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aber die entgegengesetzten Aspekte in seinem Werk nicht berücksichtigt und vor allem das analogische oder dialektische Gefüge dieses Werkes aus den Augen verliert. Da seine zuweilen schwer durchschaubare Denkstruktur nur selten erfasst wird, werden bestimmte Aussagen Przywaras von verschiedenen Autoren extrem unterschiedlich interpretiert23. Der Gefahr der Einseitigkeit oder einer vorschnellen, positiven oder negativen, Zuordnung will meine Arbeit entkommen, weswegen ich auch auf eine apologetische Diskussion mit Peterson nicht eingehe. Das hätte meine Forschung eingeengt. Nur wenn man das komplexe Ganze von Przywaras Reflexion über das christlich-jüdische Verhältnis sich vor Augen führt, kann man es kreativ aufgreifen, überwinden oder darüber sinnvoll streiten. Diesen Versuch unternehme ich im abschließenden Ertrag dieser Arbeit.

      An dieser Debatte wird aber auch sichtbar, wie das Urteil über Przywaras Beschäftigung mit dem Judentum mit der viel breiteren, allumfassenden Sicht auf den Katholizismus und die Haltung der Katholischen Kirche gegenüber den totalitären Ideologien des Faschismus und des Nationalsozialismus zusammenhängt sowie einen Teil des Prozesses der Aufarbeitung des katholischen Antisemitismus und der katholischen Mitverantwortung an der Vernichtung der europäischen Juden darstellt. Das ist besonders stark in Petersons Artikeln zu beobachten, die auf der Diagnose eines tiefgreifenden katholischen Faschismus und Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit und während des II. Weltkrieges, in die z.B. auch H.U. von Balthasar und H. de Lubac verwickelt seien, fußen. Eindeutig kritisch wird die Haltung von Pius XII. gesehen. Auch die Rolle der jesuitischen Zeitschrift Stimmen der Zeit wird negativ beurteilt24. Dass diese Debatte bei weitem noch nicht abgeschlossen ist und, was verständlich ist, zuweilen sehr emotional verlaufen kann, muss als Klima der vorliegenden Studie berücksichtigt und ausgehalten werden25. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der Rolle der katholischen Kirche im nationalsozialistischen Deutschland resümiert Ch. Kösters:

      „Die kontroverse wissenschaftliche Diskussion ist oftmals unentwirrbar verknüpft mit öffentlichen und gesellschafts- und geschichtspolitischen sowie innerkirchlichen Debatten und Standortbestimmungen, die eine notwendig sachliche Auseinandersetzung nicht immer erleichtern. Das gilt auch und gerade für die schwierigen Fragen des Verhältnisses zu den Juden“26.

      Man beachte, dass hier nicht nur der Wahrheitsgehalt in den einzelnen Meinungen und Theorien, sondern die moralische Integrität und Legitimation des Autors auf dem Spiel zu stehen scheinen. Es sei hier deutlich festgehalten, dass es nicht das Ziel meiner Arbeit ist, ein moralisches Urteil über den Menschen Erich Przywara zu formulieren, sondern seine Israeltheologie kritisch zu analysieren.

      Nun einige Worte zur Methode und zum Aufbau meiner Arbeit. In ihrem Titel wird nach Israel als dem Urgeheimnis Gottes gefragt. Diese Wahl erklärt sich zum Teil aus dem bisher über Israel Gesagten. Dem entspricht der Grundimpetus von Przywaras Theologie, das Mysterium Gottes hervorzuheben, das sich in der je größeren Unähnlichkeit in jeder noch so großen Ähnlichkeit zwischen Gott und Welt manifestiert. Das wichtigste formale Werkzeug dazu heißt Analogie, die Przywara als den über sich hinaus- und auf den je größeren Gott hinweisenden All-Rhythmus, in dem alles konkret Seiende schwebt, verstehen wollte. Das Thema des christlich-jüdischen Verhältnisses wird also innerhalb dieser Dynamik betrachtet, die das Proprium von Przywaras religionsphilosophischem und theologischem Denken ist. Darum spricht der Untertitel von einer Analogik des christlich-jüdischen Verhältnisses. Es handelt sich darum, bei Przywara eine Gesamtsicht auf den Sinn, die Bedeutung und die Konsequenzen des Verhältnisses zwischen Christen und Juden zu ‚erspüren‘, um eins seiner spezifischen Worte zu benutzen. Die Vorsilbe ‚ana‘ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es sich jedoch nicht um ein geschlossenes, logisches System handeln soll, sondern um das Unabgeschlossene und Unabschließbare dieses Verhältnisses, das auf diese Weise auf das Mysterium Gottes transzendent (transzendiert?) wird. Die Bezeichnung christlich-jüdisches Verhältnis soll zum Ausdruck bringen, dass es sich hier um die christliche, nicht eine bilaterale, Sicht der Beziehung zum Judentum handelt.

