für die Sünde. Sie kasteien den Leib, um ihn gleichsam für die Auferstehung „vorzubereiten“. Letztlich ist das „Leibliche“ auch für sie minder-wertig.
Thomas von Aquin hat die biblische Tradition der seelisch-leiblichen Einheit des Menschen in seiner Theologie ausdrücklich aufgegriffen. Er sieht den Menschen ganzheitlich als Geschöpf Gottes in seiner Geist-Seele-Leib-Wirklichkeit (S. th. I, 76). Die erlösende Zuwendung und Liebe Gottes wendet sich dem ganzen Menschen zu, seiner Seele, seinem Geist und seinem Leib, vor allem in der Menschwerdung seines Sohnes Jesus.
Seit Thomas ist das biblisch-ganzheitliche Verständnis in der christlichen Anthropologie neu verankert, wenn es auch immer wieder durch neuplatonische, stoische und moralisierende Einflüsse in Frage gestellt wird.
Zu erwähnen ist noch die Mystik, in der eine ambivalente Einstellung zur Leiblichkeit zu beobachten ist. Das zeigt sich z. B. in der Fragestellung, ob Mystiker über alle Geschöpflichkeit hinaus mit Gott in sich in Berührung kommen oder ob Mystiker „nur“ in der geschaffenen Welt von Bildern und Wahrheiten und in der konkreten Menschwerdung Jesu Gott erfahren können. Sudbrack schreibt dazu: „Jede Mystik hat es mit Bildern zu tun. Aber sie besteht im ständigen Überschreiten der Bilder, besser gesagt: in deren Öffnung für die geistige Welt, die sich im Bild verleiblicht“ (Sudbrack, 148).
Der Mensch begegnet Gott in vermittelter Unmittelbarkeit auch in der Schöpfung und vor allem im menschgewordenen Gottessohn Jesus Christus (Sudbrack, 150). So sprechen sich Bernhard von Clairvaux, Teresa von Avila u. a. in kritischer Auseinandersetzung mit der platonischen Stufenlehre gegen ein rein geistiges Beten aus, weil dadurch das Menschliche und damit auch die Menschwerdung Gottes letztlich abgewertet werden.
Die dualistischen Denkformen der Neuzeit gehen vor allem auf Descartes und seine res cogitans und res externa und auf I. Kant mit seinen drei Säulen „Vernunft – Verstand, Verstand – Sinnlichkeit, Pflicht – Neigung“ zurück. In der Aufklärung und auf andere Weise im Pietismus hat sich ein „dualistisches Ideal“ menschlicher Lebensführung, „vernunftmäßig und beherrscht zu leben“, durchgesetzt. D. h., alle nach außen drängenden Gefühle, insbesondere die aggressiven Antriebskräfte, Ärger, Wut, Zorn und Leidenschaft, müssen unterdrückt werden, um einen möglichst hohen Grad an „Vollkommenheit“ zu erreichen und so dem Willen Gottes zu entsprechen.
Die Abwertung der Leiblichkeit und die Unterdrückung der Emotionen hat u. a. zu der sogenannten negativen Aszese geführt, die eine falsch verstandene Selbstverleugnung zur ausschließlichen Tugend erklärt und als Nachfolge des leidenden Jesus betrachtet.
Unterdessen wissen wir, wie wichtig die aggressiven Antriebskräfte, die in die Aus-ein-ander-Setzung führen, und damit auch Gefühle wie Wut, Ärger und Zorn für die Entwicklung der Ich-Stärke und der persönlichen Identität sind. Werden sie unterdrückt, wird eine gesunde Persönlichkeitsentfaltung und Selbstwerdung des Menschen eher behindert oder gar verunmöglicht. Ferner besteht die Gefahr, dass die Abwertung des Leiblichen und die Unterdrückung von Gefühlen allgemein und insbesondere von lebensfördernden Aggressionen zu einer Vermeidung von konstruktiven Auseinandersetzungen im religiösen Leben und im kirchlichen Bereich führen können.
5.3. | Die wiedergewonnene ganzheitliche Sicht des Menschen |
Das 2. Vatikanische Konzil orientiert sich wieder eindeutig an dem ganzheitlichen Menschenbild der Bibel und betrachtet den Menschen als „Geist in Leib“. Durch seine Leiblichkeit vereint der Mensch die „Elemente der stofflichen Welt in sich: Durch ihn erreichen diese die Höhe ihrer Bestimmung und erheben ihre Stimme zum freien Lob des Schöpfers. Das leibliche Leben darf also der Mensch nicht geringachten; er muss im Gegenteil seinen Leib als von Gott geschaffen und zur Auferstehung am Jüngsten Tage bestimmt für gut und der Ehre würdig halten“ (Rahner/Vorgrimler, 460 f.).
