Das Gleiche kann man auch von der Eurokrise sagen, wobei eher die getroffenen Rettungsmaßnahmen wie ein Offenbarungseid der Kurzfristigkeit anmuten. Der Preis dafür ist eine noch nie dagewesene Staatsverschuldung und eine damit einhergehende Belastung für die zukünftigen Generationen, die eigentlich nicht mehr zu verantworten ist.
Angesichts verschiedener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Signale sowie ökologischer Rückkopplungen postulierte Bateson schon 1972 (S. 635): »Entweder ist der Mensch zu gescheit – dann sind wir verloren, oder er war nicht gescheit genug, seine Gier auf Verfahren zu begrenzen, die nicht fortlaufend das Gesamtsystem zerstören.« Bateson bevorzugte die zweite Hypothese.
Viele Bürger trauen daher auch die Lösung dieser vielfältigen Probleme dem politischen System nicht mehr zu, sondern hoffen, dass Organisationen und Unternehmen mit ihren Mitgliedern eigenständig Wege aus diesen globalen (Wirtschafts-) Krisen finden werden. Viele bekannte Autoren und Management-Vordenker sprechen von einem notwendigen5 transformationalen Wandel, den Organisationen und ihr Management durchlaufen müssen.
Fredmund Malik, ein in der Industrie sehr bekannter – aber durchaus auch umstrittener – Managementberater, spricht davon, dass Wirtschaft und Gesellschaft durch eine der größten Transformationen gehen müssen, die es geschichtlich je gegeben hat. Für ihn ist es nicht einfach Wandel, sondern Wandel von einer neuen logischen Dimension – es ist ein Meta- und Megawandel. Im Zentrum dieses Wandels müssen seiner Ansicht nach die Spitzenführungen stehen, denn nur diese können die nötigen Entscheidungen richtig und rechtzeitig treffen. Ferner erfordert dieser Wandel für ihn eine Umorientierung bis in die Wurzeln.6
Bei der Suche nach dem Ursprung oder den Wurzeln ist es unbedingt erforderlich, auch bisher Unbekanntes und Unbewusstes zu berücksichtigen. Sigmund Freud hat schon in seinen ganz frühen Ausführungen auf die überstarke Bedeutung des Unbewussten für das menschliche Handeln hingewiesen (vgl. Freud 1923). Die Frage ist somit, welche im Management stattfindenden unbewussten Prozesse und Verhaltensweisen ins Bewusstsein kommen müssen, um diesen Meta- und Megawandel zu ermöglichen.
Unbestreitbar und zunehmend auch immer öfter hör- und lesbar ist die Tatsache, dass narzisstische Verhaltensweisen im Management – aber sicherlich auch in der Politik – weit verbreitet sind. Es erschienen nicht nur Artikel in Zeitschriften (Leyendecker, Ott, Richter 2011 und 2011a), sondern auch neue Veröffentlichungen von wissenschaftlicher Seite (z. B. Dammann 2007; Lohmer, Giernalczyk 2006; Eidenschink 2003). Selbst das manager magazin stellte in einem Titelbeitrag die Frage: »Müssen die Manager auf die Couch?« Thematisiert wurde in diesem Beitrag die Verbindung zwischen Narzissmus und Management (vgl. Buchhorn et al. 2009). In diesen Veröffentlichungen wurde deutlich, dass es durchaus positive narzisstische Verhaltensweisen im Management gibt, die dem Unternehmen und seiner Steuerung förderlich sind. Es gibt aber auch viele destruktive narzisstische Verhaltensweisen von obersten Führungskräften, die Unternehmen, ihren Mitarbeitern, ihren Kunden, der Umwelt, der Gesellschaft und letztlich manchmal auch sich selbst großen Schaden zufügen.7
Bei all diesen krisenhaften Entwicklungen – sicherlich nicht nur im Management – ist es nicht verwunderlich, dass vermehrt Forderungen danach laut werden, dass Verantwortung tragende Manager ihre Verhaltensweisen und Entscheidungen reflektieren müssten. Fredy Hausammann, ein Schweizer Management-Coach, fordert beispielsweise, dass Manager, genauso wie Unternehmen sich regelmäßig einer externen Revision oder Piloten sich einer gesundheitlichen und fachlichen Tauglichkeitsprüfung stellen, ihr Handeln regelmäßig reflektieren müssen. Personal Governance Coaching (als regelmäßiges Sparring mit einem professionellen Executive Coach) sollte seiner Meinung nach als Teil einer guten Corporate Governance selbstverständlich sein und zum Standard werden.8
Wolfgang Looss, ein Pionier und einer der bekanntesten Coaches im deutschsprachigen Raum, antwortete mir im Rahmen eines Interviews auf die Frage, wie häufig narzisstische Phänomene als Frage- und Problemstellungen in seinen Coachings auftauchen: »Es gibt wohl kaum ein Coaching im oberen Management, wo das Thema nicht hintergründig eine Rolle spielt, das ist bei der Zielgruppe gewissermaßen tautologisch. Von daher sollte jeder Coach da theoretisch einigermaßen informiert sein.« (Schneck 2012, S. 468)
Looss betont in diesem Interview jedoch auch, dass Narzissmus als Syndrom für ihn ein Blickwinkel der Berater sei, nicht der Klienten. Ferner gibt er zu bedenken, dass der Begriff ›Narzissmus‹ im Management hoch stigmatisiert sei, da er aus dem klinischen Bereich komme. Er sei im Management nicht anschlussfähig. Seiner Ansicht nach sei eine Rehabilitation des Begriffs Narzissmus notwendig (ebd. S. 466).
