besteht für ihn darin, dass dieser Machtzuwachs verleugnet wird. Der neuzeitliche Mensch konstruiert sich einen Determinismus, dem die Entwicklung und Anwendung von Techniken folgen muss. Aber genau darin liegt für ihn der Grund der Entfremdung, weil technischer Fortschritt nicht als ein Zugewinn an Freiheit, sondern als Zwang erlebt wird. Wenn wir erwachsen werden wollen, so Guardini, sollten wir nicht vor dem Machtzuwachs der Technik zurückschrecken, sondern die erhöhte Verantwortung bejahen. Verantwortung heißt ja, dass wir rechenschaftspflichtig sind. Die Herausforderung der Post-Moderne besteht aber gerade darin, dass wir nicht nur Rechenschaftspflichten gegenüber denen haben, die heute leben – auch wenn sie räumlich weit entfernt sind, sondern auch denen gegenüber, die noch gar nicht geboren sind – also gegenüber den kommenden Generationen.
ZWISCHEN FATALISMUS UND HYBRIS – VOM UMGANG MIT DEM ENDE DER GESCHICHTE
Damit stellt sich aber ein grundlegendes Problem unseres Machtgebrauchs: Ist es nicht Hybris, dem Turmbau von Babel vergleichbar, diese Verantwortung tragen zu wollen? Kann der Mensch das Klima steuern und zugleich disruptive Innovationsprozesse meistern? Sind Erdsystemforscher am Ende nicht Irrende, die glauben, die Welt aus eigener Kraft retten zu können? Hat das 20. Jahrhundert nicht schon genug Weltrettungspläne gesehen, die allesamt auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind?
Hier wird implizit oder explizit eine Maxime kritisiert, wonach der Mensch nach dem Höchsten streben soll, auch wenn er weiß, dass er es aus eigener Kraft nicht erreichen kann. Ein Christ, so könnte man vermuten, darf nicht nach dem Höchsten streben, weil dies einer vermeintlichen Demut widerspräche.
Die beste Tradition der christlichen Spiritualität spricht hier eine andere Sprache, die den Menschen zu einer nahezu verwegenen Kühnheit verführen will. So schreibt Ignatius von Loyola: „Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg der Dinge ganz von Dir, nicht von Gott abhinge; wende dennoch dabei alle Mühe so an, als ob du nichts,