eine agnostische Position zu beziehen. Aber dann änderte sich meine Einstellung aufgrund einer besonderen persönlichen Erfahrung. Es gelang mir, eine seit sechzehn Jahren erfolglos therapierte, immer unerträglicher werdende Herzarrhythmie dadurch zu stabilisieren, dass ich entgegen ärztlicher Weisung, ausdrücklich im Vertrauen auf Gott, sämtliche Medikamente absetzte. Im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung der existentiellen Situation des Menschen war nunmehr eine aufgeschlossenere Haltung der Offenbarungstheologie gegenüber unumgänglich.
Der Autor dankt Claudia Raschke für stete Unterstützung bei der Erstellung der elektronischen Dateien zu dem Manuskript.
Stuttgart, im April 2016
Dieter Radaj
I. Aufstieg und Verfall der philosophischen Theologie
Die Frage nach Gott versucht die philosophische Theologie auf Basis der Vernunft zu beantworten, während sich die Offenbarungstheologie an die im Wort ergangene Offenbarung hält. Die philosophische Theologie nahm ausgehend von der Antike ihren Aufschwung, verfiel jedoch in der Neuzeit zum Atheismus, Nihilismus und Existentialismus. Wilhelm Weischedel überwindet den Verfall durch eine streng am Denken orientierte Minimaltheologie, während Albert Schweitzer die Überwindung aus der Fülle des Lebens heraus gelingt.
1. Die Frage nach Gott
Nach Gott fragen und dabei Vernunft und Verstand anrufen heißt philosophisch fragen. Im Rahmen der philosophischen Theologie, auch »natürliche Theologie« genannt, wird die Frage nach Gott auf der Grundlage des begrifflichen Denkens behandelt, ursprünglich in der Antike relativ unabhängig von religiösen Autoritäten oder Erfahrungen, später im Mittelalter der Offenbarungstheologie unterstellt, in der Neuzeit wieder unabhängig davon, zumindest der Intention nach. Die philosophische Theologie gilt als Kerngebiet der Metaphysik. Das von ihr behandelte Grundproblem ist das Verhältnis von unendlicher Gottheit und endlicher Wirklichkeit. Sie kann vom Dasein, Wesen und Wirken Gottes positiv nur in analoger Form sprechen, oder aber in negativen bzw. paradoxen Bestimmungen. Vielfach wird die Bezeichnung »Gott« wegen des betont personalen Gehalts ersetzt durch die Bezeichnung »das Sein selbst« oder »der Urgrund«.
Die philosophische Theologie hat sich im Bereich des Christentums teils im Verbund, teils in der Auseinandersetzung mit der Offenbarungstheologie entwickelt. Diese antwortet im Vertrauen auf das von Gott an den Menschen gerichtete Wort. Das Wort kommt in den Zeugnissen der Bibel zum Ausdruck, von den Kirchen in Glaubenssätze umgesetzt. Die Autorität der Glaubenssätze hat im kirchlichen Bereich Vorrang vor der denkerischen Konsistenz und vor der Vernunft.
Die Normierung der Glaubensinhalte ist eine notwendige Begleiterscheinung kirchlicher Gemeinschaftsbildung, die im Christentum als heilswirksam hervorgehoben wird. Gleichzeitig wird dem Gläubigen ein Halt gegeben. Der Glaube, »der Berge versetzen kann«, hebt jene Fraglichkeit auf, zu der sich die neuzeitliche philosophische Theologie bekennt. Erst ein positiv ausgerichteter Glaube ermöglicht einen von Sinnhaftigkeit getragenen Lebensvollzug.
Um das rechte Verhältnis von Vernunft und Glaube wurde zur Zeit der Scholastik leidenschaftlich gerungen. Überwiegend wurde die Auffassung vertreten, dass die philosophische Theologie als denkerische Durchdringung der Glaubensinhalte zu betreiben sei. Erst der Glaube ermögliche die Einsicht, daher sei das philosophische Denken dem Glauben nachgeordnet. Man müsse nicht wissen, um zu glauben, sondern man müsse glauben, um zu wissen. Die Offenbarungstheologie setzte sich in den kirchlichen christlichen Traditionen bis heute fort, teilweise unter ausdrücklicher Zurückweisung einer Vernunftbasis. Die philosophische Theologie begleitete dagegen die Entstehung und Ausgestaltung der Naturwissenschaften. Dabei wurde der christliche Glaube anfangs geachtet, aber später zunehmend durch einen grundsätzlichen Zweifel ersetzt.
Ebenfalls zur Zeit der Scholastik entstand als bedeutende Strömung der philosophischen Theologie die christliche Mystik. Sie wurde bevorzugt von Frauen getragen. Mit ihr kommt neben der Erkenntnisweise der Vernunft die Erkenntnisweise der Gottesliebe zum Tragen. Der christliche Glaube kann sich entweder aktiv in der Außenwelt im Dienst am Nächsten oder in der Gemeinschaft bewähren, oder aber er kann sich in kontemplativer Versenkung des Gläubigen ausdrücken, der in weltlicher Abgeschiedenheit sich selbst aufgebend die mystische Einung mit Gott anstrebt.
