Heinz Nauer

Fromme Industrie


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und Gewerbe

      Die Einwohner in den Vierteln lebten im 18. und 19. Jahrhundert hauptsächlich von der Viehwirtschaft und exportierten Milchkühe nach Norditalien. Der sogenannte «Welschlandhandel» war in der Region bis Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet und zeigte sich erstaunlich krisenresistent.57 Ein Zusatzeinkommen konnten sich die Bauern in den Vierteln mit saisonaler Heimarbeit verdienen. Einsiedeln wurde bereits im 18. Jahrhundert eine wichtige Werkstätte für die Zürcher Baumwollindustrie. Auch der Abbau von Torf brachte einigen Familien ab den 1740er-Jahren ein zusätzliches Einkommen. In den ausgedehnten Moorlandschaften der Region konnten jährlich bis zu 30 000 Kubikmeter abgebaut werden, wovon um 1800 rund ein Drittel in umliegende Regionen, vor allem in den Kanton Zürich, exportiert wurde.58

      Das vom Kloster und von der Wallfahrt geprägte Dorf Einsiedeln bildete ein regionales Zentrum mit kleinstädtischer Gewerbevielfalt, die an Dichte und Diversität alle anderen Schwyzer Orte, inklusive den Hauptort Schwyz, übertraf. Stark vertreten waren Nahrungsmittel- und Gastgewerbe. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts zählte Einsiedeln zwanzig Bäcker und zehn Metzger, nicht weniger als 61 Wirtshäuser und 14 Weinschenken. Thomas Meier spricht für das 18. Jahrhundert von einem «wohl schweizweit beispiellosen starken Dienstleistungssektor».59

      Gut vertreten war auch die Bekleidungsbranche. Im Jahr 1772 zählte Einsiedeln 21 Weber- und Schneidermeister. Metzger und Bäcker, Schneider und Weber sowie die ebenfalls zahlreichen Schuhmacher und weitere Gewerbe hatten sich in Einsiedeln 1731 in Zünften organisiert. Bereits seit 1651 bestand eine Handwerkszunft. Wichtig für das Einsiedler Gewerbe war auch eine Ziegelhütte am Fluss Alp. Für das 18. Jahrhundert aktenkundig sind zudem vier Sägereien, drei Schmieden, ein Gerbereibetrieb sowie insgesamt nicht weniger als 14 Mühlen.60

      Im 18. und 19. Jahrhundert war auch die Bearbeitung von Baumwolle ein wichtiger Wirtschaftszweig. Bis etwa 1830 gehörten die «knurrenden» Spindeln beim Baumwollspinnen auch in Einsiedeln «zur obligaten Hausmusik».61 Die Auftraggeber stammten vor allem aus dem Kanton Zürich. In der Seidenverarbeitung etablierten sich im 18. Jahrhundert aber vereinzelt auch Unternehmen in Schwyz und später in Gersau, die ihre Rohstoffe im Kanton, unter anderem in Einsiedeln, verarbeiten liessen.62

      Das Dorf im Schatten des Klosters

      All dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Einsiedler Wirtschaftsleben bis 1798 weitgehend im Schatten des Klosters abspielte. Das Kloster war zum einen der mit Abstand grösste Arbeitgeber der Region. Es bildete ein eigenständiges Gewerbezentrum. Unter der Aufsicht des Statthalters und grösstenteils innerhalb des Klosterbezirks übten teils eigenes Personal, teils Leute aus dem Dorf unterschiedlichste Gewerbe aus: sei es für die Selbstversorgung mit Lebensmitteln, Werkzeugen oder Textilien, sei es für den Unterhalt von Gebäuden und Gerätschaften oder für den Verkauf. Die klösterlichen Gewerbetreibenden waren Müller, Bäcker, Metzger und Köche, Schneider, Weber, Schmiede, Schreiner, Wagner, Küfer, Gerber, Ziegler und andere mehr. Des Weiteren betrieb das Kloster eine bedeutende Pferdezucht, deren Ursprünge bis ins 16. Jahrhundert zurückreichten. Im Jahr 1841 umfasste der klösterliche Pferdebestand 153 Tiere.63 Auch betrieb das Kloster mehrere Landwirtschaftsbetriebe und exportierte Holz.64

      Zum anderen besass das Kloster in vielen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens eine Monopolstellung und kontrollierte die wichtigsten Gewerbe («Ehafte») des Dorfs. Wer ein sogenannt «ehaftes» Gewerbe ausüben wollte, musste beim Kloster eine Konzession beantragen. Zu den «Ehaften» gehörten neben der Metzgerei, Pfisterei, Gerbe, Säge, Schleife und anderen auch das Buchdruckergewerbe sowie der Handel mit Wachsprodukten, Silberwaren und Devotionalien.65

      Wenden wir uns nun einen Moment dem historisch wenig untersuchten Devotionalienhandel sowie der Klosterdruckerei zu. Die Einsiedler Chronik von 1752 nennt ein breites Angebot von Devotionalien, die in Einsiedeln verkauft wurden, darunter allerlei Wachswaren, Andachtsbilder, Rosenkränze, Messingwaren und Öl aus den brennenden Ampeln in der Gnadenkapelle.66 Krämer aus dem Dorf, die diese Waren verkaufen wollten, mussten ihre Läden vom Kloster bewilligen lassen und eine Standmiete bezahlen. Die strenge Reglementierung des Krämerhandels führte immer wieder zu Konflikten. Ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert haben sich zahlreiche Krämerverordnungen erhalten, die dokumentierten, wie das Kloster versuchte, den einträglichen Verkauf von Wallfahrtsartikeln zu reglementieren und zu kontrollieren.67

      Die erste Druckerei in Einsiedeln wurde 1664 im Kloster eingerichtet. Der Betrieb umfasste bald vier, später sechs Pressen. Das Kloster betrieb einen weitläufigen Buchhandel. Handelsreisende («Kolporteure») verkauften die Bücher aus dem klösterlichen Verlag in Süddeutschland, Österreich, Norditalien und im Elsass. Bis 1798 wurden insgesamt rund 1200 Titel im klostereigenen Verlag herausgegeben. Druck, Verlag und Vertrieb lagen alle in derselben Hand beim Kloster. Die Autoren der verlegten Werke waren meist Geistliche aus dem eigenen Konvent. Zum Verlagsprogramm gehörten neben Katechismen, Andachts-, Gebet-, Messbüchern und theologischer Literatur vor allem Schul- und Lehrbücher. Besonders zu nennen sind darüber hinaus die «Einsiedler-Chroniken», eine Mischform zwischen religiösem Erbauungs- und Geschichtsbuch.68

      Daneben wurden auch zahlreiche Akzidenzarbeiten wie Bruderschaftszettel, Predigten, Wallfahrts-, Gebets- und Liederzettel gedruckt. Zusätzlich bestand ein Bilderverlag mit rund 300 verschiedenen Bilderausgaben in Kupfer- und Holzstich. Für den Verkauf in der eigenen Buchhandlung im «Wechsel» im Nordflügel des Klosters wurden auch Titel anderer Verlage angeschafft, neben theologischer Literatur und Gebetbüchern vor allem volkstümliche religiöse Kalender sowie Ausgaben antiker Klassiker.

      Mit der Druckerei verbunden war die Buchbinderei. Die meisten Buchbinder, zwischen zehn und zwanzig an der Zahl, verrichteten ihre Arbeit zu Hause. In einzelnen Fällen erhielten sie eine Konzession des Klosters, die es ihnen erlaubte, Bücher aus dem Klosterverlag auf eigene Rechnung an die Pilger zu verkaufen. Auch im Falle des Druckergewerbes wusste das Kloster seine Monopolrechte durchzusetzen. Einzelne Versuche von Angestellten, im Dorf ein eigenes Druckereiunternehmen zu gründen, bekämpfte das Kloster rigoros.69

      Im Jahr 1798 verlor das Kloster seine alten Monopole schlagartig. Nach kleineren Gefechten in der näheren Umgebung zogen am 3. Mai 1798 französische Truppen in Einsiedeln ein. Das Kloster Einsiedeln war den französischen Revolutionsführern schon länger ein Dorn im Auge: Es hatte sich nicht nur publizistisch gegen die Französische Revolution betätigt, sondern auch zahlreichen aus Frankreich geflüchteten Klerikern Zuflucht gewährt. Die meisten Konventualen flüchteten nur wenige Tage vor der Invasion der französischen Truppen in befreundete Klöster in Österreich, Schwaben und Norditalien. Das Kloster wurde am 17. September 1798 offiziell aufgehoben. Nachdem sich die Lage etwas entspannt hatte, kehrten die ersten Mönche bereits 1801 an ihre alte Wirkungsstätte zurück. Zwei Jahre später wurde das Kloster durch die helvetische Mediationsakte offiziell wiederhergestellt.70 Seine wirtschaftlichen Vorrechte hatte es aber verloren. Mehrere Versuche, das regionale Wirtschaftsleben wie ehedem zu kontrollieren, blieben auf lange Sicht erfolglos.

      Die Jahre um 1800 als Take-off

      Der Franzoseneinfall war für die Einsiedler Bevölkerung traumatisch. Die Wallfahrtsströme versiegten fast vollständig. Die Bevölkerung sah sich so ihrer wichtigsten wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt. Viele sahen sich zur vorübergehenden Emigration gezwungen. Auf längere Sicht stärkten die Umwälzungen in den Jahren um 1800 allerdings die politischen Rechte und die wirtschaftlichen Möglichkeiten Einsiedelns und seiner Bevölkerung. 1803 wurde die ehemalige «angehörige» Landschaft Einsiedeln zu einem von damals insgesamt sieben gleichberechtigten Bezirken im Kanton Schwyz.

      Nachdem sie von den wirtschaftlichen Einschränkungen durch das Kloster befreit und innerhalb des Kantons rechtlich gleichgestellt war, blühte die regionale Wirtschaft regelrecht auf. Verschiedene Unternehmungen, auf die das Kloster früher ein Monopol beansprucht hatte, beispielsweise das Druckergewerbe, der Buch- und Bilderhandel sowie die Wachsproduktion, wurden nun «privatisiert» und gingen in die Hände von Dorfbewohnern über. Ehemalige Klosterangestellte beteiligten sich auffallend häufig an der Gründung neuer Geschäfte.71