Michael Rosenberger

Wie viel Tier darf's sein?


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ist, verwende ich die spezifischere, präzise Begrifflichkeit für diese Form.

      Das Wort „vegan“ geht auf den Engländer Donald Watson (1910–2005) zurück, der 1944 die Vegan Society als eine Abspaltung der englischen Vegetarian Society gründete. Der Begriff verbindet die ersten drei und die letzten zwei Buchstaben des Wortes „vegetarian“. Während der Vegetarismus mindestens zweieinhalb Jahrtausende alt ist und eine lange Geschichte hat, handelt es sich beim Veganismus also (abgesehen von der Religion der Jainas, an die man aber kaum anknüpft) um eine sehr junge Bewegung. Ein konsequent veganes Leben ist in einer vorindustriellen Gesellschaft nur sehr schwer möglich gewesen.

      Veganismus umfasst – im Unterschied zum Vegetarismus – weit mehr als die Ernährung. Da jegliche Tiernutzung abgelehnt wird, betrifft das auch Kleidung, Kosmetik und sogar Medikamente.

      Das Erkennen rein veganer Lebensmittel ist aufgrund der vielfältigen Verwendung von Stoffen tierischer Herkunft keine einfache Angelegenheit. So wird Gelatine mitunter zum Filtern von Weinen und Fruchtsäften eingesetzt. Bäckereien verwenden tierische Fette. Im Lebensmittelhandel werden vegane Produkte daher, besonders wenn es sich um verarbeitete Produkte handelt, zunehmend öfter gekennzeichnet. Hierzu gibt es das europaweit einheitliche Label der European Vegetarian Union, das eine grüne Pflanze in V-Form darstellt. Im umlaufenden Schriftzug enthält es jeweils die exakte Zuordnung zu einer der vier Kategorien vegan, ovo-, lacto- oder ovo-lacto-vegetarisch. Allerdings darf das Label völlig unabhängig von der ökologischen oder sozialen Qualität der Herstellung eines Produkts verwendet werden. Die gekennzeichneten Produkte stammen meistens aus der konventionellen Landwirtschaft und sind mitunter sogar aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt. Letzteres erfährt man ausschließlich im Kleingedruckten, denn in der Europäischen Union besteht eine Kennzeichnungspflicht für alle Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Bestandteilen.

      Während vegetarische Produkte auch im Segment ökologisch erzeugter Lebensmittel vorhanden sind, gilt dies für vegane Produkte bisher kaum. Denn ökologische Landwirtschaft basiert üblicherweise auf dem Kreislaufprinzip und setzt daher tierischen Mist und Gülle sowie andere „Abfallprodukte“ aus der Tierhaltung ein. Ökolandbau und Veganismus schließen sich nach klassischer Lehre also gegenseitig aus. Dennoch gibt es mittlerweile vereinzelt „bio-vegan“ wirtschaftende Betriebe, die Mitglied eines anerkannten Verbands der Ökolandwirtschaft sind. In Großbritannien und den USA existiert darüber hinaus bereits die Möglichkeit, den landwirtschaftlichen Betrieb nach den „Stockfree Organic Standards“, also den nutztierfreien ökologischen Standards, zertifizieren zu lassen. KonsumentInnen können auf dieser Grundlage biovegan angebaute Produkte am entsprechenden Label klar von anderen Produkten unterscheiden. In Deutschland gibt es derzeit noch keine vergleichbare Zertifizierung.

      Auch Kleidung und andere Textilien enthalten normalerweise einen großen Teil tierischer Stoffe. Ob Leder oder Wolle, Federn oder Knöpfe – einen guten Teil liefern Tiere. Eine konsequent vegane Lebensweise bedeutet, darauf zu verzichten. Lederschuhe und andere Lederwaren werden durch Produkte aus Kunstleder oder Kunstfasern ersetzt. Auch für Wolle, Daunen, Seide und Pelz gibt es Alternativen aus Kunstfasern oder rein pflanzlichen Materialien wie Baumwolle und Baumwollseide. Jedoch muss man selbst dann noch auf viele Details achten, denn beispielsweise Klebstoffe enthalten oft tierische Bestandteile, und Knöpfe werden meist aus dem Horn von Tieren hergestellt.

      VeganerInnen zahlen also einen erheblichen Preis: Die Auswahl beim Einkauf von Kleidung und Textilien reduziert sich drastisch, und das Einholen umfassender Informationen ist vielfach unmöglich. Vor allem aber haben Produkte aus Kunststoffen meistens nicht dieselbe Atmungsaktivität und Qualität wie Produkte aus natürlichen, von Tieren stammenden Stoffen. Noch dazu haben Kunststoffe eine viel schlechtere Ökobilanz. Das gilt mit Blick auf die Gewinnung ihrer (fast immer fossilen) Rohstoffe, deren energieintensive Verarbeitung und schließlich ihre umweltbelastende Entsorgung nach dem Gebrauch. Selbst Baumwolle ist keineswegs „unschuldig“. Zumeist stammt sie aus riesigen Monokulturen mit künstlicher Bewässerung. Um sie vor Schädlingen zu schützen, ist sie entweder gespritzt oder gentechnisch verändert. Einzig Bio-Baumwolle schneidet hier besser ab.

      Ein wichtiges und zugleich leichter zugängliches Segment veganen Konsums sind kosmetische Produkte. Da die Europäische Union seit 2013 keinen Handel mit Kosmetikartikeln mehr zulässt, die selbst oder in einigen ihrer Bestandteile an Tieren getestet wurden, ist die Kosmetikbranche mindestens in Europa tierversuchsfrei. Vegan sind europäische Kosmetika damit in dem Moment, wo sie keinerlei tierische Bestandteile enthalten. Davon gibt es eine Menge, wie man den einschlägigen Listen veganer Organisationen entnehmen kann.

      Relativ leicht können VeganerInnen auch auf Besuche von Zoo und Zirkus verzichten, also auf Einrichtungen, die Tiere im Gehege halten oder mit ihnen arbeiten. Der Veganismus sieht solche Einrichtungen, ganz gleich wie artgemäß und achtsam sie mit den Tieren umgehen, als Ausbeutung der Tiere und lehnt sie ab.

      An die Substanz geht es, wenn sehr strenge VeganerInnen auch auf Medikamente verzichten, die in Tierversuchen getestet wurden. So weit dürfte vermutlich nur eine verschwindende Minderheit gehen. Doch wird an diesem Beispiel deutlich, wie schwierig, ja nahezu unmöglich es ist, sich einem System von Wirtschaft und Technik völlig zu entziehen, das weitgehend gedankenlos auf die Nutzung von Tieren aufbaut. VeganerInnen sind Teil einer Gesellschaft, die so ist, wie sie ist. Sie leben nicht in einer Eigenwelt und werden damit früher oder später zu Kompromissen gezwungen. Das ist kein Argument gegen ihre Lebensweise. Minderheiten jeder Art und in allen Jahrhunderten kamen und kommen immer an die Grenzen der Möglichkeit, ihre Ideale absolut rein und unverkürzt zu leben. Ihre Standfestigkeit und Beharrlichkeit sind daher umso mehr zu schätzen. Denn egal ob ihr ethisches Urteil richtig oder falsch ist: Es war und ist einer der obersten Grundsätze der kirchlichen Moralverkündigung, dass Menschen ihrem Gewissen folgen müssen. Das taten und tun Minderheiten weit entschiedener und klarer als die Mehrheitsgesellschaft, in der viele sich bequem anpassen, nur um nicht anzuecken. Um es klar zu sagen: Ein Handeln nur um der Anpassung willen kann nie ein moralisch gutes Handeln sein. Denn zu diesem gehört immer eine bewusste, von der Meinung anderer unabhängige und reflektierte Entscheidung.

      Der kurze, mitunter unvollständig bleibende Überblick über die vegane Lebensweise zeigt, dass es um weit mehr als nur um die Ernährung geht. Denn der Umgang der Industriegesellschaft mit den Tieren wird grundsätzlich in Frage gestellt. VeganerInnen wollen sich in keiner Weise daran beteiligen – und das betrifft die allermeisten Bereiche ihres täglichen Lebens. Vegan zu leben stellt hohe Ansprüche.

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