Omar Khir Alanam

Sisi, Sex und Semmelknödel


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ich meinem Freund erzählen soll. Immerhin ist es bloß eine Idee. Sie leuchtet zwar schon grell auf in meinem Kopf wie eine Traube gelber Datteln hoch oben auf einer Oasenpalme inmitten der syrischen Wüste (wobei ich gestehen muss: Im Gegensatz zu meinem weitgereisten Freund, der schon die eine oder andere Wüste dieser Welt gesehen und auch viele Wochen dort verbracht hat, kenne ich die Wüste gar nicht. Sie soll jedoch, heißt es, wunderschön sein).

      Aber wir waren bei der Idee und den Datteln. Ja, so verführerisch die Früchte auch herunterleuchten, in diesem Zustand sind sie einfach noch nicht reif. Und mein Freund (so jedenfalls stelle ich mir seinen Job vor) ist so etwas wie ein Verwerter von noch nicht ganz reifen Ideen. Eine Art freilaufende Reifemaschine. Ein kreativer Dattelpflücker mit Weitblick. Auch wenn er sich meiner Ideen bestimmt nicht bedienen würde. Aber prinzipiell.

      Außerdem ist es doch so: Fliegen Ideen erstmal durch die Luft, greift rasch ein anderer nach ihnen. Ideen machen Geräusche wie auch der Wind Geräusche macht. Und wie der Wüstenwind ein loses Sandkorn hochhebt und verweht, so hebt auch der Wind der Sprache eine lose Idee hoch und verweht sie. Er trägt sie von da nach dort, von einem Ohr zum nächsten. Da gibt es dieses arabische Sprichwort, das auch für die guten, aber noch nicht verwerteten Ideen gilt. Dieses Sprichwort nämlich:

      Der frühe Vogel fängt den Wurm.

      Alena lacht mich bestimmt aus, wenn sie das liest. Ich kann es hören, wie sie dann mit diesem gewissen Blick als Begleitung sagt: »Omar, das mit dem Wurm kommt aus dem Englischen. Und zwar so was von fix.«

      »Niemals«, werde ich rufen und standhaft bleiben. Weil Sprichwörter das sind: mehrheitlich arabisch. Nein, ausschließlich arabisch. Allein schon, weil es so viele gibt. Für alles. Araber baden in Sprichwörtern. Sie betreiben mit ihnen eine Art Hammam für die Seele. Das, was hier Wellness heißt, und meist nur für unverschämt viel Geld zu haben ist.

      Wenn das mein Vater in der alten Heimat wüsste! Das mit Wellness und den Preisen. Er würde ins Telefon brüllen, ob ich jetzt endgültig den Verstand verloren habe durch zu viel Einatmen europäischer Luft. So eine Menge Geld zum Fenster hinauszuwerfen! Für etwas, das ein echter Araber (der ich ja anscheinend nicht mehr bin, wird er brüllen) erstens nicht freiwillig tun würde und zweitens (wenn es unbedingt sein muss) gratis bekommt, weil er es sich von der syrischen Sonne schenken lässt. Schwitzen.

      Ja, Wellness, oder etwas internationaler Spa, ist auch so ein Thema, auf das ich bei meinen Recherchen und Überlegungen gestoßen bin. Ich habe bemerkt, wie wichtig es hier ist. Und welche Rituale damit verbunden sind. Also habe ich es auch ausprobiert. Ein Albtraum, kann ich Ihnen sagen. Und ich meine damit am allerwenigsten die staubtrockene Hitze in einer finnischen Sauna.

      Doch fürs Erste zurück zu meinem Freund. Wie viel soll ich ihm verraten? Ich platze vor Lust, mich mitzuteilen. Andererseits ist er ein … hhmm … und wiederum andererseits weiß ich, dass er eine besondere Qualität besitzt, die ihn von vielen Menschen auf der ganzen Welt aus den unterschiedlichsten Kulturen unterscheidet. Zusammenbruch hin, Zusammenstoß her. Diese Qualität:

      Er kann tatsächlich den Mund halten.

      Alena, meine so wunderbare steirische Frau, die ich vor bald vier Jahren in Graz lieben gelernt habe und die mir, nein: die uns inzwischen einen Sohn geschenkt hat, der so wunderbar ist wie sie selbst, hat gesagt: Das Wort für die Qualität meines Freundes heiße vertrauenswürdig.