▶ Dieses Buch möchte einen Beitrag zu der Frage leisten, welche narzisstischen Phänomene in einem Management-Coaching Berücksichtigung finden sollten und wie dies gestaltet werden kann.
Klaus Eidenschink, ein weiterer bekannter Management-Coach, der sich explizit in einigen Artikeln mit dem Thema Narzissmus im Management auseinandergesetzt hat (Eidenschink 2003, 2004, 2005, 2005a.), antwortete mir in einem ebenfalls persönlich geführten Interview auf die Frage, für wie wichtig er die Berücksichtigung narzisstischer Phänomene im Rahmen von Coaching erachte: »Die Berücksichtigung narzisstischer Phänomene im Rahmen von Coaching erachte ich als sehr wichtig. Wer dies nicht berücksichtigt, hat sein Geld nicht verdient. Allerdings werden narzisstische Phänomene explizit so gut wie gar nicht berücksichtigt. Diejenigen, die es könnten, sind im Feld nicht unterwegs.« (Schneck 2012, S. 468)
Besonders bei der Antwort von Klaus Eidenschink wird deutlich, welch zentrale Bedeutung eine Berücksichtigung narzisstischer Phänomene im Coaching zu haben scheint. Die Antwort von Klaus Eidenschink weist aber noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin: Eidenschink ist der Ansicht, dass es nur wenige Professionelle gibt, die in der Lage sind, narzisstische Phänomene im Coaching zu berücksichtigen.
Die Antworten der beiden Management-Coaches weisen daraufhin, dass Narzissmus und narzisstische Phänomene eher auf der individuellen Ebene anzutreffen sind.
▶ In diesem Buch wird jedoch deutlich werden, dass narzisstische Phänomene auf der individuellen, der interaktionellen, der organisationalen9 und der gesellschaftlichen Ebene auftreten und sich diese Phänomene auf den verschiedenen Ebenen gegenseitig bedingen und beeinflussen.
▶ Es wird zudem verständlich werden, welchen enormen Einfluss narzisstische Phänomene auf die gegenwärtige Realität besitzen, insbesondere auf die ökonomische. Der geforderte Meta- und Megawandel bzw. die notwendige Transformation können nur erfolgen und gelingen, wenn Bewusstheit über diese Phänomene besteht.
Diesem Buch liegen somit drei zentrale Thesen zugrunde:
1. Die Bewusstmachung der verschiedenen narzisstischen Phänomene im Management von Unternehmen und Organisationen ist ein grundlegender Faktor, um einen Meta- und Megawandel einzuleiten. Die Bewusstmachung ist gleichzeitig unumgänglich, um die ständige Gefährdung des Gesamtsystems zu beenden.
2. Coaching ist das geeignetste Format, wenn sicherlich auch nicht das einzige Instrument der Persönlichkeitsentwicklung für das Management, um diesen Prozess der Bewusstmachung zu gewährleisten.
3. Management-Coaching unter Berücksichtigung narzisstischer Phänomene ist ein wirkungsvolles Initial für eine erfolgreiche Unternehmens®evolution.
Der Begriff ›Unternehmens®evolution‹ soll zum Ausdruck bringen, dass eine Unternehmensevolution einen kontinuierlichen und geplanten Prozess darstellt, der zwar in Sprüngen erfolgt, aber Brüche und die dadurch entstehenden Reibungsverluste zu vermeiden sucht. Sollte dieser kontinuierliche Entwicklungsprozess nicht gelingen, kommt es zu Krisen, die meist mit radikalen Veränderungen oder revolutionären Prozessen verbunden sind. Dies bedeutet, dass jeder Evolution die latente Gefahr der Revolution innewohnt. Dies soll durch die begriffliche Symbolik der ›Unternehmens®evolution‹10 verdeutlicht werden.
Für C. Otto Scharmer, der das gegenwärtig viel beachtete Buch »Theorie U – Von der Zukunft her führen« verfasst hat, sind wir nicht in der Lage, generativ auf die aktuellen Herausforderungen zu antworten, solange wir uns nicht mit dem eigentlichen Grundproblem konfrontieren: uns selbst. Dies ist für ihn die Essenz des blinden Flecks, wobei blinde Flecken