Leoni Hellmayr

Der Mann, der Troja erfand


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      Das Trinkwasser ist lauwarm und meist voller Insektenlarven; nur mit Branntwein gemischt wird es genießbar; gegen das Durstgefühl hilft es trotzdem nur wenig. An den Abenden, wenn sie am Ufer ihr Nachtquartier aufgeschlagen haben, ist für Schliemann kaum an Schlaf zu denken. Selbst in den Hütten, die keine Wände haben und nur aus Laubdächern und vier Pfählen bestehen, hört er nicht auf zu schwitzen. Der Branntwein und das Klima machen ihn unangenehm träge, während die blutrünstigen Mücken ihn zu jeder Stunde terrorisieren.

      Zu Land geht es weiter über Gebirge, mit steilen Abhängen und schmalen Pfaden, auf denen keine zwei Maultiere nebeneinander stehen können. Aus den Tälern klingt ein Konzert aus Vogelstimmen und Affengebrüll. Bunte Papageien kreischen in den Baumwipfeln. Überall flattern Schmetterlinge, in leuchtenden Farben, manche von ihnen so groß wie Tauben. Wenn Schliemann Hunger hat, kann er wortwörtlich einfach nach oben greifen: Schon hält er eine Orange oder eine andere Frucht in der Hand, die überall reif und schwer von den Ästen hängen. Die Eingeborenen passen seiner Meinung nach hervorragend in das Ambiente. Diese seien nämlich, so schreibt er es in sein Tagebuch, faul und völlig zufrieden, sofern sie nicht mehr zu tun haben als schlafen, essen und trinken. So müsse es im Garten Eden zugehen.

      Doch die Reise durch das fremde Land hat noch eine andere Seite. Schliemann gewöhnt es sich an, die Begleiter der Reisegesellschaft aus dem Augenwinkel zu beobachten. Vor allem dann, wenn das Boot zur Fahrt losgemacht wird oder wenn der Weg durch den Tropenwald besonders unwegsam wird, schielt er unauffällig zu ihnen. Schauergeschichten haben sich herumgesprochen, über ahnungslose Passagiere, die von den Bootsleuten oder von Eingeborenen aus dem Hinterhalt ertränkt, erstochen oder erschossen und danach ausgeraubt worden waren. Dass das keine Märchen sind, bestätigen Geier und Insekten, die Schliemann über vereinzelten Stellen im Dickicht des Ufers oder etwas abseits vom Weg entdeckt. Sie fliegen über den Leichen der Opfer, die von den Tätern achtlos ins Gebüsch geworfen worden waren. Ihr Verwesungsgeruch vermischt sich mit dem von verendeten Maultieren und Leguanen. Manchmal unterscheidet sich der Geruch kaum von dem süßlichen Duft der überreifen Früchte in den Bäumen. Schliemann ist froh, wenn er das Fäulnis verströmende Paradies auf Erden endlich hinter sich lassen kann.

      Mitte März 1851 erreicht er Panama, einen Ort mit rund zweitausend Einwohnern. Dem einzigen Theater stattet Schliemann einen Besuch ab, bevor er mit dem Schiff abreist. Das Gebäude findet er primitiv, die Schauspieler miserabel, und die weiblichen Besucher, zumeist spanischer Abstammung, scheinen in dem tropischen Klima ebenso schnell zu verblühen wie so ziemlich alles, was er von dieser Gegend bislang gesehen hat.

      Die Brise, die Schliemann während des Auslaufens aus dem Hafen um die Nase weht und endlich die ersehnte Abkühlung bringt, hält nicht lange an. Bereits in der Nacht wird die Hitze in der kleinen Kabine wieder unerträglich und raubt ihm den Schlaf.

      Im Hafen von Acapulco legt der Dampfer über Nacht an, bevor es weiter in Richtung Norden geht. Schliemann hat Zeit, um die Stadt anzusehen und sich am Markt mit einem ordentlichen Vorrat an Orangen und Ananas einzudecken. Am Vormittag, bevor der Dampfer den Hafen wieder verlässt, schwimmt eine Gruppe von jungen Einheimischen zum Schiff. Sie vollführen alle möglichen Kunststücke im klaren blauen Wasser, in der Hoffnung, von den Passagieren ein paar Münzen zu bekommen. An den braunen sehnigen Körpern der Jungen gleiten Fischschwärme vorbei, die blitzschnell an der Oberfläche auftauchen, um die Essensreste zu ergattern, die hin und wieder über Bord geworfen werden. Dann legt der Dampfer ab, fährt vorbei an den ungeheuren Felsgruppen der mexikanischen Küste, die immer undeutlicher wird. Schliemann ist beeindruckt von den Bergen, die teils bis in die Wolken reichen. Bis auf zwei Feuer, die er nachts in der Ferne erkennen kann und die vermutlich von Eingeborenen entzündet wurden, gibt es kaum noch Hinweise auf menschliches Leben. Einmal fährt ein Dampfer aus der entgegengesetzten Richtung an ihnen vorbei. Tagelang kann Schliemann kein Land sehen. Nur die zunehmende Kälte weist darauf hin, dass sie sich immer weiter im Norden befinden. Nach vielen Wochen muss er erstmals wieder seine Winterkleidung anziehen. Im Übrigen sind die Tage eintönig. Im Hafen von San Diego ankert der Dampfer für wenige Stunden; außer einem einzigen Passagier will niemand aussteigen.

