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Lebendige Seelsorge 3/2015


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an der Vergebung Gottes, die in der Beichte sakramental zugesprochen wird? Gunda Werner

      In seiner Erzählung „Die Sonnenblume“ durchleuchtet Simon Wiesenthal (Wiesenthal 1984) die Frage, wer eigentlich vergeben darf. Zugrunde liegt seine bedrängende und dramatische Erfahrung, die er in seiner Internierung im Arbeitslager in Lemberg gemacht hat. Dort wird er zu einem sterbenden SS-Mann gerufen, der ihm seine Gräueltaten „beichtet“ und Vergebung von ihm wünscht. Am Ende des Bekenntnisses steht das Bedürfnis nach Vergebung. Wiesenthal selbst fragt sich nun, ob er dieses Bekenntnis Beichte nennen soll: „Aber was ist das für eine Beichte? Ein Brief ohne Antwort […]. Da liegt ein Mann im Bett und will in Frieden sterben – aber er kann es nicht, weil ihm ein entsetzliches Verbrechen keine Ruhe lässt. Und neben ihm sitzt ein Mann, der sterben muss – aber nicht sterben will, weil er das Ende solch entsetzlicher Verbrechen erleben will“ (Wiesenthal 1984, 62). Wiesenthal steht auf und geht. Schweigend.

      Der SS-Mann wünscht also von dem Juden Simon Wiesenthal eine Vergebung für seine grausamen Taten an Juden. Wiesenthal selbst verlässt diesen Mann, ohne ihm diese Vergebung zu gewähren. Er ist sich in dem Moment sicher, dass er es nicht gedurft hätte – nicht stellvertretend für die Opfer. Allerdings kommen ihm Zweifel, und er bespricht diese Situation – sowohl unmittelbar als auch nach 1945. Der direkt befragte Freund befürchtete sogar, „du [Wiesenthal] hättest ihm wirklich verziehen. Du hättest das ja doch nur im Namen von Menschen tun können, die dich gar nicht dazu ermächtigt haben. Was man dir selbst angetan hat, kannst du, wenn du willst, vergeben und vergessen. Darüber bist du nur dir selbst Rechenschaft schuldig. Aber glaub mir, es wäre eine große Sünde gewesen, fremdes Leid auf dein Gewissen zu nehmen“ ( Wiesenthal 1984, 73). Die Perspektive der Vergebung angesichts der Reue macht wiederum ein weiterer Protagonist stark, der formuliert, was Wiesenthal ebenfalls empfand: „Ich war damals tatsächlich die letzte Chance für ihn, sein Gewissen zu erleichtern“ (Wiesenthal 1984, 90f.) Die weiteren Antworten auf die schlichte Frage Wiesenthals „Hätte ich vergeben dürfen?“ drehen sich alle um eben diese Kernfrage der Vergebung, wer nämlich überhaupt vergeben darf. Theologisch gefragt: Hat die Vergebung Gottes mit der eigenen Vergebung zu tun? Wie geschieht Vergebung?

       WER DARF VERGEBEN?

      Wer überhaupt vergeben darf, ist im Nachdenken über Vergebung die naheliegende und doch schwierigste Frage. Gerade weil sich gleich mehrere Situationen darstellen, in denen Vergebung geschieht, ist Vergebung jeweils genau zu beschreiben. Sowohl die zwischenmenschliche als auch die göttliche Vergebung steht im Mittelpunkt von Vergebungsritualen, wobei ihr doch in der Regel ein innerer Vorgang des Bewusstwerdens der Schuld, des Eingestehens und der Entscheidung, um Vergebung zu bitten, vorausgeht. Weiterhin stellt sich die Frage, welche Rolle Gott im christlichen Geschehen der Vergebung hat, das unterschiedliche Bedeutungen und Rituale kennt: so wird Gott um Vergebung gebeten, Jesus vergibt an Gottes Stelle, der Tod Jesu kann als stellvertretende Vergebung verstanden werden, im Sakrament wird die Vergebung Gottes zugesagt. Wer darf also wann vergeben? In der konkreten sakramentalen Praxis scheinen sich diese Fragen weniger zu stellen, sondern es wird nach der Ursache für die wenige Nachfrage nach dem Sakrament der Beichte selbst ebenso wie nach neuen Formen gesucht. Dabei geht die Rede von der „Krise des Bußsakraments“ einher mit der Feststellung, dass die Vergebungsthematik selbst aktueller ist denn je. Was also geschieht in der sakramentalen Vergebung, dass an ihrem Fehlen so viel festgemacht wird?

      Meines Erachtens verlangt das Nachdenken über die Frage, wie Vergebung geschieht und vor allem, wer wem vergeben darf, eine Unterscheidung genauer ins Auge zu fassen: die Schuld als eine ethische Kategorie von der Sünde als theologischer Kategorie deutlich zu differenzieren. So wird erst deutlich, wieso die Vergebung der Sünden die eigentliche theologische Fragestellung darstellt. Es wird sich zeigen, dass an dieser Unterscheidung die Einsicht hängt, die sogenannte Krise des Bußsakraments theologiehistorisch auf eine bestimmte Form des Sakramentenverständnisses zurückführen zu können, das überhaupt erst die Deutungsmöglichkeit der Krise eröffnet.

