für die Institution nicht schmälern wolle.8 Grundstock der Sammlung waren die seit 1884 staatlich erworbenen Stücke und die Sammlungsbestände der Stadt Zürich. Als künftiger Sitz des neuen Museums hatte die Stadt Zürich sich verpflichtet, diesem ihre Sammlungen zu überlassen.9 Mit Baubeginn (1892) begannen die neu ernannte Landesmuseumskommission und der Museumsdirektor mit der Erwerbung weiterer Objekte.10 Erstaunlicherweise existierte aber überhaupt kein präzises Sammlungsprogramm, das Auskunft darüber gegeben hätte, welche Objektarten die Sammlung des Schweizerischen Landesmuseums enthalten sollte. Lediglich eine allgemeine Formel im Bundesbeschluss von 1890 bot Orientierung:
«GESCHENKE: Herr Dr. Hans Frey, Seminarlehrer in Küsnacht: Spiritusapparat für ein chemisches Laboratorium, um 1860. Herr H. Furrer-Fleckenstein in Zürich: Blechsschachtel [sic!] und zwei Tabakspfeifen mit Wappen Orelli, um 1850. […] Herr Robert Gast in Zürich III: Messingener Fingerring, ausgegraben. Frau Stadtrat Landolt-Mousson in Zürich: Drei Paar Seidenstrümpfe, Anfangs des 19. Jahrhunderts. […]11
Ankäufe: Vorgeschichtliche, römische und frühmittelalterliche Gegenstände[:] Drei Steinbeile, Lanzenspitze von Feuerstein, zwei Messer, Spachtel und Plättchen von Hirschhorn, Rest eines Holzgerätes, Gefässcherben [sic!] mit Verzierungen, Gefässhenkel, eine Dolchklinge von stark kupferhaltiger Bronze und eine solche von fast reinem Kupfer; Ergebnis der Ausgrabungen der Pfahlbaues Obermeilen. […] MITTELALTER (BIS ZUM JAHRE 1500)[:] Holzfiguren: Christus am Kreuz in langärmeligem Gewande 13. Jahrhundert, aus der Umgebung von Uznach. – Christus am Kreuz, mit langem Lendentuch, 14. Jahrhundert, aus dem Gasterland. – Johannes Evangelist, Ende des 15. Jahrhunderts, von Büttikon, Kt. Aargau. […] 16. JAHRHUNDERT[:] Truhe von Arvenholz mit flachgeschnitztem Rankenwerk, 1589; Graubunden [sic!]. – Bemaltes Kästchen von Buchenholz mit Darstellung der zwei Botschafter aus Kanaan, Mitte des 16. Jahrhunderts, Kanton Luzern. Glasgemälde, Allianzscheibe des Jost Schmid (von Uri) und Vemia von Erlach 1545. […] Schweizerdolch in kupfervergoldeter Scheide mit Darstellungen aus der Geschichte Simsons. […] 17. JAHRHUNDERT[:] Tisch von Nussbaumholz mit drehbaren Seitenträgern; aus Bremgarten. – Geschnitzte Truhe von Nussbaumholz, datiert 1630; italienische Arbeit aus dem Kanton Uri. – Geschnitzter Lehnstuhl mit gestickten Polsterüberzügen und Blumen- und Früchtemuster. […] 18. JAHRHUNDERT[:] Silberne Schildfigur vom Landvogteistabe Neunkirch, 1764, Kt. Schaffhausen. – 16 Garnituren und Teile solcher von Silberfiligran von Freiämter Midern – 13 Bügeleisen mit durchbrochenen und gravierten Messingmänteln, Kt. Neuchâtel. – Zwei Messingpetschafte und ein bronzener Siegelring aus dem Kanton Zürich – Bauernfingerring. […] 19. JAHRHUNDERT[:] Ölgemälde, Brustbild des Hauptmanns Joh. Müller im Ersten französischen Schweizergarde-Regiment um 1817, und sieben Aktenstücke und Militärzeugnisse für den genannten Offizier, 1810–1826. – Bonbonnière von Schildkrot mit Miniaturbild einer Dame in Empirekostüm, angeblich ein Fräulein Escher von Luchs. […]»12
Abb. 6: Jahresbericht zuhanden des Departements des Innern der Schweizerischen Eidgenossenschaft, erstattet im Namen der Eidgenössischen Kommission für das Landesmuseum und der Direktion, 1909, Abschrift verschiedener Auszüge aus S. 28–39, Retro.Seals.
«[Das Landesmuseum] ist bestimmt, bedeutsame vaterländische Alterthümer geschichtlicher und kunstgewerblicher Natur aufzunehmen und planmässig geordnet aufzubewahren.»13
Unter den Sammlungsverantwortlichen herrschte Konsens darüber, was unter «vaterländisch» zu verstehen war. Sie qualifizierten damit alle Objekte, die innerhalb des staatlichen Grenzverlaufs der Schweiz (Ende des 19. Jahrhunderts) hergestellt worden waren, wie auch Objektgruppen, die in engerem Bezug zu den Landesbewohnerinnen und -bewohnern standen, beispielsweise die Uniformen von schweizerischen Söldnern oder ausländische Porzellan- und Fayencenstücke, die in zahlreichen Haushaltungen in der Schweiz in Gebrauch waren.14 – Was ein «bedeutsames» Objekt sei, darüber sollte es Anfang des 20. Jahrhunderts noch zum Streit kommen.
