auf Gott schauen, die Hände zu Gott erheben, vor Gott das Herz ausschütten, sich vor Gott verneigen, vor ihm niederknien, niederfallen. Solche Gesten, bewusst und andächtig vollzogen, sind Gebet. Sie bringen Ehrfurcht, Anbetung zum Ausdruck, ohne dass ein Wort gesprochen wird; sie sind aus sich heraus verständlich. Solches Beten mit Gebärden ohne Worte führt uns zum Gebet der Stille.
Gebet der Stille
Stille ist eigentlich bei jedem Gebet erforderlich. Ich nehme Abstand vom Alltag, von meinem Denken und Tun, um mich in Beziehung zu setzen zu Gott. Ich trete vor Gott und werde mir bewusst, wer er ist und wer ich bin. Auch die Liturgie erfordert unbedingt Stille. Das Wort der Vorstehenden muss aus der Stille kommen und auf die Stille in der Gemeinde treffen. Die Lesungen, vor allem das Evangelium, dürfen nicht wie ein Bericht vorgelesen, sondern sollen verkündet werden. Die Lektorin oder der Lektor muss den Text zuerst selber verstanden und still in sich aufgenommen haben, um ihn dann bewusst und mit innerer Teilnahme auszusprechen und vorzutragen. Das gilt auch für die offiziellen Gebete der liturgischen Bücher. Sie werden oft nur kühl zitiert statt persönlich nachvollzogen. Sowohl Lesungen wie Gebete sind wesentlich Bitte, Klage oder Dank, Jubel. Wo bleibt da die Emotion, der Affekt? Die aktive Teilnahme (participatio actuosa) an der Liturgie bedeutet nicht in erster Linie, dass möglichst viele etwas tun sollen, sondern dass alle von innen heraus, mit Herz und Verstand, mitvollziehen, was in der Liturgie geschieht. Sie lebt vom Wort Gottes und von unserer Antwort, von Zeichen und Symbolen, von der Stille. „Das verlautete Wort muss von der Stille umgeben und durchdrungen sein. Erst so entsteht Sprache, die kommunikativ wirkt. Das gilt bereits für die alltägliche Kommunikation, umso mehr für jene Sprache, deren Bezugsfeld das Heilige ist. Der Stille kommt sogar gegenüber dem Laut Priorität zu. Die Stille kann ohne Laut tiefste Kommunikation sein, ein Laut aber, der nicht an Stille gebunden ist, wird zum bloßen Lärm!“4
Stille ist also für jedes gemeinschaftliche wie persönliche Beten notwendig. Das eigentliche Gebet der Stille kommt ganz ohne Worte aus. Es ist im Grunde ein Ganz-bei-sich-Sein als ein Sein bei Gott. Das heißt zuerst ganz abschalten, sowohl die äußeren wie die inneren Geräusche, die Arbeit liegen lassen, die Sorgen abgeben, zu mir selber kommen, mich bewusst in und mit meinem Körper wahrnehmen. Ich kann zunächst eine aufrechte Haltung einnehmen, auf ein Kreuz, eine Ikone schauen, die Wechselwirkung wahrnehmen. Nach einer Weile setze ich mich (im Lotus- oder Fersensitz mit Kissen, Schemel oder Bänkchen als Hilfsmittel) auf den Boden, schließe die Augen leicht oder blicke vor mich nach unten ins Leere. Dann achte ich auf den Atem, wie er kommt und wie er geht, ganz ohne mein Zutun; ich spüre, wie ich lebe, lausche still in mich hinein. Nach etwa zehn Minuten setze ich mich entspannt hin und lese einen kurzen Text – z.B. das Tagesevangelium in der katholischen oder die Tageslosung in der evangelischen Kirche –, frage mich, welches Wort, welcher Satz mich besonders anspricht, sinne darüber nach und bitte schließlich Gott um Hilfe oder danke ihm, je nachdem was der Text in mir auslöst.
Wer diese Art Meditation länger übt, wird mit der Zeit ganz ohne Text oder Bild auskommen. In einer Zeit vieler Meditationsangebote ist es aber wichtig zu betonen, dass christliches Beten sich an ein Du richtet, an einen Gott, an den wir nicht bloß irgendwie abstrakt glauben, sondern an den wir uns wenden, weil er sich an uns gewandt hat. In seinen Worten (Bibel) und in den Sakramenten ist er bei uns; er wirkt in der Geschichte, auch heute. Im christlichen Bereich drückt sich das Gebet der Stille darum häufig so aus, dass Betende die Psalmen oder das Neue Testament vor sich haben oder unentwegt auf das am Altar in der Monstranz ausgesetzte Allerheiligste schauen. Nicht von ungefähr zieht die in manchen Kirchen übliche stille Anbetung den ganzen Tag über Gläubige an, besonders viele Jugendliche auf Katholikentagen oder bei dem in manchen Städten monatlich veranstalteten Night-Fever. Die Anbetung kann zur guten Gewohnheit werden, zum Gegengewicht von Betriebsamkeit und Hektik. Papst Johannes Paul II. sagte am 18. November 1980 beim Besuch des Konrad-Klosters in Altötting: „Wir sehen Bruder Konrad in seiner Zelle knien – vor dem Fensterchen, das man ihm eigens durch die Mauer gebrochen hatte, damit er immer zum Altar der Kirche schauen konnte. Durchbrechen auch wir immer wieder mitten im Alltag die Mauern des Sichtbaren, um immer und überall den Herrn im Auge zu behalten“ (zitiert nach der Inschrift vor der Alexius-Zelle im Kloster St. Konrad).
Beten ist franziskanisch
Die drei genannten Arten des Betens – mit Worten, mit dem Leib und in der Stille – kommen auch bei Franziskus vor. Das verwundert nicht, denn sein Vorbild und Lehrer war Jesus. Für Franziskus ist das Gebet vorrangig, zwar nicht von Anfang an, aber im Lauf seines Lebens immer stärker. Daheim, in der Kirche und in der Schule wird Francesco die ersten Gebete gelernt haben. Nach verflogenen Ritterträumen, nach Gefangenschaft und Krankheit gerät er in die Krise. Lange sucht er, bis er bei einer gewöhnlichen Messe im verkündeten Wort Gottes die Antwort auf seine Fragen findet. Nun zieht er sich immer öfter zum Gebet zurück. Seine radikale, Aufsehen erregende Lebenswende, sein Verzicht auf das Erbe und sein Versuch zu leben wie Jesus und dessen Apostel führen ihm bald Gefährten zu. Für sie wird er Leitbild, Beispiel, Vater und Mutter und Lehrmeister, auch im Gebet. Die heilige Teresa von Avila (1515–1582), die wegen ihrer reichen Praxis und Lehre der Kontemplation 1970 von Paul VI. zur Kirchenlehrerin erhoben wurde, nannte Franziskus einen „Meister des Gebets“.5 Gehen wir bei ihm ein wenig zur Schule.
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