      In meiner Arbeit konzentriere ich mich auf die Analyse von Przywaras Schriften. Neben den veröffentlichten Werken habe ich den Nachlass Przywaras gesichtet, der sich im Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten in München befindet. Einige für unser Thema relevante Briefe oder Manuskripte werden in die Arbeit einbezogen. Der Archivfund hat jedoch nicht die Hoffnung bestätigt, darin neue, bahnbrechende Zeugnisse der Kontakte Przywaras zur jüdischen Welt finden zu können. Es mag daran liegen, dass ein Teil seines Nachlasses verschollen ist, bzw. in den Kriegswirren zerstört wurde. Es fehlt vor allem die frühe Korrespondenz Przywaras. Gleichzeitig ist ein Teil des Nachlasses ungeordnet und nicht zugänglich. Die Mammutaufgabe wartet auf einen Passionierten, der zudem eine ausgeprägte Geduld für die schier unlesbare Handschrift Przywaras haben müsste. Nach Auskunft des Archivleiters Dr. Clemens Brodkorb, dem an dieser Stelle für seine freundliche Hilfe herzlich gedankt sei, handelt es sich dabei jedoch meistens um Przywaras lyrische Versuche. Auch beim Besuch im Edith-Stein-Archiv in Köln bin ich auf nichts gestoßen, was die Annahme bestätigen könnte, in Przywaras Kontakten zu Edith Stein habe das Thema des Judentums eine Rolle gespielt. Die Anfragen bei der Dependance des Leo Baeck Instituts im Jüdischen Museum in Berlin sowie beim Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam haben ebenso ergeben, dass der Name Przywara dort keine Assoziationen hervorruft, bzw. in den digitalisierten Sammlungen in keinem namhaften Zusammenhang vorkommt. Am 2. Januar 2015 hatte ich das Privileg, den betagten Rabbiner Lionel Blue in seiner Londoner Wohnung besuchen zu können. Der frühere Dozent am Rabbinerseminar Leo Baeck College London hatte in seinen ersten Studienjahren die Möglichkeit, Leo Baeck persönlich kennenzulernen. In unserem Gespräch konnte er sich jedoch nicht entsinnen, dass über Przywara jemals gesprochen wurde.

      Die Arbeit besteht aus fünf Kapiteln, die sich verschiedenen Themen und Bereichen Przywaras religionsphilosophischen und theologischen Denkens widmen. Es ist den Kapiteln gemeinsam, dass sie jeweils unter einer anderen Hinsicht beobachten wollen, auf welche Weise das Thema des christlichjüdischen Verhältnisses von Przywara darin durchgespielt, in welche Kontexte und Zusammenhänge es gesetzt wird und was es letztendlich in der ganzen Theologie bewegt und bewirkt. Diese Methode entspricht meines Erachtens dem Proprium des Formaldenkers Przywara, der bei der Fülle der behandelten Themen letztendlich vor seinen Augen immer die Frage nach der letzten Struktur der Gottesrede hat. Andererseits versucht die Arbeit dem Unausgegorenen, Bruchhaften und nicht selten Gegensätzlichen und Widersprüchlichen des Werkes Przywaras Rechnung zu tragen und nicht der Versuchung zu unterliegen, sein Werk und darin die Analogik des christlich-jüdischen Verhältnisses abrunden zu wollen. Bei Przywara schweben alle Einzelaussagen in einem nicht selten unentwirrbaren Netz, in dem sich alles gegenseitig bedingt, um immer neue Dimensionen preiszugeben. Daraus erklärt sich die Unvermeidbarkeit einiger Wiederholungen in dieser Arbeit.

      Da Przywara wenig bekannt, sein Werk dafür so originell wie sperrig ist, widmet sich das erste Kapitel der Darstellung seines Lebens- und Denkweges sowie den für die Interpretation seiner Aussagen fundamentalen Denkfiguren. Die Erfassung der Spannung zwischen dem religiös-existentiellen und dem formalen Pol bei Przywara bedingt meine Arbeit. Anschließend werden Ansätze für die Begegnung Przywaras mit dem Judentum einführend dargestellt. Im zweiten Kapitel wird die Beziehung zum Judentum religionsphilosophisch und offenbarungstheologisch verortet. In Betracht geraten hier zwei Versuche, das Wesen des Christentums zum Ausdruck zu bringen, zwischen denen sich Przywaras Werk erstreckt. Eine besondere Stellung nimmt innerhalb dieses Kapitels die Analyse des Artikels Judentum und Christentum (1925) sowie der anschließenden Debatte ein, die ein einmaliger Moment Przywaras direkter Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Judentum ist. Im dritten Kapitel wird beobachtet, wie die Grunderfassung des Christentums in die Grundsätze der Schriftauslegung, vor allem des Verhältnisses zwischen Altem und Neuem Bund, eingehen. Zur Kontextualisierung werden Beispiele des Umgangs mit dem Alten Testament angeführt, auf die sich Przywara direkt oder indirekt bezieht. Anschließend soll gezeigt werden, wie die Sicht auf die Einheit und Bezogenheit der beiden Teile der christlichen Bibel die Grundfragen der Theologie bedingt. Das vierte und fünfte Kapitel dienen der Konkretisierung, zuerst im Bereich der Ekklesiologie, dann im Bereich der Geschichtstheologie, die starke Elemente einer auf die aktuellen Ereignisse bezogenen politischen Theologie einschließt. Im Schlusswort sollen