Josef Pilvousek, war das 100. Todesjahr von Joseph Görres, der sich in der Geschichte des politischen Katholizismus in Deutschland, wie er sich in Katholikentagen, im katholischen Verband- und Vereinswesen und später auch in der Zentrumspartei entfaltete, einen festen Platz erobert hat ebenso wie auch in der Geschichte der deutschen Publizistik mit dem von ihm 1814 gegründeten Rheinischen Merkur. Görres war ein genialer Autodidakt, wortgewaltiger Publizist und universalistischer Denker. Er führte seinen Familiennamen zurück auf eine volkstümliche Verballhornung von Gregorius, dem Drachentöter. Zeit seines Lebens hat er gegen die Drachen der Willkürherrschaft und Staatsallmacht gekämpft und sich für Gerechtigkeit, Freiheit und Einheit seines Vaterlandes eingesetzt. Sein Zeitgenosse Jean Paul nannte ihn „einen Mann, der aus Männern besteht.“1 Einer seiner geistigen Nachfahren, der langjährige Chefredakteur und spätere Herausgeber des 1946 revitalisierten „Rheinischen Merkur“, Otto B. Roegele, hat dem Herausgeber des ersten „Rheinischen Merkur“ von 1814 bis 1816 in einem Porträt bescheinigt, er habe „das Herz eines Revolutionärs, das historische Bewusstsein eines Konservativen, den Scharfblick eines Naturforschers, die Phantasie eines Dichters und die politische Leidenschaft eines geborenen Publizisten.“2
Görres hatte nie ein hohes Staatsamt inne, dennoch adelte ihn Napoleon als seinen Gegenspieler, indem er ihn mit seinem „Rheinischen Merkur“ als eine „cinquième puissance“ fürchtete.3 Görres hatte nie eine Universität besucht, gleichwohl wurde er zunächst in Heidelberg und später in München ein einflussreicher Hochschullehrer. Auch das publizistische Handwerk hatte er nie erlernt, obwohl er mit seinen vielfältigen publizistischen Unternehmungen die wirkungsmächtigste Stimme im deutschen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden sollte.
Joseph Görres lebte zwischen zwei Revolutionen, zwischen der Französischen Revolution von 1789, die er erlebte, zunächst bewunderte, dann erlitt und schließlich bekämpfte, und der erahnten und ersehnten Revolution von 1848. Ihren Ausbruch und ihr Scheitern sollte er nicht mehr erleben.4 Die Irrungen und Wirrungen dieser an Umbrüchen reichen Zeit machten Görres zu einem der ersten Krisendenker Deutschlands, dessen Krisenwahrnehmung immer deutlicher eine antirevolutionäre Wendung nahm. Er plädierte dafür, der Revolution durch eine freiheitlich-ständische Verfassung zuvorzukommen.5 Das machte ihn zum Vorkämpfer der Freiheit und Einheit Deutschlands und zum wortmächtigen Kämpfer für die Freiheit der katholischen Kirche. Im revolutionären Taumel hatte er sich der katholischen Kirche entfremdet, im Straßburger Exil fand er zur Kirche zurück und wurde zu einem Wegbereiter des politischen Katholizismus, der sich im Revolutionsjahr 1848 zu formieren begann.6
I.
Joseph Görres wuchs – 1776 in Koblenz geboren – als ältestes von acht Kindern in einer kleinbürgerlichen Familie auf. Sein Vater Moritz Görres war ein rheinfränkischer Händler von geflößtem Holz, dessen Vorfahren an der Mosel lebten. Seine Mutter, Helene Theresia Görres, geborene Mazza, war in Koblenz aufgewachsen. Ihre Vorfahren stammten aus Italien. 1786 trat Görres als Zehnjähriger in das von Jesuiten geleitete Gymnasium ein. In ihm herrschte der Geist der Aufklärung, der den frühreifen und hochbegabten Görres prägte. Die am Gymnasium angebotenen Fächer unterforderten ihn. Er betrieb eigene historische, geographische und naturwissenschaftliche Studien und versenkte sich darüber hinaus in die lateinischen Klassiker und später in die Werke von Klopstock, Gellert, Goethe, Schiller und Kant. So vorbereitet, erlag der Autodidakt Görres der Faszinationskraft der Französischen Revolution mit ihren großen Versprechungen. 1793 verlässt er das Gymnasium, um Medizin zu studieren. Aber „der Lärm der Zeit ist so groß, als daß er eine Universität beziehen könnte. In ihm reden nicht minder laut ungestüme Stimmen.“7 1794 besetzten die Franzosen Koblenz, und der Feuerkopf Görres übernahm die Parolen der Revolution und agitierte für die Gründung einer Cisrhenanischen Republik an der Seite Frankreichs. Von ihr erhoffte er sich die Verwirklichung der revolutionären Trias Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Als junger Mann ließ er sich von der Freiheitsbewegung mitreißen, misstraute allen politischen und kirchlichen Hierarchien, glänzte als ingeniöser Redner in den vaterstädtischen Clubs und verfasste erste Beiträge für Periodika, die seine literarische und seine polemische Begabung erkennen ließen. 1796 erschien seine Erstlingsschrift „Der Allgemeine Friede, ein Ideal“. 1798 gründete er das „Rothe Blatt, eine Dekadenschrift“, in der er die von den Besatzungsbehörden zu verantwortenden Missstände anprangerte. Sein Kampf gegen Entscheidungen der Besatzungsherrschaft machte ihn bald bekannt und führte bald zu einem Verbot durch die Landesdirektion. Dadurch ließ er sich nicht entmutigen und startete noch im gleichen Jahr ein neues Blatt mit dem Titel „Rübezahl“, in welchem er die politische Linie der verbotenen Zeitschrift weiterentwickelte. Der neue Titel „Rübezahl“ wurde hier als Symbol des Rächers der Unterdrückten und des Wiederherstellers des Rechts in Anspruch genommen.
