nicht völlig Ausdruck individueller Spontaneität und Freiheit“ (Klessman 1992, 25). So ist Ärger eine Mischung aus Leidenschaft und einem kontrollierbaren Ausdruck. Kann der Ärger nicht geäußert werden, wirkt die Kränkung weiter und der Ärger schlägt plötzlich in Wut um.
Wut ist zunächst ein mehr körperliches Unwohlsein, ein leidenschaftliches Gefühl, das einfach „heraus“muss. Das geschieht meist unkontrolliert, eruptiv und wenig zielgerichtet und äußert sich in lautem Türzuschlagen, im Zertrümmern von Geschirr, im Treten gegen einen Schrank u. a. m. Wut ist ein Zustand „hoher affektiver Erregung mit motorischen und vegetativen Erscheinungen, der sich als Reaktion auf eine Beeinträchtigung der Persönlichkeits- oder Vitalsphäre aus einem aggressiven Spannungsstau entwickelt“ (Tisch, 2572). Nach einem Wutausbruch tritt meist wieder eine Ruhepause ein, ohne dass allerdings das eigentliche Problem gelöst ist: mit der dahinterliegenden Verletzung und Ohnmacht (ohnmächtige Wut) heilsam umzugehen.
Zorn ähnelt in seinem spontanen Anteil der Wut (Zornausbruch), kommt aber im Gegensatz zu den Begriffen Ärger und Wut in der Alltagssprache weniger vor. In Ausdrücken wie „heiliger Zorn“ oder Zorn Gottes ist er insgesamt archaischer und dem literarischen und religiösen Bereich vorbehalten (Klessmann, 26). Im Unterschied zur oft unkontrollierten Wut vollzieht sich Zorn mehr überlegend, ist zielgerichtet und wägt bewusst mehr die Konsequenzen für sich selbst und die Umwelt ab.
Groll und daraus erwachsene Feindschaft sind keine spontanen Gefühlsäußerungen wie Wut und Zorn, sondern länger andauernde Zustände, die sich z. B. aus einem unterdrückten Ärger entwickeln können. Es ist möglich, dass sie auf Dauer alle anderen Gefühle überdecken. Wenn sie nur noch auf die Schädigung anderer Menschen ausgerichtet sind, werden sie zu Hass.
3. | Unterschiedliche Formen von Aggression |
Wenn wir von dem zunächst wertfreien Begriff „Aggression“ ausgehen, können wir folgende Weisen von Aggressionen unterscheiden, die in ihrer Richtung und Wirkung unterschiedlich sind: die zerstörerischen (destruktiven) Aggressionen, die unterdrückten Aggressionen sowie die lebensfördernden und beziehungsstiftenden (konstruktiven) Aggressionen. Wir verdeutlichen sie am Modell des Autofahrens.
3.1. | Zerstörerische (destruktive) Aggressionen |
Die zerstörerischen Aggressionen sind durch ihre schädigenden Auswirkungen gekennzeichnet. Hier wird die Energie ohne Rücksicht auf das Wohl und die Grenzen des Gegenübers „zum Ziel“ gebracht. Diese Aggressionen können ihre zerstörerische Wirkung nach außen in sinnloser Wut, in chaotischen Kraftakten, in willkürlicher Unterdrückung bis hin zum Mord ausüben. Das geschieht in Privatfehden und Völkerkriegen, in Folterungen, in Wortfechtereien, im „Fertigmachen“ von anderen Menschen ebenso wie im Mobbing am Arbeitsplatz oder in der Schule. Alexander Mitscherlich meint dazu: Mehr oder weniger sind wir alle verführbar, den Mitmenschen zu quälen. Auch die sind es, die solches weit von sich weisen. Sie wissen nur nicht, was sie tun. Diese negative Tendenz wird von den Medien Tag für Tag unterstützt, wenn nach einer internen Untersuchung fast die Hälfte aller deutschen Fernsehprogramme, genau 47,7 Prozent, sich irgendwie um destruktive Aggression und Bedrohung drehen. Darin sind enthalten 481 Mordszenen wöchentlich und 70 täglich.
Die zerstörerischen Aggressionen können sich auch in subtileren Formen äußern, z. B. in „spitzen“ Bemerkungen, in „beißender“ Ironie, in „schlagenden“ Worten, in „Kränkungen“, in „Sticheleien“, in der schamlosen Neugier des Schlüsselloch-Journalismus, in der Verachtung oder im Auslachen und Verspotten anderer Menschen.
Hiermit setzen diese Aggressionen einen zerstörerischen Teufelskreis in Gang: Sie ziehen Hass und Feindschaft, Unverständnis und Unversöhnlichkeit, Verletzungen und Kränkungen nach sich, die bei den Geschädigten wiederum destruktive Aggressionen hervorrufen können nach dem Motto: „Wie du mir, so ich dir“. Die Kräfte, die eigentlich dem Leben dienen sollten, werden „gegen“ das Leben verwandt und können sogar in letzter Konsequenz zum Nicht-Leben, d. h. zum Tode, führen.
