>
Leonhard Lehmann
Vom Beten zur Kontemplation
Hinführung zur franziskanischen Praxis des Verweilens vor Gott
Franziskanische Akzente
herausgegeben von Mirjam Schambeck sf
und Helmut Schlegel ofm
Band 18
LEONHARD LEHMANN
Vom Beten zur Kontemplation
HINFÜHRUNG ZUR FRANZISKANISCHEN PRAXIS DES VERWEILENS VOR GOTT
echter
Herzlicher Dank geht an Eva Kasper für die Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Deutsche Kapuzinerprovinz für die finanzielle Unterstützung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2018
© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg
Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: shutterstock)
Satz: Crossmediabureau – http://xmediabureau.de
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim – www.brocom.de
ISBN
978-3-429-05323-9
978-3-429-05000-9 (PDF)
978-3-429-06410-5 (ePub)
Inhalt
Vorwort
1. Beten – ein universelles Phänomen
2. In der Schule des Meisters
Der Hang zur Verborgenheit
Mit Leib und Seele beten
Mehr loben als bitten
Mehr danken als klagen
Alles Gute Gott zurückerstatten
3. Kontemplation – das Herz bei Gott haben
Gehört Franziskus zum Stand der Kontemplativen?
Mit geistigen Augen schauen
Dem Herrn Wohnung und Bleibe bereiten
Danach verlangen, den Geist des Herrn zu haben und sein heiliges Wirken
Das Wort Gottes im Herzen – das Herz bei Gott
4. Lehrerinnen und Lehrer der Kontemplation im Lauf der franziskanischen Geschichte
Klara
Ägidius von Assisi
Bonaventura
Thomas von Olera, der „heilige Bruder von Tirol“
Bruder Konrad von Parzham
5. Verweilen vor Gott
„Ruht ein wenig aus!“
„Ich bin da“ – ein bedeutungsvolles Wort
Einfach da sein – wie Gott
6. Anmerkungen
7. Zum Weiterlesen
8. Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Vor hundert Jahren hat Friedrich Heiler (1892–1967) das religionsgeschichtliche Grundlagenwerk Das Gebet verfasst (München 1918). Darin wird deutlich, dass in allen Religionen Beten als sinnvoll angenommen und vorausgesetzt wird. In der Kirche ist es ein Grundvollzug, der zu ihrem Dasein gehört als Ausdruck ihres inhaltlichen Glaubens (Lex orandi – lex credendi) wie auch ihrer Beziehung zu Gott. Beten äußert sich in der Körperhaltung, im Schweigen, Sprechen, Singen, Tanzen, dann auch in Texten, vor allem für die Liturgie und in der Liturgie.
Franziskanisches Beten bezieht sich weithin auf die Gründergestalten dieser Bewegung. Franz von Assisi (1182–1226) betete frei, aber auch mit Hilfe der Psalmen und gelernter Gebete. Bei ihm und seiner treuen Gefährtin Klara von Assisi (1194–1253) treten Etappen des Weges Jesu, die seine Erniedrigung ausdrücken, in die Mitte der Meditation: Geburt, Handarbeit, Leiden und Kreuz, Fußwaschung und Eucharistie. Die Tradition nach ihnen kennt zwar die im 11. Jahrhundert ausgebildeten Gebetsstufen Lectio – meditatio – oratio – contemplatio, legt aber bei vielen Vertretern den Akzent auf die Kontemplation. Mehr als der Intellekt wird das Herz bemüht. Das affektive Gebet strebt danach, liebend bei Gott zu verweilen, bei ihm zur Ruhe zu kommen, ihn schon jetzt zu genießen.
Die Tatsache, dass viele Brüder als Laien dem seraphischen Vater (so bezeichnen die Franziskaner ihren Ordensgründer) zu folgen suchten, brachte es mit sich, dass gerade bei ihnen und bei Schwestern die Gebetsweise des einfachen Daseins vor Gott ihr Leben und Handeln prägte. Kein Geringerer als der spätere Papst Pius XII. (1939– 1958), der als Nuntius Eugen Pacelli in München (1917– 1924) viel zur Heiligsprechung des Altöttinger Klosterpförtners beigetragen hat, sagte über Bruder Konrad von Parzham (1818–1894): „Wer könnte die Scharen zählen, die an die Pforte der hilfsbereiten Kapuziner klopften und den heiligen Pförtner um ein gutes Wort, einen kleinen Dienst, ein Stück Brot, einen erfrischenden Trunk, ein liebes Andenken und um Trost in ihren Anliegen baten! Selbst Zudringlichkeit, Grobheit und Bosheit brachten es nicht fertig, sein geduldiges Schweigen und seine lächelnde Ruhe zu stören. Das Gebet dieses Dieners Gottes war nicht getragen von den hohen Gedanken eines Augustinus, Bernhard, Heinrich Seuse, Thomas von Kempen, Johannes vom Kreuz oder seines heiligen Vaters Franziskus; sein Alverna lag viel tiefer, lag in der Ebene der einfachen Leute, wo sich unser tägliches Leben abspielt und wo das Feuer der Liebe, das zu Gott emporsteigt und die dichten Nebel der niedrigen Welt bezwingt, alle unsere Handlungen heiligt und in Ewigkeitswerte verwandelt. So wird in der Ausübung der Pflicht die mühsame Arbeit zum Gebet, das Gebet zur brennenden Liebe, die brennende Liebe zu Standhaftigkeit und dauerndem Wachstum im Guten“ (Lektionar zum Stundenbuch II/3, S. 249).
Rom, am 21. April 2018, Fest des hl. Bruder Konrad (200 Jahre nach seiner Geburt)
1. Beten – ein universelles Phänomen
Zu allen Zeiten haben Menschen gebetet. Beten gehört zur religiösen Praxis der schrift- und geschichtslosen Völker ebenso wie zu den Hochreligionen. Solange wir den Menschen in seinem religiösen Verhalten beobachten können, betet er zu der ihm bekannt gewordenen Gottheit. Wo das Gebet gänzlich verstummt, da ist es um die Religion geschehen. Das persönliche wie das gemeinsame Gebet ist also das Herz jeder Religion. Es kann sich als Dank, Lobpreis, Sündenbekenntnis äußern, ist aber im Grunde immer ein Bitten des bedürftigen