Von seinen Mitbürgern wurde Görres zusammen mit drei Gesinnungsgenossen nach Mainz entsandt, um vor den französischen Besatzungsbehörden Beschwerde zu führen gegen die Willkürakte des kommandierenden Generals Leval. Dies brachte ihm eine zwanzigtägige Haftstrafe ein. 1799 reiste er an der Spitze einer Delegation seiner Heimatstadt nach Paris. Nach dem Sturz des Direktoriums bat er um eine Beendigung der drückenden Okkupation und eine Vereinigung und Gleichstellung des linken Rheinufers mit Frankreich. Seine persönliche Begegnung mit dem Ersten Konsul Bonaparte ließ ihn die prophetischen Worte an seine Mitbürger schreiben: „Nehmt auch in Bälde den Suetonius zur Hand, denn der neue Augustus ist fertig.“8 Die in Paris gewonnenen Eindrücke heilten den jungen Idealisten von seiner revolutionären Begeisterung. Der Gesinnungswandel war nicht Resultat reinen Nachdenkens, sondern folgte einer Kollision mit der Realität.
In seiner Schrift „Resultante meiner Sendung nach Paris“ (1800) erklärte er seine Abkehr von einer republikanischen Verfassung, denn „der Zweck der Revolution (ist) gänzlich verfehlt.“9 In dieser Schrift warnt er seine Mitbürger vor den Ideen der Französischen Revolution und entdeckt seine „rheinisch-deutsche Verwurzelung.“ (Rudolf Morsey) Aus dem vom Geist der Revolution inspirierten Weltbürger wurde der seiner rheinischen und deutschen Identität bewusste Patriot.
II.
Mit dem neuen Jahrhundert beendete er seine politisch-publizistische Tätigkeit und wandte sich seiner wissenschaftlichen und literarischen Arbeit zu. Er übernahm eine Gymnasiallehrerstelle für Chemie und Physik an der Französischen Sekundärschule in Koblenz, seinem früheren Gymnasium. Es war eine wenig einträgliche Stelle mit einem Jahresgehalt von 1.400 Franken, aber sie gestattete ihm einen bescheidenen Lebensstandard. Im Herbst 1801 gab er seinem Leben einen festen Rahmen durch die Vermählung mit Katharina von Lassaulx, Tochter des früheren Kurtrierischen Hofrats Peter Ernst von Lassaulx. Sie war eine schöne, geistvolle und freigeistige Frau. Das Paar begnügte sich mit einer zivilen Eheschließung nach französischem Recht.
Die Tätigkeit als Gymnasialprofessor ließ Görres Zeit, seine naturwissenschaftlichen und medizinischen Studien zu vertiefen und sich darüber hinaus mit indogermanischer Philologie und Mythologie zu beschäftigen. Zudem fühlte er sich zur Kunstwissenschaft hingezogen. In jener Zeit entstanden seine Schriften „Aphorismen über die Kunst“ (1802), „Aphorismen über Organonomie“ (1803), „Exposition der Physiologie“ (1805) und „Aphorismen über Organologie“ (1805) sowie sein Buch „Glauben und Wissen“ (1806), das sich noch in den von der Schellingschen Naturphilosophie vorgezeichneten pantheistischen Bahnen bewegte, aber doch schon eine Rückkehr zur katholischen Kirche erahnen ließ, deren wichtigstes Sprachrohr