Kummers. Darum sind auch die Harzbäume, wie Tannen und Fichten, Dionysos besonders geweiht, die Harze überhaupt von hoher religiöser Bedeutung und kultischer Anwendung.
Die Welt des Mythos spiegelt die Todesverfallenheit der Natur, die wiederum auf den menschlichen Geist abfärbt:
Überall zeigt sich dieselbe Grundidee: das Leben ist zugleich der Tod; Venus auch Libitina; Aphrodite auch die Menschenmörderin; der Mond zugleich die Quelle des Werdens und des Vergehens, lieblich und weiß in jener, häßlich, erschreckend und schwarz in dieser Funktion.
Die Ambivalenz seines Lichts zeigt sich noch gegen Ende von Kafkas Prozess (399), bei der Hinrichtung des Protagonisten in einem kleinen Steinbruch:
Überall lag der Mond mit seiner Natürlichkeit und Ruhe, die keinem andern Licht gegeben ist.
Sich im Spiegel der Natur erkennen zu können, war noch dem Menschen Kafkas gegeben, wie einem Zeitalter zuvor Büchners Lenz. Dem Zeitgenossen Kafkas, dem Menschentypus Heideggers nicht mehr, mochte es ihn auch aus der Welt der Technik in die Natur zurückziehen, die Schönheit der Landschaft faszinieren. Die Bejahung des Todes ist es, die über Heideggers Philosophie hinaus im zwanzigsten Jahrhundert um sich greift, das Früchte des Todes zeitigte, wie kein Jahrhundert zuvor. Selbst das Barockzeitalter, das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, verharrt gewissermaßen an der Schwelle von Trauer und Tod, wie Benjamin im Trauerspielbuch konstatiert (GS I:1, 318):
Denn die tiefer Schürfenden sahen sich in das Dasein als ein Trümmerfeld halber, unechter Handlungen hineingestellt. Dagegen schlug das Leben selbst aus. Tief empfindet es, daß es dazu nicht da ist, um durch den Glauben bloß entwertet zu werden. Tief erfaßt es ein Grauen bei dem Gedanken, so könne sich das ganze Dasein abspielen. Tief entsetzt es sich vor dem Gedanken an den Tod. Trauer ist die Gesinnung, in der das Gefühl die entleerte Welt maskenhaft neubelebt, um ein rätselhaftes Vergnügen an ihrem Anblick zu haben. Jedes Gefühl ist gebunden an einen apriorischen Gegenstand und dessen Darstellung ist seine Phänomenologie. Die Theorie der Trauer, wie sie als Pendant zu der von der Tragödie sich absehbar zeigte, ist demnach nur in der Beschreibung jener Welt, die unterm Blick des Melancholischen sich auftut, zu entrollen.
Jene Welt zu wahren, bildet das Anliegen des Melancholikers, wie ihn noch Jahrhunderte später Benjamin selbst verkörperte. Doch der Umschlag zeichnet sich bei Nietzsche ab, wie wir in Auferstehung Jesu Christi als messianische Zeugung ausführlich darlegten: in Gestalt einer Trauer, die sich in Hass verwandelt, um alles Gegenwärtige dem Tod zu überantworten, der das letzte Wort behält.
Woran Nietzsche jedoch noch litt, ja, worüber er als Mensch zerbrach, das brach sich in Heideggers Werk die Bahn: die Bejahung des Todes, eines schuldhaften Todes, der weder Sühne noch Erlösung kennt. Die Totenstille – kein Drama, wie noch bei Büchner, mehr, sondern das Desiderat eines Denkers, der sich mit der Verabsolutierung des Todes ein Denkmal zu setzen suchte. Das ist der Ausgangspunkt unserer theologischen Deutung der Moderne, die zugleich Aufklärung und Enthüllung [= Apokalypsis], Enthüllung im Lichte der Offenbarung bedeutet, wenn man so will: ein fortgeschriebener Kommentar zum letzten Buch der Bibel. Doch nicht allein zu ihm, wie dem Schlusskapitel von »Eine commode Religion« zu entnehmen ist: Wie wir nach 2 Kor 3,18 mit enthülltem Antlitz die Herrlichkeit des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi widerspiegeln, zeigt sich nun nur an der Schönheit der Angeklagten in Kafkas Prozess, wie es da heißt: »eine merkwürdige, gewissermaßen naturwissenschaftliche Erscheinung«. Wassili Grossman, von Haus aus Chemiker, blieb es vorbehalten, sie in Leben und Schicksal, der Chronik eines leidgeprüften Volkes, zu entschlüsseln: auf den Gesichtern, ja den Rücken der Angehörigen der Inhaftierten der Lubjanka, deren Leid sich auf ihren Gesichtern spiegelte.
Das ist die Wirklichkeit, die eine Philosophie des Todes ebenso verschweigt wie eine Erinnerungskultur, die sich damit begnügt, mit Kranzniederlegungen der Toten zu gedenken. Theologie aber beruht nicht allein auf dem Eingedenken, ja, nicht einmal auf dem Glauben der Menschen, der erschüttert werden kann. Sondern im Bewusstsein der lebendigen Gegenwart dessen, was einmal geschehen ist – so die Antwort Jesu auf die Frage nach der Auferstehung der Toten (Lk 20,37 f.):
Dass aber die Toten auferstehen, hat schon Mose in der Geschichte vom Dornbusch angedeutet, in der er den Herrn den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt [Ex 3,6]. Er ist doch kein Gott von Toten, denn von Lebenden; denn für Ihn sind alle lebendig. Denn aus menschlicher Sicht ist das Vergangene abgeschlossen. Keine noch so getreue Rekonstruktion, nicht einmal die Geschichte in Form des Eingedenkens macht die Toten lebendig. Lebendig sind sie in der Gegenwart Gottes, dem das Antlitz des Menschen, insbesondere des leidenden Menschen, unvergessen ist: als Abglanz »des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi« (2 Kor 4,6), seines leidenden und auferstandenen Sohnes. Nicht um ein Phänomen der Mystik handelt es sich, eher um eine »gewissermaßen naturwissenschaftliche Erscheinung«, weil aus dem Antlitz des Menschen sein einmaliges und einzigartiges Leben spricht, dem der Tod wohl ein Ende setzen, jedoch niemals auslöschen kann, mögen die Täter ihre Opfer auch nummerieren und einäschern, um ihre Namen aus dem Buch der Geschichte zu löschen. Vor dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den ein Heidegger – wie gleich zu lesen ist – nicht umsonst verhöhnt, spielt sich die Geschichte nicht in Jahren oder Epochen ab, sondern in lebendigen Bildern, wie sie allein große Literatur festzuhalten vermag: in Bildern von einer Schönheit, die jedes menschliche Schönheitsideal übersteigt, weil auf sie das Licht der Erlösung fällt.
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