Die Botschaft des Bundesrats von 1889 enthielt zusätzlich noch die Angabe zum Zeitraum, aus dem die Objekte stammen sollten, und zwar «von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts».15 Auf diese Zeitspanne rekurrierten die Sammlungsverantwortlichen später immer wieder. Gleichzeitig unterliefen sie sie aber auch ständig. Bereits 1892 wurde beschlossen, «schweizerisch[e] Uniformen des In- und Auslandes […], ausnahmsweise auch des 19. Jahrhunderts»16 zu sammeln, mit der Begründung, es sei sehr schwierig, gut erhaltene Stücke aus früheren Jahrhunderten zu bekommen.17 Unter den Geschenken befanden sich ebenfalls zahlreiche Objekte des 19. Jahrhunderts, wie die obige Liste illustriert.
Die Museumsbehörden bauten den Grundstock der Sammlung aus und erwarben, was ihrer Meinung nach in «künstlerischer, historischer oder dekorativer Hinsicht begehrenswert»18 war. Zusätzlich sammelten sie in den ersten Jahren auch Objekte, denen sie keinen künstlerischen oder geschichtlichen Wert zusprachen, die sie aber als wertvolle Zeugen der Alltagskultur (insbesondere der ländlich-bäuerlichen) beurteilten: sogenannter Bauernschmuck, Haushaltgeräte, Militäruniformen und so weiter. Diese Objekte figurierten unter dem Begriff «kulturhistorische Altertümer».19 In Zusammenhang mit der räumlichen Ausgestaltung des Museumsgebäudes kamen als weitere besondere Objektgruppe die «dekorative[n] Einrichtungsgegenstände»20 und «bauliche[n] Altertümer»21 hinzu: Kamine, Flachschnitzereien, geschnitzte Balken, Türen und so weiter.22 Sie waren als verbindendes Element zwischen Sammlungsstücken und Museumsarchitektur gedacht. Gemäss dem ersten Museumsdirektor, Heinrich Angst, sollten sie nicht nur als «malerische und lehrreiche Sammlungsobjekte»23 dienen, sondern auch einen «unendlich bessern Rahmen und Hintergrund für die Altertümer selbst» abgeben, als es «moderne architektonische Gebilde»24 seiner Meinung nach konnten. Insgesamt gab es in der Sammlung des Schweizerischen Landesmuseums am meisten ur- und frühgeschichtliche Objekte sowie Kunsthandwerk und Waffen aus der Zeit des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit.25
Der gesetzliche Auftrag des Landesmuseums lautete, Altertümer «planmässig geordnet aufzubewahren».26 Das war alles andere als einfach. Konnte der Direktor 1895 noch verkünden, es habe im Museumsbau genügend Platz, um auch weniger wertvolle Geschenke auszustellen, 27 so war die Situation drei Jahre später eine ganz andere. Es gab nicht ausreichend Platz, um die stetig wachsende Objektmenge ausstellen zu können.28 Daher wurden vor der Eröffnung kurzfristig für die Museumsverwaltung vorgesehene Räume in Ausstellungsräume umfunktioniert, vor allem im zweiten Stock des Museums, der gar nicht dafür vorgesehen war. Zusätzlich wurden in den Korridoren Sammlungsstücke aufgestellt.29 Obwohl die Direktion sich nach eigenen Angaben bemühte, «jede Ecke in dem Gebäude auszunützen», 30 mussten grössere Bestände unausgestellt bleiben und in den Dachräumen und im Keller eingelagert werden.31
Wie die räumliche Situation in den Ausstellungsräumen um 1898 ausgesehen hatte und wie die ersten Sammlungspräsentation, damit haben sich François de Capitani und Chantal Lafontant Vallotton ausführlich beschäftigt.32 François de Capitani beschreibt die Sammlungspräsentation als einen chronologisch strukturierten Rundgang, verteilt auf zwei Stockwerke. Als Ausgangspunkt hätten die sogenannten Pfahlbau-Sammlungen gedient, die für ein über die Sprachregionen und Konfessionen verbindendes Geschichtsbild gestanden seien, während als historischer Höhepunkt Waffen zur Darstellung der Heldentaten des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts (ohne innerschweizerische Gründungsmythen) entsprechend der neuen vorreformatorischen Geschichtsschreibung ausgestellt worden seien. Als kultureller Höhepunkt sei die kunstgewerbliche Produktion der frühen Neuzeit, verstanden als utopischer Gegenraum zur Industriegesellschaft der Gegenwart mit ihren sozialen Konflikten, präsentiert worden. De Capitani sieht die Ausstellung im Landesmuseum als räumliche Verwirklichung eines kulturgeschichtlichen Programms, das ganz der Geschichtsschreibung am Ausgang des 19. Jahrhunderts entsprochen habe, oszillierend zwischen nationaler Heldengeschichte und Kunstgeschichte.33
Gemäss den vorliegenden Plänen gelangten die ersten Museumsbesucherinnen und -besucher vom Eingang aus über einen langen Korridor zuerst in den Saal mit der prähistorischen Sammlung (Abb. 7 und 8). Der zweite, viel kleinere Saal war mit römischen Objekten ausgestattet, es folgte die «Zeit der Völkerwanderung», 34 und im vierten