       SCHULD UND SÜNDE – EINE NOTWENDIGE UNTERSCHEIDUNG

      Die Unterscheidung von Schuld und Sünde eröffnet überhaupt erst die theologische Reflexion auf Vergebung. Solange nämlich nur die Frage nach der Schuld gestellt wird, erscheint Vergebung zunächst als die humane Eigenschaft, sich auch noch zur begangenen und ergangenen Schuld zu verhalten. Vergebung selbst ist die je größere Möglichkeit des Menschen, mit begangener Schuld umzugehen. Zugleich ist der Vergebungsvorgang als interpersonales Beziehungsgeschehen immer fragil, weil in ihm die Asymmetrie der Täter-Opfer-Problematik – auch bei weniger gravierenden Vergehen – aufbricht. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen und befinden sich doch in sehr unterschiedlichen Rollen. Die genuin theologische Frage nach der Vergebung stellt sich allerdings tatsächlich erst dann, wenn die Unterscheidung von Schuld und Sünde markiert wird und damit die Frage nach dem „Wer vergibt?“ als religiöse transponiert ist. Hier hatte Søren Kierkegaard bereits deutlicher noch als Immanuel Kant den qualitativen Unterschied „zwischen der Disposition zur Sünde und dem Faktum der Sünde“ benennen können“ (Essen 2011, 1116). Wenn die Disposition zur Sünde von dem Faktum der Sünde unterschieden wird, dann ist zugleich dieses Faktum in Schuld und Sünde so differenzierbar, dass Sünde in ihrer Faktizität eine Aussage der Beziehung des Subjekts zu Gott ausdrückt: Sünde ist mit Kierkegaard schon als Bestimmung vor Gott gedacht. Nur dann ist „ethische Schuld zur eigentlichen Sünde qualifiziert“, ist nämlich in der „Weigerung des Menschen, auf diese Zusage zu setzen und aus ihr und den durch sie eröffneten Möglichkeiten sich selbst und sein Handeln zu bestimmen“ (Pröpper 2011, 717), zu sehen. Somit ist ethische Schuld nur dann Sünde, wenn sie „von den Möglichkeiten Gottes her“ gedacht wird, „sofern wir im Glauben Anteil an ihnen gewinnen können“ (Pröpper 2011, 720) Diese Unterscheidung setzt aber bereits voraus, wovon Kant ausging: dass die persönliche Schuld nicht übertragbar ist und daher auch von keinem abgenommen werden kann. Jeder Mensch steht ein für die Schuld, für die er selbst verantwortlich ist. Verantwortlich ist er für Schuld, weil er diese Möglichkeit des Handelns frei wählt. Damit geht Kant aber auch davon aus, dass der Mensch seine Schuld wieder begleichen kann – auch wenn dieser Prozess ein harter Prozess ist, bedeutet er doch eine „Umkehr“ in der Gesinnung des Menschen. Damit stellt sich jedoch die Frage, ob für eine Vergebung eigener Schuld, die ein anderer mir gewährt, noch Platz ist! Theologisch jedenfalls ist zweierlei bedeutsam: Schuld ist an die Freiheit des Menschen gebunden und muss von ihm verantwortet werden. Dass auch die Sünde an die Freiheit des Menschen gebunden ist, ist eine Einsicht Kierkegaards, die das Vergebungsgeschehen signifikant prägt. Für Schuld und eben auch Sünde steht somit der Mensch selbst ein und diese wird ihm vom Gegenüber – sei es Mensch, sei es Gott – vergeben. Damit ist für eine theologische Reflexion zugleich der Aufgabenhorizont beschrieben: angesichts der freiheitlichen Tat der Sünde sowie der Schuld gilt es, die Vergebung an eben diese Freiheit zurückbinden. Erscheint diese Zwischenreflexion für die Vergebung von Schuld noch relativ einfach, wird sie doch in Bezug auf Gott skandalös: Wie vergibt denn dann Gott? Darf nämlich jemand an Gottes statt die Sünden vergeben? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt in der Vergebungspraxis Jesu und führte – angesichts des Vorwurfes, an Gottes Stelle zu handeln – zum tödlichen Konflikt. Spätestens hier wird deutlich: Vergebung der Sünden ist eine heikle Angelegenheit! Die Perikope von Mk 2,1-12, in der Jesus dem gelähmten Mann die Sünden vergibt und ihn zugleich heilt, verdeutlicht eindrucksvoll eine Konfliktlinie, die sich sowohl als jesuanische Praxis als auch als gemeindliche Regelform zuziehen wird: Wie ist die Vergebung Gottes zu denken, wenn sie nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch einen Menschen geschieht? Wer bewirkt die Vergebung?

       WAR DIE HÄUFIGE BEICHTPRAXIS EIN „RUNNING WILD“ DER GLÄUBIGEN? THEOLOGIEGESCHICHTLICHE EINORDNUNG EINES KURZFRISTIGEN PHÄNOMENS

      Die Geschichte der sakramentalen Vergebung ist lesbar als eine Geschichte, die sich mit eben dieser Frage der Vollmacht zur Sündenvergebung auseinandersetzt. Hier aber zeigt sich zugleich, dass theologiegeschichtlich die Erkenntnis langsam verblasste, dass die Vergebung der