Leib und Leiblichkeit sind für den Christen vom Glauben her als Geschenk Gottes grundsätzlich positive Werte. Durch die „Fleisch-Werdung“ des Sohnes Gottes, der uns in allem gleich wurde, außer der Sünde, ist der Wert des Leibes noch einmal unterstrichen worden und, wie die Bibel sagt, „geheiligt als Tempel Gottes“ (1 Kor 3,16). Gefühle und auch die aggressiven Lebensenergien haben ihren Sitz im Körper. Erst der Leib ermöglicht, dass sie sich bewegen können und zum Aus-Druck kommen, „aus dem Körper heraus“ und sich so auf andere zubewegen und Beziehung stiften. Freude, Sympathie, Glück, Liebe und Leid drücken sich im Körper aus; Freude z. B. in Formen der leiblichen Freude: in Tanz, Sport, Spiel; oder Liebe in der sexuellen Intimität und Zärtlichkeit. Wie sehr können leibliche Gebärden, Mimik, Gesten und die ganze Körpersprache seelische und geistige Vorgänge im Menschen nach außen vermitteln. D. Mieth schreibt zusammenfassend: „Daher kann der Leib nicht einfach als das aufgefasst werden, was wir mit dem Tier gemeinsam haben. Ebenso wenig ist der Leib die Summe der körperlichen Funktionen des Menschen. Leiblichkeit bezeichnet die psychosomatische Einheit im Hinblick auf ihre sichtbare und sinnliche Erscheinung“ (Mieth, 642).
M. Schneider beschreibt das Menschenbild der christlichen Anthropologie wie folgt: „Ziel christlichen Lebens ist kein entleiblichter und entsinnlichter Geist (nous, intelligentia), das wäre eine (neuplatonische) Versuchung. Gewiss müssen die Sinne geläutert und von jeder egoistischen Begierlichkeit gereinigt werden, doch den geläuterten ‚Sinnen‘ kommt es zu, den menschgewordenen Gott zu erspüren: ‚Was wir gehört und mit unseren Augen gesehen … und mit unseren Händen betastet haben vom Wort des Lebens‘ (1 Joh 1,1 f.). Die innere Bedeutung der Sinne wird im Blick auf die Menschwerdung Gottes deutlich. Seit der Himmel auf die Erde herabgekommen und der Herr bleibend gegenwärtig ist, findet der Mensch Gott in allen Dingen des Lebens, also nicht jenseits, in einer geistigen Welt; das reine Herz schaut ihn schon jetzt überall“ (Schneider, 270 f.). Auch die Vollendung des Menschen in Gott wird am ganzen und unteilbaren Menschen offenbar werden, einschließlich seiner Leibgestalt. So hofft der gläubige Mensch nicht auf eine Befreiung vom Leib, sondern auf die Vollendung seiner Leiblichkeit.
In jüngster Zeit wird in der Liturgie und im Gebet die Bedeutung des Leibes neu entdeckt: in den körperlichen Gebetshaltungen, in Gestik und Mimik, in Bewegung und Tanz. Hier wird der Leib in ein ganzheitliches Beten und Meditieren bewusst mit einbezogen, gemäß dem Wort des Paulus: „Verherrlicht Gott in eurem Leib“ (1 Kor 6,20).
Im christlichen Brauchtum wird die Ehrfurcht vor dem Leib u. a. in den sakramentalen „leiblichen Berührungen“ ausgedrückt.
In der Taufe wird die Stirn des Täuflings mit Chrisam gesalbt und das Wasser des Lebens über seinen Kopf ausgegossen. Sein Mund wird als Ort des Aus-Drucks der Gefühle und der Einnahme von lebenserhaltenden Speisen und Getränken gesegnet. Ebenso das Herz, als Sitz des Lebens, der Gefühle und der Verankerung von Beziehungen.
In der Eucharistie kommen wir in der Gestalt von Brot und Wein mit Christus leibhaftig in Berührung.
In der Krankensalbung wird der Körper des Kranken an allen Sinnen mit dem Öl des Heiles gesalbt.
Im Begräbnis nach dem irdischen Tod wird der Leib in die Erde gebettet, aus der er genommen ist, in der Erwartung seiner Verklärung bei der Auferstehung von den Toten. Hier wird deutlich, dass wir von Gott als Menschen mit Leib, Geist und Seele geschaffen und erlöst sind.
Leider hat sich die ganzheitliche Sicht des Menschen als Leib-Geist-Wesen in den Jahren nach dem Vatikanischen Konzil nur langsam durchgesetzt. Nach wie vor sind Vorurteile gegenüber dem Leiblichen, den Gefühlen und Beziehungen im Allgemeinen und den Aggressionen und der Sexualität im Besonderen in christlichen und kirchlichen Kreisen zu finden (vgl. die Ergebnisse der im Oktober 2015 beendeten Bischofssynode).
6. | Zusammenfassung |
Die Fabel des arabischen Mystikers Sa’di vom „invaliden Fuchs“ fasst unser Thema Aggression und Beziehung gut zusammen (Mello, 64): „Unterwegs im Wald sah ein Mann einen Fuchs, der seine Beine verloren hatte. Er wunderte sich, wie das Tier wohl überleben konnte. Dann sah er einen Tiger mit einem gerissenen Wild. Der Tiger hatte sich satt gefressen und überließ dem Fuchs den Rest. Am nächsten Tag ernährte Gott den Fuchs wiederum mit Hilfe des gleichen