Lothar Kuschnik

Therapie in Aktion


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bedrohlich für ihn ist. Er hat nicht gelernt, mit diesen Gefühlen umzugehen, deshalb vermeidet er sie. Weil er befürchtet, dass er mit ihnen in Berührung kommt, wenn er sich wirklich auf einen Kontakt zu einem anderen Menschen aber auch zu sich selbst einlässt, vermeidet er, zu sich zu stehen, wirklich anwesend zu sein, sich zu gründen. Bereits der Augenkontakt kann bedrohlich sein, weil er als „Eindringen“ in die eigene Welt erlebt wird.

      „In einer Übung habe ich das oft so gemacht“, erzählt Joop. „Der Klient muss sich hinstellen und sagen: ,Ich bin hier’. Dann frage ich wiederholend: ‚Weißt du das sicher?’ Für ihn war ja das da Sein traumatisch in seinem früheren Erleben. Wenn er da war und vielleicht weinte, wurde er bestraft. So wurde er ängstlich. Das Trauma war so stark, dass er beschloss, nicht da zu sein. In der Übung konnte er den Schmerz noch einmal erleben. Er erlebt sich als verwundbar, aber er kann seine Reaktion verändern. Etwa: ,Ich bin da, was du sagst, ist mir gleichgültig.’ Er lernt, sich im Kontakt abzugrenzen. In einer anderen Übung stellt sich Joop vor den Klienten und sagt, dass er ihn anschauen soll. Dann sagt er, indem er ihn auch anschaut: ,Ich bin für dich da.‘ Im nächsten Augenblick geht er aus dem Augenkontakt und sagt: ,Ich bin nicht da.‘ Das wiederholt der Therapeut ein paar Mal. Dann werden die Rollen getauscht. Jetzt hat der Klient die Wahl zu sagen: ,Ich bin da, ich bin nicht da.‘ Joops Kommentar: „Ich habe in der Auswertung dieser Übung oft erlebt, dass die Klienten erzählt haben, wie sicher sie sich gefühlt haben, wenn sie ,nicht da waren.’“

      Für den Oralen: Werden meine Bedürfnisse befriedigt?

      Diese Menschen müssen lernen, zu bitten, damit ihre Bedürfnisse befriedigt werden können. Das heißt, sie übernehmen auch die Verantwortung für ein Bedürfnis, äußern es und erwarten nicht länger, dass die Umwelt ahnt, was sie brauchen.

      Joop erinnert eine Übung für die „Oralen“. Der Klient legt sich mit dem Rücken auf die Matte und hebt die Arme. Dann wird gewartet was kommt. Wen will er etwas fragen, was will er fragen oder sagen. Der Therapeut geht zu ihm und sagt: ,Ich werde für dich da sein’. Dann geht er weg, kommt wieder und sagt: ,Ich werde nicht für dich da sein.’ „Das ist eine sehr tiefe emotionale Erfahrung“, sagt Joop, „die wir dann hinterher aufgearbeitet haben. Der Klient muss sagen, was er will. So lernten Menschen mit einer oralen Struktur, dass man ohne Versorgung als erwachsener Mensch dennoch bestehen kann. Ein Teil der Übung wird durch Fragen nicht beantwortet“, ergänzt Joop, „du bekommst nichts - und niemand stirbt.“

      Für den Masochisten: Muss ich leisten, um geliebt zu werden?

      „Meine Übung für den Masochisten: Er legte sich auf die Matratze und wurde von mir mit einer Hand gestreichelt (,bekommt Liebe’). Sagte: ,Ich liebe dich, ich bin da für dich.’ Mit der anderen Hand gab ich einen Druck auf seine Brust und verstärkte den Druck, während ich weiter mit der anderen Hand und verbal ,Liebe gab’.

      Der Klient wurde verwirrt, wusste nicht, was er denken sollte. Er hatte nicht den Mut, die Hand mit dem Druck wegzustoßen. Denn er fürchtete, die Hand mit der Liebe zu verlieren. Die hätte ich dann auch zurückgezogen. Die Person wurde verzweifelt, aber auf diese Weise erlebte sie den zentralen inneren Konflikt ihres Lebens. Diese Klienten mussten lernen zu sagen: ,Ich will deine Liebe mit beiden Händen, also ganz.‘ Oder sie mussten lernen, die Beziehung aufzugeben, wenn sie nur unter diesen schmerzlichen Bedingungen gestaltet wurde. Die Lösung kreierten wir dann, indem der Klient sagte: ,Dies ist nicht die Beziehung, die ich will. Mach es anders.‘ Dann konnte ich fragen: Wie? Dann fanden wir gemeinsam eine gute Lösung.“

      Für den Rigiden: Kann ich mich verletzlich zeigen?

      Hier bietet sich besonders die Arbeit mit Geleiteten Phantasien oder mit Objekten an, erklärt uns Joop. Eine spezielle Übung habe er für diesen Typus nicht entwickelt.

      „So habe ich die bioenergetische Methode für mich umgesetzt und die Klienten gefragt, ob sie damit weiter arbeiten wollen. Ich habe aber die feste Zuschreibung (Etikettierung) herausgenommen.