      Alena und ich leben in wilder Ehe zusammen. So nennt man das hier. Ein Araber kann mit diesem Begriff nichts anfangen. Natürlich, in einer Ehe kann es schon mal wild zugehen. Aber eine Ehe kann nicht per Definition wild sein. Entweder Ehe. Oder keine Ehe. Was bedeutet nun so eine wilde Ehe für mich? Ich habe das auf meine Art gelöst. Indem ich Alena – ziemlich zu Beginn unserer Liebesbeziehung – gefragt habe:

      »Alena, möchtest du mich heiraten?«

      Alena hat sich riesig gefreut und sofort Ja gesagt. Also haben wir es amtlich gemacht. Auf un-österreichische Weise. Wir haben unser Versprechen (mit zwei Freunden als Zeugen) auf ein Stück Papier geschrieben, das wir bei uns tragen. So sind wir Mann und Frau geworden. Auch ohne Trauschein. Für uns und vor uns besteht diese Ehe. Soll die Gesellschaft dazu doch sagen, was sie will. Ich jedenfalls sage:

      »Alena ist meine Frau«. Und diese meine Frau sagt: »Dein Freund ist vertrauenswürdig.«

      Sie hat recht. Vertrauenswürdig. Das trifft es. Dabei ist genau das umso erstaunlicher, wenn ich an seinen Beruf denke. Und an seine Vergangenheit. Weil ich mit genau solchen Menschen ganz andere Erfahrungen gemacht habe. In meiner alten Heimat.

      Aber alles schön der Reihe nach.

      »In meinem ersten Buch«, sage ich also zu meinem vertrauenswürdigen Freund, »habe ich mich bei den Menschen hier bedankt. Dass sie mich aufgenommen haben. Und akzeptiert. Dass sie mir nach meiner Flucht aus Syrien eine neue Heimat geschenkt haben. Darum hat das Buch auch so geheißen: Danke.«

      Mein Freund weiß das natürlich längst. Er hält sich auch nicht gerne auf mit Dingen, die vorbei und nicht mehr zu ändern sind. Darum sagt er etwas ungeduldig: »Ja, ja, Omar. Ich weiß, ich weiß … blablabla … das ist eh super, aber: Das hatten wir alles schon. Aber dein zweites Buch. Worum dreht es sich? Hast du schon erste Szenen? Zeigst du sie mir? Was ist der rote Faden? Was ist der Plot? Die Kernaussage? Wie lautet der Titel? Raus mit der Sprache!«

      Raus mit der Sprache.

      Das habe ich hier schon öfters gehört. Anfangs habe ich gedacht, es heißt so viel wie: Halt den Mund. Oder: Besser, du sagst jetzt nichts mehr. Weil es Sprachen gibt, wo das Wort Sprache zugleich auch Zunge bedeutet. Zum Beispiel im Russischen.

      Angeblich spricht man das so aus: Jiasík. Mit Betonung auf dem zweiten i. Hoffentlich ist das nicht wieder so eine Falle wie der Dénischer. Egal. Sprache = Zunge also. Und ich komme aus einem Land, wo sie dir die Sprache = Zunge auch schon mal flott und unbürokratisch rausschneiden in einem der vielen Geheimdienstkeller. Einfach, weil es gerade lustig ist. Weil sie besonders gut oder besonders schlecht drauf sind. Weil den Männern in ihren billigen Klamotten danach ist. Weil du nicht laut genug »Lang lebe Bashar al-Assad!« geschrien hast, während sie auf dich einprügeln. Oder weil sie der Meinung sind, dass es vorbeugend besser so ist. Noch dazu bei Menschen, die wie ich gerne mit einem Buch in der Hand durch die Straßen von Damaskus laufen und schon allein deshalb sehr verdächtig sind. Also hat »Raus mit der Sprache« für mich einen etwas schalen Beigeschmack. Vor allem, weil es gut sein kann, dass du plötzlich gar nichts mehr schmeckst.

      Heute weiß ich es besser. Österreich ist da ein Land der Seligen. Europa ist da eine Insel der Seligen. Meistens jedenfalls. Niemand will dir hier an die Zunge, wenn er so etwas sagt. Auch wenn die Zunge oft die Hebamme allen Unheils ist. Dazu gibt es auch ein Hadith (das ist so eine Art mündliche Betriebsanleitung für den Koran, Aufzeichnungen, die das Wirken des Propheten Mohammed belegen): Da heißt es, die meisten Fehler des Menschen würden seiner Zunge wegen entstehen. Wer an Allah glaube, solle entweder Gutes sprechen oder für immer schweigen.

      Aber diese deutsche Sprache! Allein der Konjunktiv. Da weißt du nie, was die Leute wirklich wollen. Allein schon dieser Satz, den die allzu sehr Gestressten von sich geben, wenn sie von einem Termin zum nächsten hetzen, dazwischen dreimal einkaufen laufen, völlig abgekämpft und viel zu spät zum Treffen mit dir erscheinen, bei der Vorspeise ihre Mails checken und auch sonst noch hundert Mal aufs Handy starren. Und dann, noch vor dem Dessert, aufspringen, nach der Jacke greifen, weil sie fast den Friseurtermin vergessen hätten, und sich mit einem tiefen Stöhnen und diesen Worten verabschieden.

      Ich hätte gerne etwas mehr Zeit für mich.

      Hätte. Ja, was denn jetzt? Willst du mehr Zeit für dich oder willst du nicht?

      Viel schlimmer jedoch ist der Konjunktiv im Gasthaus, wenn der Kellner sagt: »Na, der Herr? Was hätten wir denn gerne?«

      Was soll denn das heißen? Außerdem: Warum wir? Hat er nicht nur mich gefragt? Immerhin sitze ich alleine am Tisch. Oder sagt er wir,