Weder die Erkenntnisweise des Verstandes noch die des Herzens führen zu sicherer Erkenntnis von Gott. Bei aufrechtem Bemühen erlauben sie jedoch Annäherungen. Auch die Offenbarung Gottes ist keineswegs vollständig, sondern auf das Heilsgeschehen beschränkt. Es verbleibt das Mysterium. Der Glaube ist eine angemessene Antwort.
2. Aufstieg der philosophischen Theologie
Aufstieg und Verfall der philosophischen Theologie im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte sind von W. Weischedel umfassend und detailliert dargestellt worden.1 Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Darstellung wurden vom Verfasser als Übersicht zusammengestellt.2 Darauf fußend werden nachfolgend nur die Kernpunkte der geschichtlichen Entwicklung hervorgehoben.
Als Grundzug der Entwicklung erscheint ein Aufstieg der philosophischen Theologie beginnend in der griechischen Antike bis zu einem Höhepunkt in der frühen Neuzeit, gefolgt von einem dramatischen Verfall in der eigentlichen Neuzeit. Versuche, dieses Scheitern zu überwinden, schließen sich an. Der Aufstieg wird von Weischedel mit dem Höhepunkt bei Hegel gesehen, worauf sich der Verfall abrupt vollzieht. Der allmähliche Verfallsbeginn ist jedoch dem englischen Empirismus und der französischen Aufklärung anzulasten.
Die Frage nach Gott bzw. dem Göttlichen entsteht mit der Geburt der Philosophie in der griechischen Antike. Das Göttliche wird als das eigentlich Seiende hinter der welt- und naturhaften Wirklichkeit gesehen. Die philosophische Theologie löst damit die geschichtlich frühere mythische Welterklärung ab. Im Hellenismus der Spätantike werden die bisherigen Lehren mit eigenständigen Abänderungen fortgeführt, wobei die Praxis des realen Lebensvollzugs in den Vordergrund tritt (Epikureismus, Stoa, Neuplatonismus).
Die philosophische Theologie der Patristik, also der Kirchenväter, beinhaltet die Entstehung der christlich geprägten Philosophie. Ausgehend von der jüdischen Vorstellung des heilsgeschichtlich wirkenden einen Gottes, der sich im prophetischen Wort dem Menschen offenbart, verkündet das Christentum den allmächtigen Gott der Liebe und Gnade, der durch die Menschwerdung und die Opferung seines Sohnes Jesus Christus die Heilsgeschichte vollendet. Gott war bereits im Judentum ausschließlich Person und als solche dem Kosmos entrückt. Die Diskrepanz zur Philosophie der Antike ist evident. Sie wird dadurch weiter verstärkt, dass das Christentum eine von Gott offenbarte Wahrheit vertritt, während die antike Philosophie bescheidener zur Erhellung des Seins und zur Praxis des Lebensvollzugs beitragen will. Gleichzeitig waren gnostische Strömungen abzuwehren, die Erlösung durch mystische Selbst- und Gotteserkenntnis anstrebten.
Tatsächlich gelingt es dem Kirchenvater Augustinus, die paulinischen Glaubenssätze mit neuplatonischer Philosophie zu einer neuartigen Einheit zu verbinden. Er erkennt und nutzt die Möglichkeiten einer philosophisch begründeten Schriftexegese. Aber die Philosophie allein kann nach Augustinus die Wahrheit nicht finden, sondern nur der durch die Schrift und die Kirche verbürgte Glaube.
Die Philosophie des Mittelalters, die Scholastik, ist überwiegend philosophische Theologie. Sie entfaltet sich auf der Grundlage christlich anerkannter Schriften (Paulus, Kirchenväter, Aristoteles) und deren begrifflich-denkerischer Auslegung nach der Vernunft. Albertus Magnus und Thomas von Aquin begründen den Aristotelismus der Scholastik. Die natürliche Vernunft wird dem übernatürlichen Offenbarungsglauben unterstellt, wobei über den Grad der Unterstellung unterschiedliche Auffassungen bestehen. Überwiegend wird die gemäßigte Ansicht vertreten, dass die philosophische Theologie als denkerische Durchdringung der Glaubensinhalte zu betreiben sei. Ein weiteres bevorzugtes Betätigungsfeld sind die Gottesbeweise. Zunehmend wird die Macht der Vernunft gegenüber dem Glauben wahrgenommen, was sich in den zeitgleichen Anfängen der Naturwissenschaft ausdrückt. Eine weitere bedeutsame Strömung der philosophischen Theologie des Mittelalters ist die Mystik, in der sich die Erkenntnisweisen des Verstandes und des Herzens verbinden. Am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit steht schließlich der bedeutende philosophische Theologe Nikolaus von Kues, der im »gelehrten Nichtwissen« die seinerzeitigen