      Es ist Anfang April 1851, als der Dampfer in die Bucht von San Francisco einläuft. Noch am selben Morgen hatte es eine Seebestattung eines älteren Passagiers gegeben, der so kurz vor dem Ziel an Fieber gestorben war. Im dichten Nebel war der in ein Segeltuch eingenähte Körper nahezu geräuschlos im Ozean verschwunden. Am Nachmittag hat sich der Nebel längst verzogen und es ist, als ob die bevorstehende Ankunft dem Schiff wieder Leben einhaucht. Die Passagiere werden ungeduldig, jeder will zuerst von Bord. Vor lauter Drängen und Schubsen hat Schliemann Mühe, nicht über seinen eigenen Koffer zu stolpern. Trotzdem gelingt es ihm, zwischendurch den imposanten Anblick zu genießen: Hunderte Segelschiffe liegen dicht beieinander im Hafen. Wie die Stadt dahinter aussieht, kann er nur erahnen, da die vielen Masten die Sicht versperren.

      Drei Monate hat Schliemann für seine Reise von St. Petersburg nach San Francisco benötigt. Wie lange er bleiben will, ob er Kalifornien jemals wieder verlassen wird, darüber will er nicht nachdenken – noch nicht. Ein starker Wind weht über die Abhänge zwischen den Holzhäusern. Egal, wohin man blickt, überall sind Menschen unterwegs, unterhalten sich oder kommen aus den Geschäften, in denen sie sich für die Weiterreise zu den Goldfundstellen mit dem Nötigsten versorgt haben. Schliemann hört im Vorbeigehen das Hämmern und Klopfen von den Bauarbeiten an neuen Unterkünften. Er schnappt Gesprächsfetzen auf in unterschiedlichsten Sprachen, von denen er zu seinem Erstaunen einige nur erraten kann. Nach den vielen Wochen auf See und der untätigen Warterei preschen die Neuankömmlinge ungestüm in die Stadt, witternd, dass man schnell sein muss, um eine günstige Gelegenheit beim Schopf zu packen. Wie ein emsiger Bienenstaat hatte sich San Francisco innerhalb von zwei Jahren von einem Dorf zu einer geschäftigen Stadt entwickelt. Das Knistern in der Luft macht Schliemann wieder munter.

      *

      An einem heißen Tag reiten zwei Männer durch die Frontstreet von Sacramento. Sie haben struppige Vollbärte, sind von der Sonne braun gebrannt und tragen zerschlissene Hosen, erdverkrustet bis zu den Schenkeln hoch. Sie sind auf zwei schwer beladenen Maultieren unterwegs, deren Hufe auf dem trockenen Boden kleine Staubwolken aufwirbeln. An der Ecke zur I-Street ziehen die Männer fest an den Zügeln und steigen ab. Die müden Tiere werden vor einem Wassertrog festgebunden, aus dem sie sogleich gierig saufen. Mit jeweils einem kleinen Säckchen in der Hand betreten die Männer das Bankgeschäft an der Straßenecke. Während draußen in der Mittagsglut nahezu niemand unterwegs ist, herrscht im Inneren des Hauses großes Gedränge. Noch im Türrahmen bleiben die Männer stehen und müssen erst einmal abwarten, bis genügend andere Personen den überfüllten Raum wieder verlassen haben.

      Als sie endlich am Schalter ankommen, werden sie von einem Bankangestellten mit hartem Akzent begrüßt. Die Männer öffnen die beiden Säckchen und schütteln sie vorsichtig aus, bis es auf dem Tisch zu glitzern beginnt. Der Bankangestellte, ein Spanier, bewegt mit dem Zeigefinger vorsichtig die kleinen Steinchen hin und her, nimmt schließlich eines davon in die Hand und schaut es sich mit zusammengezogenen Augenbrauen genauer an. Während die Männer geduldig vor ihm warten, werfen sie sich für den Bruchteil einer Sekunde einen Blick zu. Der Spanier entschuldigt sich für einen kurzen Moment und verschwindet in einem Nebenraum. In Begleitung eines weiteren Mannes kehrt er wieder zurück. Offenbar handelt es sich um den Inhaber des Geschäfts. Recht jung sieht er aus, vor allem wegen seiner kindlichen Größe und den schmalen Schultern. Fast jede andere Person im Raum überragt ihn um einen ganzen Kopf. Er begrüßt die beiden Kunden freundlich und blickt ihnen fest in die Augen, bevor er sich den Steinchen auf dem Tisch widmet. Gold soll das also sein, meint er, wobei er eher zu sich selbst spricht als zu den beiden Besitzern. So, wie es der Spanier zuvor getan hat, bewegt auch er das vermeintliche Gold zunächst mit den Fingerspitzen hin und her, bevor er es einem prüfenden Blick unterzieht. Von dem ungeduldigen Stimmengewirr in der Warteschlange lässt er sich nicht beirren. Kurz darauf legt er die Steinchen wieder auf den Tisch und würdigt sie keines weiteren Blickes mehr. Der freundliche Ton ist verschwunden, als er den beiden Herren mitteilt, dass sie nicht miteinander ins Geschäft kommen werden. Wie zufällig blitzen für einen Augenblick ein Colt auf der einen und der Griff eines Jagdmessers auf der anderen Seite seines Gürtels auf, als er seine Jacke sorgfältig zurechtrückt. Die Männer sind zwar