      Ich habe viele Trainer gesehen, die bioenergetische Analyse gemacht haben, aber ich selber fühlte mich nicht in der Lage dazu. Wenn ich z. B. Klienten gebeten hätte, sich für eine bioenergetische Sitzung zu kleiden, dann hätte ich auch nur bioenergetisch arbeiten können. Ich hätte dann keine Geleitete Phantasie machen können.

      So bin ich nie ein Gestalttherapeut, Bioenergetiker, Transaktionsanalytiker oder Therapeut einer Richtung geworden. Ich habe dankbar ihre Methoden gelernt und in meine Arbeitsweise integriert. Sturer Holländer.

      Von der Bioenergetik habe ich die genaue Beobachtung des Körpers, vor allem der nonverbalen Signale, gelernt. Das hat mir beim Poker und Bridge spielen oft geholfen. Wenn ich am Körper eines Klienten etwas wahrgenommen habe, wie z. B. ein chronisches Halten in der Brust, habe ich ihm das gesagt und ihn gefragt, ob er das weiter erforschen will.“

      Der eigentliche Begründer der Bioenergetik, Al Lowen, hat Joop nicht so sehr beeindruckt. Er hat im Rahmen seiner Ausbildung vier Workshops bei ihm gemacht. „Wir mochten ihn, aber er war nicht der beste Trainer“, erinnert sich Joop. „Er imponierte uns sehr, wenn er Leute analysierte. Ich war beeindruckt, aber ich war nicht in der Lage, es selbst zu tun. Ich konnte nicht so viel sehen wie Al Lowen oder Keleman. Ich habe, wie gesagt, Elemente aus der Bioenergetik benutzt. Ich hatte z. B. eine Matratze und bat die Menschen, sich darauf zu legen. Dann drückte ich auf die Brust und wartete, was passierte. Die Gefühle kamen zum Ausdruck, und ähnlich arbeitete ich auch mit dem Würfel, auf den die Klienten schlugen, um ihren Ärger auszudrücken. Aber nach einiger Zeit habe ich diese Methoden nicht mehr so oft gebraucht, weil ich bemerkte, dass der Ausdruck allein, z. B. von Ärger, nicht wirklich verändernd in den Menschen wirkt.“ Und er ergänzt: „Es ist bedauerlich, dass Al Lowen die Begrifflichkeit der Psychoanalyse zur Beschreibung seiner Charakterstrukturen benutzt hat. Eric Berne hat gesagt: ,Die Psychoanalyse und ich sind als Freunde auseinander gegangen.’ Al Lowen hätte das Gleiche sagen können. Ich wünschte, er hätte es getan.“

      Die Arbeit von Stanley Keleman war anders. Er forciert nicht so sehr den ,großen Ausbruch’, sondern fragt z. B. bei einem aggressiven Impuls zum Schlagen: ,Mach es mal ganz langsam. Spürst du, wo dieser Impuls entsteht?’

      „Keleman wirkte sehr gegründet“, erzählt Joop, „er machte keine Show wie Perls oder Simkin. Perls schickte die Klienten ja zurück auf den Platz, wenn sie keine ,richtige Show gegeben hatten’. Er hatte immer ein Auge auf das Publikum. Keleman war anders. Ich vertraute ihm.“

      Bioenergetik

      Die Bioenergetische Analyse, kurz Bioenergetik genannt, ist ein psychotherapeutisches Konzept, das von dem amerikanischen Arzt Alexander Lowen seit 1947 entwickelt wurde. Als Patient und Schüler von Wilhelm Reich übernahm er dessen Charakteranalyse, die auf der Körperanalyse basierte. Reich wiederum war in seinem Denken der Psychoanalyse Freuds verhaftet und ‚verkörperte’ dessen intrapsychische Analyse. Der Ausspruch: „Verdrängung ist durch Muskelkraft geleistete Arbeit“, wird Wilhelm Reich zugeschrieben. Allerdings meint sein Energie-Begriff die funktionelle Einheit von Körper-Seele und Kosmos. In den Charakterstrukturen verkörpern sich Gefühle (vgl. Stanley Keleman „Verkörperte Gefühle“). Die Charakterpanzerung entsteht nach Reich durch die Verdrängung von Gefühlen, Begierden, Trieben und den Schutz vor Reizen der Umwelt. „Wir formen uns hin zu dem Zweck, dem wir dienen wollen“, sagt Stanley Keleman. Lowen übernahm die psychoanalytische Diagnostik und ergänzte sie um am Körper beobachtbare Phänomene. Ein psychisches Trauma führt zu einer körperlichen Veränderung - Panzerung. So entstand das Body Reading. Der Therapeut ,liest’ am Körper des Klienten die psychischen Traumata und verdrängten Gefühle. Lowen übernimmt in seiner Einteilung der Charakterstrukturen die Theorien von Freud und Reich und ergänzt sie durch eigene Beobachtungen:

      Schizoid

      Der schizoide Mensch ist, wie der Name nahelegt, gespalten in seinem Denken und Fühlen. Er zieht sich eher nach innen zurück, wenn ihm der Kontakt zu bedrohlich wird. Bedrohlich wird es immer dann, wenn tiefe Gefühle geweckt werden. Ebenfalls abgespalten ist beim schizoiden Typ der Kontakt zum Körper und seinen Gefühlen.