Menschen, die ein solches destruktives Aggressionsverhalten entwickeln, haben als Kinder oft Gewalt und Drohbotschaften erfahren: „Wenn du nicht brav bist, schlag ich dich tot“; „Du darfst nur leben, wenn du dich anpasst und nicht aufmuckst“. Aus diesen Kindern wurden häufig mit Gewalt der Trotz und Eigenwille herausgeprügelt. Sie haben gelernt: „Wenn die anderen stärker sind, passe dich an und ducke dich. Wenn du selbst stärker bist, unterdrücke die andern, hau drauf und schikaniere sie. Halte sie klein und lebe auf ihre Kosten.“
Häufig setzen die Betreffenden ihre Aggressionen nicht direkt in einer Auseinandersetzung mit den Kontrahenten ein, sondern lassen sie destruktiv an Untergebenen aus. Franklin Roosevelt kommentiert das so: Wer die Hand als Erster zum Schlag erhebt, gibt zu, dass ihm die Ideen ausgegangen sind. Stellvertretende aggressive Handlungen geschehen in unterschiedlichen Beziehungsgefügen, z. B. wenn Eltern ihre zerstörerischen Aggressionen an ihren Kindern auslassen oder Lehrer an ihren Schülern. Es fehlen die konstruktiven Zwischentöne des aggressiven Verhaltens, das zum Leben führt.
Vergleichbar ist dieses zerstörerische Verhalten mit dem eines Autofahrers, der sein Auto „auf viele PS hochfrisiert“ hat und rücksichtslos mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt fährt. Er beachtet keine Ampeln, keine Fußgänger, keine Verkehrsschilder, die nach seiner Meinung nur für die anderen gelten. Er fährt ohne Rücksicht auf Verluste und lässt eine Spur der Verwüstung zurück: schrottreife Autos, verletzte Menschen, Angst und Schrecken. Wenn Ungeduld und Hilflosigkeit aufeinandertreffen, entsteht Aggression (Tom Borg).
Eine andere Weise, die zerstörerischen Aggressionen auszuleben, ist die der Autoaggression: Menschen richten ihre Energie destruktiv nach innen gegen sich selbst. Eine solche Selbstzerstörung kann bis zum Selbstmord führen, der im Volksmund auch ein „verhinderter Mord“ genannt wird. Diese Menschen haben in der Kindheit meist folgende negativen Elternbotschaften gehört: „Du bist wertlos“; „Du bist ein Nichtsnutz“; „Ach wärst du doch nie geboren“; „Du bringst mich noch ins Grab“; „Geh mir aus den Augen“ etc. Vielleicht haben sie bei Vater oder Mutter erlebt, dass das Leben sinnlos und eine unerträgliche Last ist, nicht lebenswert. Solche Menschen verachten sich und ekeln sich vor sich selbst. Auch wenn nur relativ wenige Menschen ihr Leben durch Selbstmord beenden, so gibt es verschiedene selbstzerstörerische Methoden, wie man sich langsam, aber sicher dem Tod nähern kann: durch Tot-Trinken, Tot-Essen, Tot-Hungern, Tot-Schuften, Zu-Tode-Langweilen etc. Auch psychosomatische Störungen oder neurotische Verhaltensweisen können autoaggressive Reaktionen sein.
Im religiösen Bereich wird dieses autoaggressive Verhalten z. B. in einer „negativen Askese“ oder in einer „falschen Demut“ sichtbar, wo Menschen sich „um des Himmelreiches willen“ selbst kasteien und in einem sogenannten Opferleben ihre unterdrückte Wut selbstzerstörerisch gegen sich selbst richten.
Dieses destruktive Verhalten gleicht dem Verhalten eines Autofahrers, der seinen Wagen in die Garage fährt, das Tor schließt, den Motor anmacht, in den Leerlauf schaltet und auf Vollgas stellt. Alle Energien des Wagens werden sinnlos eingesetzt. Sie bleiben im Dunkel, im Rauch und Gestank stecken, setzen nichts in Bewegung. Der Autofahrer gibt Vollgas und „vergast“ sich dabei selbst. Er zerstört sich und den Wagen.
3.2. | Unterdrückte Aggressionen |
Unterdrückte Aggressionen fallen auf den ersten Blick nicht besonders auf. Doch je weniger sie beachtet werden, desto mehr können sie wirksam sein. Die Menschen mit mehrheitlich unterdrückten Aggressionen machen nach außen eher einen friedlichen und vorsichtigen, freundlichen und zurückhaltenden Eindruck. Bei näherem Hinschauen zeigen sich allerdings auch die Auswirkungen der unterdrückten Aggressionen in ihrem Verhalten: Sie wirken gehemmt, ängstlich, verklemmt, verkrampft, antriebsschwach und uninteressiert. Sie machen den Eindruck von Nachgiebigkeit, sind übervorsichtig, einfallslos und entscheidungsschwach. Zur Bekämpfung und Unterdrückung der eigenen Lebensimpulse und Energien benötigen sie viel Kraft. Aggressionen gelten als unerlaubt oder verboten, nicht schicklich oder unangemessen. Deshalb müssen sie unter Kontrolle gehalten und mit allen Mitteln „be-herrscht“