aller Werte« und »die ewige Wiederkehr«, wobei Letztere die Sinnlosigkeit des Daseins ausdrückt. An die Stelle der Symbolgestalt des Gekreuzigten setzt Nietzsche den griechischen Gott Dionysos als Verkörperung eines rauschhaften, alle Formen sprengenden Schöpfungsdranges.
Die zweite philosophische Strömung der Neuzeit, in der sich der Verfall der philosophischen Theorie zeigt, ist die Existenzphilosophie. Als Vorläufer gilt die Existenztheologie Sören Kierkegaards, nach der der Mensch erst durch die freie Entscheidung zum absurd erscheinenden christlichen Glauben die eigentliche Existenz erlangt – im Sprung aus der mit Angst erlebten Sinnlosigkeit der Welt. Die spätere Existenzphilosophie ruft den Menschen zu einer »Existenz« auf, die sich in der je einmaligen Geschichtlichkeit des Menschen zeigt und als Einsamkeit bzw. Angst erlebt wird.
Nach Karl Jaspers kann dem Menschen an den Grenzen der Erkenntnis bzw. im Scheitern von Lebensentwürfen der Sprung in die »Gewissheit des Selbstseins« auf Grund seiner Freiheit und im Glauben an die Transzendenz gelingen. Nach Martin Heidegger muss in der Angst vor dem Nichts der Sprung des Denkens in das Sein vollzogen werden. Das Entfliehen des Gottes im Ausbleiben des Seins kann nur durch dessen erneutes Erscheinen aufgehoben werden.
Etwa zur selben Zeit wird die philosophische Theologie vom existentialen Protestantismus zurückgewiesen, während die neuscholastisch geprägte katholische Theologie der »natürlichen Theologie« Raum gibt. Nach Karl Barth ist es ausschließlich Sache des Glaubens, Gott in der Wirklichkeit und als Wirklichkeit zu erkennen: »Die menschliche Vernunft ist blind für Gottes Wahrheit«. Unter Glauben versteht Barth die Begegnung mit Gott, in der aber dem Menschen alle Eigeninitiative genommen ist. Gott ist der Handelnde und nicht der Mensch. Allein im Wort offenbart sich Gott. Auch Rudolf Bultmann, der Theologe einer umstrittenen »Entmythologisierung« des Neuen Testaments, sieht allein im Glauben die Möglichkeit der Gotteserkenntnis. Gerhard Ebeling wiederum bestreitet die Möglichkeit einer philosophischen Theologie, weil über Gott keine neutralen Aussagen gemacht werden können. Wer eine Aussage über Gott macht, muss mit seiner eigenen Existenz für die Existenz des ausgesagten Gottes einstehen. Das Reden von Gott ist somit Sache des Glaubens im Sinne von Vertrauen auf den wahren Grund der Existenz.
Philosophie und Glauben stehen nach Auffassung des existentialen Protestantismus in einem grundlegenden Widerspruch.1 Der Gläubige lässt sich den Glaubensinhalt vom Evangelium vorgeben, während der Philosophierende auf Einsicht setzt. Der Gläubige stellt sich unter die Autorität des Mensch gewordenen Gottes, während der Philosophierende die Freiheit des Denkens für sich beansprucht. Das hat zur Folge, dass sich der Gläubige seines Gottes gewiss ist, während der Philosophierende auf die Fraglichkeit Gottes stößt. Offenbarungstheologie und philosophische Theologie sind in dieser Hinsicht unvereinbar.
5. Weischedels Überwindung des Verfalls der philosophischen Theologie
Im Atheismus, Nihilismus und Existentialismus hatte die philosophische Theologie einen kaum noch zu unterbietenden Tiefpunkt erreicht. Wollte man sie wiederbeleben, musste am Tiefpunkt mit dem philosophischen Fragen nach Gott neu begonnen werden. Dieser Aufgabe hat sich der Philosoph Wilhelm Weischedel (1905–1975) in seinem epochalen Werk »Der Gott der Philosophen – Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus« unterzogen.1 Weischedel ist der Fachwelt als Herausgeber der Werke Kants bekannt, aber auch breiteren Kreisen vertraut durch seine unkonventionelle Darstellung der großen Philosophen über »Die philosophische Hintertreppe«.3
Nach den vorangehenden Ausführungen hat das radikale Fragen der Philosophen in der Neuzeit zum Nihilismus und zur umfassenden Skepsis geführt. Weischedel folgert, dass jedes nachhaltige Philosophieren und noch mehr jeder Versuch einer philosophischen Theologie einen positiven Ansatz benötigt, um überhaupt in Gang zu kommen. Nur wenn ein solcher Ansatz vorliegt, kann eine Antwort gefunden werden, die über eine unergiebige Verneinung hinausgeht. Das zeigt sich an allen Entwürfen der philosophischen Theologie bis einschließlich Hegel.
Dennoch will Weischedel nicht auf die unausgewiesenen Voraussetzungen zurückgreifen, die die unterschiedlichen Entwürfe erst ermöglicht haben, etwa das Durchwaltetsein der Welt vom Göttlichen oder die Geschöpflichkeit des Menschen oder die Zugehörigkeit des Selbst zu einer übersinnlichen Welt oder die Möglichkeit, sich vom Endlichen unmittelbar zum Unendlichen zu erheben. Offenbarungstheologie wird als unvereinbar mit philosophischer Theologie angesehen.
An den Beginn seiner Grundlegung der philosophischen Theologie stellt Weischedel den freien Grundentschluss zum Philosophieren, Letzteres verstanden als Fragen, Infragestellen und Weiterfragen, weiter verschärft zum radikalen Fragen nach Sein und Sinn. Der Grundentschluss geht von der philosophischen Grunderfahrung der Fraglichkeit von Weltwirklichkeit und Menschenexistenz aus: Fraglichkeit als ein Schweben zwischen Sein und Nichtsein bzw. zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Diese Grunderfahrung wird als »unmittelbar präsent« bezeichnet. Dem Tiefpunkt der philosophischen Theologie entsprechend erfolgt das radikale Fragen in Form des »offenen Skeptizismus« (offen für die Möglichkeit von Wahrheit), des »offenen Atheismus« (offen für die Möglichkeit eines Gottes) und des »offenen Nihilismus« (offen für die Möglichkeit von Sein und Sinn). Die Ergebnisse von Weischedels philosophischer Bemühung sind in Kapitel II dargestellt.
Wenn Weischedel im Titel seines Werkes den Nihilismus als »Merkmal des Zeitalters« anspricht, so meint er damit die philosophische Position von Nietzsche und Heidegger, hinter die ein zeitgenössischer kontinental-europäischer Philosoph nicht unbegründet zurückgreifen kann. Nietzsches Vision, den Nihilismus durch den »Willen zur Macht« »jenseits aller Werte« zu überwinden, ist misslungen, hat ihm selbst die psychische Gesundheit genommen und hat später eine ganze Nation ins Verderben gestürzt. Heidegger wiederum hat versucht, die »Existentialien«, Angst und Geworfenheit des Menschen, über eine »Kehre des Denkens von der Vergessenheit zur Wahrheit des Seins« zu überwinden. Diese Kehre ist aber nicht einem Entschluss des Menschen unterstellt, sondern bedarf des Geschicks des Seins selbst. Auch Heidegger hat somit den Nihilismus keineswegs überwunden.
Die der Überwindung des Nihilismus dienende Grundlegung der philosophischen Theologie, die sich Weischedel vorgenommen hat, ist daher eine Aufgabe, ohne deren Lösung eine gedeihliche Fortentwicklung der philosophischen Theorie zumindest im kontinental-europäischen Bereich als unredlich erscheint. Wer sich im Dickicht falscher Denkweisen verlaufen hat, muss erst auf den rechten Weg zurückkehren. Es geht ja auch nicht nur darum, im Sinne Weischedels den Verfall der philosophischen Theologie denkerisch zu überwinden. Das darüber hinausgehende Ziel sollte es sein, in Verbindung von philosophischer Theologie und Offenbarungstheologie eine höhere Erkenntnisebene zu erreichen.
Die Überwindung des Nihilismus in Theorie und Praxis ist aber auch eine fortdauernde Aufgabe in den westlichen Gesellschaften. Besonders junge Menschen empfinden die Sinnlosigkeit des auf Konsum und Wellness ausgerichteten Lebensvollzugs. Massenmörderische Attentate und Selbstmorde sowie die Faszination des Dschihad sind Ausdruck einer nihilistischen, in gewalttätige Selbstübersteigerung einmündenden Weltsicht.
6. Albert Schweitzers philosophisch-theologische Antwort
In ganz anderer Weise hat Albert Schweitzer (1875–1965) auf die skeptizistischen, atheistischen und nihilistischen Tendenzen seiner Zeit geantwortet. Während Weischedel das Problem rein denkerisch zu lösen versucht, geht Schweitzer davon aus, dass der Mensch mehr noch als durch Erkennen durch Erleben der Welt nahe kommt: »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will«. Die »Ehrfurcht vor dem Leben« muss demnach Grundlage aller Philosophie und Ethik sein. Dies ist der schon von Kant her bekannte Schritt aus der unbefriedigenden Erkenntnissituation in die überzeugender begründbare Welt des Willens und des Handelns. Schweitzer selbst hat diesen Schritt überzeugend vollzogen, als Urwaldarzt in Afrika und zugleich als bedeutender Organist und Bach-Interpret.
Es ist notwendig, genauer darzulegen, was Schweitzer unter »Ehrfurcht vor dem Leben« versteht, zumal der Begriff »Leben« in der Philosophie ein breites Bedeutungsspektrum abdeckt. Die wesentlichen Punkte lassen sich dem Epilog zu seinem Lebensbericht entnehmen.4 Schweitzer sieht die Welt voll von Leid und im geistigen Niedergang begriffen, glaubt aber, dem Menschen helfen und ihn bessern zu können. Ausgangsbasis ist ihm das dem (ethischen) Skeptizismus entgegengerichtete Denken