Lukasz Strzyz-Steinert

Israel als Urgeheimnis Gottes?


Скачать книгу

mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde am 17. November 1980 in Mainz zum Ausdruck gebracht hat. Noch bevor die heutigen Christen dem heutigen Volk Israel begegnen, stoßen sie auf die „erste Dimension dieses Dialogs, nämlich die Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes“, der „zugleich ein Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem ersten und zweiten Teil ihrer Bibel“ ist4.

      Nun ist aber auch die erste Dimension des Dialogs, und somit die Frage der bleibenden Verwurzelung der Kirche im Jüdischen, nicht unumstritten innerhalb der Christenheit. Der markionische Gedanke, ein endgültiger Bruch mit dem Alten Testament und seinem Gottesbild täte der Kirche gut und verhälfe der befreienden Botschaft des Evangeliums zu ihrem vollen Glanz, findet immer wieder neue Anhänger. Abgesehen von den einseitigen bis extremen Ansätzen bleibt das Problem einer christlichen Auslegung des Alten Testaments und der inneren Einheit und Verschiedenheit der beiden Testamente grundsätzlich ein großes, spannendes und spannungsreiches Thema, bei dem schon die traditionelle Terminologie Altes und Neues Testament zur Diskussion gestellt wird. Hinter der Idee, auf das Alte Testament und die jüdischen Bezüge zu verzichten, steht jedoch nicht immer ein offener oder verdeckter Anti-Judaismus, sondern der Gedanke, man könnte auf diese Weise die Kontroversen zwischen Judentum und Christentum beseitigen und somit zur friedlichen Koexistenz der beiden Religionen beitragen5. So stellt sich die Frage, ob die Neuausrichtung der Beziehung zum Judentum auch für das Selbstverständnis der Kirche eine Rolle spielt. Bleibt es bei der Justierung eines politisch heiklen, aber theologisch peripheren Themas, oder muss die neue Ausrichtung des christlich-jüdischen Verhältnisses ihre Wirkung noch ad intra entwickeln und angefangen bei der Schriftauslegung die ganze Theologie und Praxis der Kirche in ein neues Licht rücken?

      Man darf diesen Fragen, mögen sie noch so belastet und schwierig sein, aus falschem Irenismus nicht ausweichen. Andernfalls riskiert die Theologie, ins Belanglose und Irreale abzusinken. Das Thema Israel und Kirche lässt sich nicht auf ein punktuelles, und schon gar nicht auf ein konventionell interreligiöses Problem begrenzen. Wir merken, dass die bereits gestellten Einzelfragen in ihrer Dynamik an den Fundamenten des Christlichen rühren. Sie verweisen uns auf die grundlegende Frage nach Gott und seiner Gegenwart in der Geschichte. Das verstrickte Verhältnis zwischen Juden und Christen führt in das Herz des Geheimnisses einer in dieser Welt faktisch ergangenen und wahrnehmbar-gegenwärtigen Offenbarung Gottes ein. Deswegen geziemt ihm der letzte eschatologische Ernst, den ihm der hl. Paulus beigemessen hat. Und im gleichen Zug betrifft die Frage nach dem Miteinander von Israel und Kirche das Hier und Jetzt. Dieses Miteinander lässt sich nicht im Diffusen und Spekulativen auflösen. Wir begegnen Israel in den Urkunden unseres Glaubens. Wir begegnen dem dort bezeugten Volk Israel in unserer Welt. Das Phänomen der Existenz Israels ist einmalig und lässt sich in keine Kategorien einordnen; allen Völkern und Religionen ähnlich und doch anders, da es sich weder in religiöse noch ethnische Kategorien einschließen lässt. Auf den Wogen der Geschichte behält es seine einmalige Identität. „Die Großmächte von damals sind alle untergegangen. Es gibt weder die alten Ägypter noch die Babylonier oder Assyrer. Israel bleibt – und zeigt uns etwas von der Beständigkeit, ja vom Geheimnis Gottes“6.

      Die Rezeption der Neuausrichtung des christlich-jüdischen Verhältnisses ist also noch nicht abgeschlossen. Lasst uns noch einmal fragen: Welche Bedeutung hat also das ‚Phänomen Israel‘ für die Kirche? Wo und wie zeigt sich in der Theologie und kirchlichen Praxis die Gebundenheit an das Geheimnis seiner Erwählung und Identität? Kann Israel als ein besonderer locus theologicus verstanden werden? Wie soll der – religionsgeschichtlich einmalige – christlich-jüdische Dialog so geführt werden, dass sowohl den grundlegenden Gemeinsamkeiten als auch den grundlegenden Unterschieden Rechnung getragen wird? Welche heilsgeschichtliche Bedeutung hat das Verhältnis von Judentum und Christentum?

      Meine Arbeit will diese vielschichtige Frage nach Israel an den so bedeutenden wie vergessenen Religionsphilosophen und Theologen Erich Przywara SJ (1889–1972) herantragen. Sein Werk, das aufgrund seiner systematischen Schärfe, der Vielfalt der behandelten Themen und Autoren sowie seines Tiefgangs und seiner bohrenden Fragestellungen ihresgleichen sucht, entstand in intensiver Beschäftigung mit den wichtigsten philosophischen, theologischen, aber auch politischen Herausforderungen seiner Zeit. Vor allem im Hinblick auf den deutschsprachigen Kulturraum ist es sowohl die Zeit der Blüte des jüdischen Lebens als auch die Zeit seiner Vernichtung. Es ist die Zeit vor dem vollzogenen Paradigmenwechsel der christlichen Beziehung zum Judentum und zugleich die Zeit, die dazu geführt hat.

      Gemessen am Umfang Przywaras Werkes ist seine Erforschung eher bescheiden. Die meisten Arbeiten widmen sich zudem seinem metaphysischen Denken, das seine Mitte im Begriff der analogia entis fand. Die Stimmen zu seiner Sicht des christlich-jüdischen Verhältnisses sind fragmentarisch und nicht selten widersprüchlich. Die facettenreichen Ansätze und Ansichten Przywaras suchen nach Interpretation.

      Es ist bezeichnend, dass ein US-Amerikanischer Autor, der dem Leser die Welt von Przywara erklären will, seine Beziehungen zu den jüdischen Denkern in der Periode zwischen den beiden Weltkriegen als etwas Ungewöhnliches und Pionierhaftes sieht. Nachdem die zahlreichen Kontakte des deutschen Jesuiten zu protestantischen Theologen erwähnt werden, schreibt M.A. Fahey:

      „More surprising to readers who have stereotypical perceptions of German Catholics‘ attitudes to Jews in the period between the two World Wars, is Przywara’s close contacts with Jewish thinkers. Despite the fact that Berlin was a more favorable setting for exchange between Christian and Jews than Munich, he carried on respectful dialogue. For him a Jewish philosopher was not automatically a Bolshevist Jew“7.

      Vor allem Przywaras Kontakte zu Leo Baeck (1873–1956), einem der bedeutendsten Gestalten des europäischen Judentums des letzten Jahrhunderts, werden erwähnt. So behauptet auch Baecks Schüler und ausgewiesener Kenner seines Denkens A.H. Friedlander, dass Przywara, auch mit jüdischen Autoren verglichen, seinerzeit das größte Verständnis für die Bedeutung von Baecks Theologie aufwies und sie aus diesem Grund auch der schärfsten Kritik unterzogen hat8. Allgemein bekannt ist auch, dass Przywara der wohl bekanntesten jüdischen Konvertitin dieser Zeit Edith Stein (1891–1942) als philosophisch-theologischer Berater zur Seite stand. Die Breite und die Vielfältigkeit seiner Kontakte zur jüdischen Welt sowie das Niveau, auf dem sie stattfanden, scheinen somit vielversprechend.

      Auch Przywaras Ansätze zur Neudefinierung des christlich-jüdischen Verhältnisses werden gelegentlich ins Gespräch gebracht, und das nicht nur im strikten akademischen Bereich. So berief sich darauf der Vorsitzende des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen Kard. K. Koch am „Tag des Judentums“ am 17. Januar 2014. Er betonte, es sei angemessen, einen solchen Tag direkt vor der Woche des Gebetes um die Einheit der Christen zu halten, da „der große katholische Theologe Erich Przywara […] die erste Trennung im Christentum“ als jene „zwischen Synagoge und Kirche“ betrachtete. „Deshalb gehört die Versöhnung zwischen Christen und Juden mit zu den ökumenischen Bemühungen der katholischen Kirche“9.

      Im Hinblick auf das Problem des Zueinanders von Altem und Neuem Bund, von Israel und Kirche, macht L.J. Narvaja in der Einführung zur italienischen Übersetzung Przywaras Idee Europa den Leser darauf aufmerksam, dass sich im Denken von Przywara die Überwindung des Substitutionsmodells, die als durch das II. Vatikanische Konzil bewirkter Paradigmenwechsel des jüdisch-christlichen Dialogs gefeiert wird, schon einige Jahrzehnte vor dem Konzil abzeichnet: „Tale orizzonte, da un lato, viene sviluppato più ampiamente dal Concilio per l`intenzione conciliare di trattare la relazione direttamente tra la Chiesa e il popolo ebraico”10. Przywara wird hier aber nicht nur als ein Vorläufer des Konzils gesehen, den die wenigen Sätze, die das Dokument Nostra Aetate dem Problem gewidmet haben, eingeholt und schließlich auch überholt haben. Seine Ansätze seien vom Konzil nicht gänzlich ausgeschöpft worden und in einigen Punkten sei er dem Konzil voraus – das scheint L.J. Narvaja zu meinen, wenn er schreibt:

      „Dall’altro lato si può osservare come la riflessione di Przywara – malgrado non possieda una strumentazione esegetica affinata sul problema – è più avanti della iniziale riflessione della Nostra Aetate. Egli, affermando che la Chiesa è il luogo dello scambio e in virtù di questo incontro e scambio tra