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Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten


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der deutschen Freiheit“. Görres ging es in seiner Streitschrift nicht um juristische Argumentationen, sondern um einen politischen Appell, der trotz oder vielleicht sogar wegen seines gemäßigten Gesamtduktus langfristig erfolgreich wurde. „Es ging ihm um Rechtsgleichheit ohne die Rechte anderer Konfessionen zu verletzen und das Band zwischen Kirche und Staat zu zerschneiden“ (Heinz Hürten). Görres hat der katholischen Bewegung Deutschlands, die sich nach seinem Tode zu formieren begann, mit seinem „Athanasius“ ein Programm geschrieben, das bis zum Ende des Bismarckschen Kulturkampfes Geltung beanspruchen konnte. Görres war nun auf dem Höhepunkt seines Einflusses und seiner Popularität. Ein Brief aus den USA mit der Adresse „An Herrn Professor Görres in Europa“ fand seinen Weg in das Görressche Haus in der Schönfeldstraße in München, das Görres 1836 gekauft hatte.24

      1839 erhielt er von König Ludwig I. den Verdienstorden der Bayerischen Krone und wurde damit in den persönlichen Adelsstand erhoben. Im katholischen Deutschland und bei den Katholiken in aller Welt galt er nun als der wirkungsmächtigste Streiter für die Freiheit der Kirche.

      Seine unermüdlich erscheinende Schaffenskraft ließ ihn die im „Rheinischen Merkur“ immer wieder ventilierte Idee aufgreifen und ausführlich darstellen, das seit hunderten Jahren zum Stillstand gekommene Bauwerk des Kölner Doms als nationales Denkmal endlich zu vollenden. Sein Freund Sulpiz Boisserée hatte Ansichten, Risse und Detailzeichnungen des Domes angefertigt und „Ergänzungen nach dem Entwurf des Meisters“ vorgeschlagen. Boisserée gelang es in der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts, die politischen und intellektuellen Eliten Deutschlands für die Ausbaupläne zu begeistern. Als dann im Herbst 1814 in Amorbach das verschollene Pergament mit den Fassaden „Riss F“ gefunden wurde, rückte die Idee der Vollendung des Torsos aus dem Bereich des Wünschenswerten in den des Möglichen. Inzwischen hatten sich der preußische wie der bayerische Kronprinz sowie Johann Wolfgang von Goethe und Ernst Moritz Arndt für die Boisseréesche Idee stark gemacht, zu deren wortmächtigstem Kommunikator Görres wurde. 1842 legte er die Schrift „Der Dom von Cöln und das Münster zu Straßburg“ vor, dessen Ertrag dem Dombau zugute kam.

      Anlass für die letzte Veröffentlichung von Görres vor seinem Tod war die Wallfahrt zum Heiligen Rock nach Trier (1844), an der mehr als eine Million Menschen teilnahmen. Diese machtvolle Demonstration des rheinischen Katholizismus löste eine heftige Pressefehde aus, in die sich Görres mit seiner Schrift „Die Wallfahrt nach Trier“ (1845) einschaltete. Der Streit zeigt, welche Bedeutung die öffentliche Meinung mittlerweile in Deutschland errungen hatte. Er legte aber auch offen, wie gereizt die beiden Konfessionen um Öffentlichkeit rangen und wie viel Gewicht religiösen Fragen dabei zukam. Die protestantische Seite verstand die Wallfahrt als Manifestation eines undeutschen, von Rom gelenkten Katholizismus. Wie dramatisch sich die konfessionellen Verhältnisse in den letzten 170 Jahren zum Positiven verändert haben, zeigt die Resonanz auf den Aufruf des heutigen Trierer Bischofs, Stephan Ackermann, zur Wallfahrt zum Heiligen Rock 2012. Ihm hat sich der Präses der Rheinischen Kirche und Vorsitzender der EKD, Nikolaus Schneider, angeschlossen und forderte die protestantischen Mitchristen auf, sich im Geiste der Ökumene an dieser Manifestation des Glaubens zu beteiligen.

      Am 29. Januar 1848 starb Joseph Görres in München. Der große Publizist und Kämpfer für die Freiheit der Kirche wurde auf dem südlichen Friedhof beigesetzt. Es hat eine hohe Symbolkraft, dass heute gegenüber dem Friedhof das „Medienkloster“ liegt, Sitz des Instituts zur Förderung des publizistischen Nachwuchses der katholischen Kirche, das in den letzten Jahrzehnten mehr als 1.000 Journalisten ausbildete.

      Auch dort wird der Geist jenes Mannes wachgehalten, dessen Warnung vor Gewaltherrschaft und staatlicher Willkür und dessen Kampf für die christliche Grundierung des öffentlichen Lebens heute ebenso aktuell ist wie zu seinen Lebzeiten. Diese Probleme trieben und treiben auch unseren Jubilar um, den mit Joseph Görres nicht nur der gemeinsame Vorname verbindet, sondern auch seine Leidenschaft für die Freiheit der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft.