Martín Camenisch

" Hoch Geachter Her Verhörrichter …"


Скачать книгу

3.2 Vorgezeichnete Verhaltensschemata?

       3.3 Zwischen Problemschlichtung und Problementfachung

       3.4 Die Wurzeln der Beamtenbeleidigung

       3.5 Landjäger und ihr Fang

       Innenwelten – die Psychologie des Landjägers

       Selbstwahrnehmung

       1 Massstäbe der Selbstbeurteilung

       2 Das Verhältnis zur Definitionsmacht

       Ideologie

       Gemütszustände

       Schlusswort

       Anhang

       Bildnachweis

       Abkürzungen

       Quellen

       Literatur

       Ortsregister

       Personenregister

      Vorwort

      Was bedeutete es, in einem werdenden modernen Staat des 19. Jahrhunderts Polizist zu sein? Wie sah sein Alltag, der permanent zwischen Dienstzeit und Pikettbereitschaft pendelte und auf einem fremden Posten zu versehen war, aus? Wie bewältigte der Polizeibeamte in diesem werdenden Staatswesen seinen Alltag und die ihm auferlegten Pflichten? Und vor allem: Wie fühlte er sich dabei?

      In der folgenden Untersuchung zur Alltagsund Sozialgeschichte des Polizeiwesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts interessiere ich mich in erster Linie für die Stimme der damaligen Landjäger. Anhand eines Korpus von mehreren tausend Rapporten, die in Form und Umfang einzigartig sind, habe ich versucht, ihren Alltag und mit ihm verbundene Themenfelder möglichst vielschichtig zu rekonstruieren. Dazu gehören Anzeigen über private und berufliche Auseinandersetzungen mit Interaktionspartnern, Fragen der Verköstigung von Fahrenden (den abzuschiebenden und unerwünschten Fremden), der Umgang mit der Macht (gegenüber denselben), gegen Landjäger gerichtete oder von ihnen verübte Misshandlungen, Berichte über Arzt- und Kurbesuche, konfessionelle Spannungen, Sprachfragen, subsistenzwirtschaftliche Aktivitäten, Ernährungsfragen, Unterkunfts- und Mietfragen, Verschuldungen, Berichte von Hausschäden oder Naturkatastrophen, Alkoholprobleme, Fälle von Vergewaltigungen, Paternitätsfälle, Depressionen, Spuren von Gewissensbissen oder Ängsten, Todesfälle, Beerdigungen von Dienstkameraden und zahlreiche andere Aspekte.

      Ich hoffe, liebe Leserin, lieber Leser, dass es mir gelingt, Sie mit auf diese Reise zu nehmen und mit Ihnen in die aus diesen unterschiedlichsten Themenfeldern rekonstruierte Welt der Landjäger einzutauchen.

      Für die Realisierung dieser Untersuchung, welche gleichzeitig eine leicht überarbeitete Version meiner im Wintersemester 2013/14 an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich eingereichten Dissertation ist, wurde ich von mehreren Personen und Institutionen unterstützt. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Besonderer Dank gilt Carlo Moos, welcher diese Arbeit betreut hat und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist. Clà Riatsch danke ich für die vielen geistreichen und interessanten Gespräche während der gesamten Studienzeit. Weiter möchte ich mich ganz besonders bei allen Mitarbeitenden des Staatsarchivs Graubünden bedanken, insbesondere bei Ursus Brunold, der mir mit seinem Wissen und seinen Ratschlägen immer wieder spannende Einblicke ins Archivleben gewährt hat und mit dem ich viele interessante Unterhaltungen führen durfte. Meinem guten Freund und ehemaligen Studienkollegen Fabian Baumgartner gilt ein ganz herzlicher Dank für die wertvollen Rückmeldungen während meines Schreibprozesses. Nicht zuletzt und ganz besonders möchte ich meiner Freundin Marion, meinen Eltern und meinen Schwestern danken, welche mich immer mit grossem Herzen und viel Geduld unterstützt und bei Bedarf zurückgeholt haben aus dem imaginären Büro des Verhörrichters, bei dem alle Rapporte der Landjäger ein- und ausliefen.

      Für das Gelingen dieser Publikation möchte ich mich besonders herzlich bei meinem Arbeitgeber, der Pädagogischen Hochschule Graubünden, bedanken. Sie hat mir bereits während des Schreibens hervorragende Bedingungen gewährt und war mir eine wichtige Stütze. Für die Buchproduktion bedanke ich mich ganz herzlich beim Verlag Hier und Jetzt und im Besonderen bei Madlaina Bundi, Simone Farner und Urs Hofmann. Sie alle haben durch ihre lösungsorientierte Art und Weise einen sehr guten Austausch ermöglicht. Marius Risi vom Institut für Kulturforschung Graubünden danke ich für die wertvollen Ratschläge und für seine Anstrengungen im Hinblick auf das Endprodukt. Für die Bildbearbeitung sei meinem guten Freund Donat Caduff, für die grosse Hilfe bei der Bildbeschaffung im Besonderen Arno Caluori vom Rätischen Museum, für die Hilfe bei der Reproduktion der ausgewählten Quellen den Mitarbeitenden des Staatsarchivs Graubünden ganz herzlich gedankt.

      Rofels, stad 2015

      Martín Camenisch

image

      1 Der Canton Graubünden verbessert und vermehrt, 1821. Gezeichnet von H. Keller, graviert von M. Scheumann.

      Einleitung

      «[Ich] Ersuche Sie Freündschaftlich, wan ich könti mein Weib, und Kinder, nach Zernetz zu mir nemmen, bis künfigtij Frujahr, und dan werde ich in Gottes nammen den Landjäger Dienst quiteren, und nach Hause gehen.»1

      Als der in Zernez stationierte Landjäger Jakob Guler (1793–1841) im Herbst des Jahres 1830 diese Mitteilung an seinen Vorgesetzten in Chur, Verhörrichter Heinrich de Mont (1788–1856)2, sandte, war das Polizeiwesen bereits seit mehr als fünf Jahren ein zentraler Bestandteil seines Alltags geworden.3 Im Verlauf dieser Zeit hatte er sich als Polizist zahlreichen Normen und Rahmenbedingungen beugen müssen, hatte jedoch im jungen und mit einem relativ personalarmen Polizeikorps ausgestatteten Kanton Graubünden auch seinen Teil zur Konstituierung des sich entwickelnden Polizeisystems beigetragen. Dies, indem er entweder mit einem richtlinienkonformen Verhalten zu einer Verdichtung geltender Rahmenbedingungen beigetragen oder aber bei der Bewältigung des Alltags einen eigenen, neuen Interpretations- oder Vorgehensweg eingeschlagen hatte, welcher von der Polizeileitung entweder akzeptiert, nicht entdeckt oder im schlimmsten Fall als deviant erklärt und sanktioniert wurde. Aus der Retrospektive ist das Verhältnis, in dem Landjäger Guler am Tag des zitierten Rapports zu diesem System stand, nur zu vermuten. Erfahrbar gemacht werden in seinem Bericht dagegen die arbeitsbedingte Trennung von der Familie und ein sich in seiner Anfrage widerspiegelndes Untertanenverhältnis. Die angesprochene Kündigungsabsicht lässt den Hauch einer gewissen Wehmut anklingen, was Zwänge und Nöte, in denen sich der Landjäger befand, erahnen lässt. Landjäger Jakob Guler hing offenbar durchaus an der