Instrument oder mit Ihrer Stimme. Lassen Sie sich überraschen, was nun entsteht …“
Hilfreich zur Vorbereitung dieses Experimentes oder zur Ergänzung bzw. zur Vertiefung ist der Bezug auf den Atemrhythmus. Wer bewusst auf seinen Atem achtet, wird feststellen, dass es zwischen dem Ausatmen und dem Wiedereinatmen eine Pause gibt. Diese Pause mag winzig klein sein oder als längere wahrgenommen werden, in jedem Fall liegt zwischen jedem Atemzug ein Moment der Stille, ein Moment des Innehaltens. Wir weisen auf diesen Umstand hin und erklären, dass somit auch in unserem Atemrhythmus wiederkehrende Pausen, Momente der Stille eingebaut sind. Um dies zu erfahren, kann das folgende Experiment unterstützend wirken:
„Achten Sie auf Ihren Atem. Nehmen Sie ihn wahr, ohne ihn verändern zu wollen …
Achten Sie nun besonders auf Ihr Ausatmen. Nehmen Sie wahr, wie Ihr Ausatmen beginnt, wie es sich erstreckt, wie es endet …
Achten Sie nun besonders auf die Pause nach dem Ausatmen, auf den Moment der Stille, auf den Moment des Innehaltens zwischen dem Ausatmen und dem Wiedereinatmen. Vielleicht kommt Ihnen diese Pause nur sehr klein vor, vielleicht länger. Ganz egal, bewerten Sie nicht, messen Sie nicht, nehmen Sie nur wahr und schicken Sie Ihre Konzentration in diese Pause …
Lauschen Sie dieser Pause, hören Sie in diese Pause hinein …
Was hören Sie in dieser Pause? Welche Gedanken, Bilder, Gefühle entstehen? …“
Wir haben es schon erwähnt und jede Erfahrung, von der wir in diesem Buch berichten, bekräftigt es: Das Erleben ist subjektiv! Jeder Mensch empfindet die Stille unterschiedlich, je nach den persönlichen Verknüpfungen, Vorerfahrungen, Bewertungen, usw.
Einige Beispiele:
Eine junge Klientin war über sich überrascht, als sie den Klängen der Stille zu lauschen versuchte. Schon nach 20, 30 Sekunden brach sie ab, da die Stille für sie äußerst bedrohlich war: „Mir war, als kämen Leute mit grimmigen Gesichtern auf mich zu. Das klang dumpf und laut!“
Eine andere Frau, Ende 30, erlebte die Stille als ruhig und friedlich: „Ich höre eigentlich nichts, allenfalls ein leises Rauschen, so wie ein entferntes Meer. Für mich ist das Frieden pur.“
Ein Mann ähnlichen Alters erlebte seine Stille ebenfalls als ruhig, aber als eine Ruhe, die für ihn nicht aushaltbar war: „Das ist so ruhig, das halte ich nicht aus. Da werde ich selber so komisch unruhig, als Reaktion da drauf. Ich weiß auch nicht, womit das zusammenhängt.“
Eine Frau, Mitte 60, entdeckte in ihrer Stille ihre lange verschüttete Sehnsucht. Sie griff zur Flöte und spielte eine klare Melodie. „In der Stille ist Klarheit und Eindeutigkeit. Da finde ich Boden und weiß, woran ich bin. In der Stille spüre ich mich, da weiß ich, was ich fühle. Sonst geht das zu leicht unter.“
Ebenso unterschiedlich sind die Erfahrungen damit, was aus der Stille heraus individuell entstehen kann: Da hört aus der Stille heraus eine Klientin plötzlich die harte Stimme der Mutter, während für eine andere eine Szene des Schweigens entsteht, des strafenden Schweigens im Elternhaus. Ein Klient fühlt sich eins mit der Natur und hört (und pfeift) die Geräusche des Windes auf einem Berggipfel, während ein anderer den Klang seines Herzens wahrnimmt, zum Monocord geht und ihn damit wiederzugeben versucht.
Ähnlich unterschiedlich sind die Klänge, mit denen KlientInnen sich ausdrücken. Häufig hören wir klare und nicht allzu laute Klänge, Töne bzw. Tonfolgen, aber auch dumpfe Trommelrhythmen oder ein kreischendes Crescendo.
Besondere Aspekte des Erlebens der Stille werden deutlich, wenn die Stille geteilt wird. Es besteht ein Unterschied, ob zwei Menschen sich im gleichen Raum aufhalten und jede oder jeder für sich still ist und Erfahrungen mit der Stille macht oder ob z. B. folgende Aufforderung ausgesprochen wird:
„Ich schlage Ihnen ein Experiment vor: Teilen Sie mit mir Stille. Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie immer irritiert sind, wenn jemand schweigt und dass Sie versuchen, das Schweigen dann zu übertönen.
Hier, in dieser therapeutischen Situation können Sie mit mir probieren, was geschieht, wenn wir beide schweigen.“
Der Klient ließ sich auf dieses Experiment ein. Schon nach wenigen Sekunden begann er, unruhig mit den Augen zu flackern und hin und her zu rutschen. Nach einigen weiteren Sekunden errötete er und sagte: „Ich bin mir ganz sicher, Sie durchschauen mich! Wenn ich nicht rede, kann ich nicht von dem ablenken, was mich wirklich beschäftigt. Wenn ich schweige, durchschauen sie mich.“ Therapeut und Klient unterhielten sich über die Angst, durchschaut zu werden. Der Klient wollte die Fähigkeit beibehalten, sich durch Reden zu tarnen und sich dadurch auch zu schützen. Er wollte aber auch versuchen, nicht immer zu diesen Schutzreaktionen gezwungen zu sein, und wollte sich bemühen, einmal zu wagen, das, worin er nicht durchschaubar werden wollte, mit einem anderen Menschen zu teilen. Sie verabredeten, dass sie noch einmal versuchen wollten, sich gegenseitig anzuschweigen und die Stille zu teilen. Der Therapeut bat: „Wenn Sie spüren, dass etwas in Ihnen ist, was nun bedroht ist, durchschaut zu werden, dann greifen Sie zu einem Instrument und lassen dies erklingen, so viel oder so wenig, wie es Ihnen gerade möglich ist.“ Der Klient entdeckte für ihn überraschende und wertvolle Gefühle, Meinungen, Überzeugungen, die nun, aus der Stille heraus, erstmals Gehör finden konnten.
Dass Schweigen befremdlich ist, damit steht der Klient in unserer Kultur nicht allein, das gehört zu unseren Gepflogenheiten. Wenn in einem Gespräch Phasen der Stille auftreten, dann gehört es zum „guten Ton“, diese zu überbrücken. Wenn eine unbekannte Person zu einem Gespräch hinzutritt, werden alle Beteiligten bemüht sein, diese Person schnell den anderen vorzustellen – alles andere wäre missachtend, befremdlich oder peinlich. Angehörige anderer Kulturen würden sich eher über unsere Gepflogenheiten wundern. In der traditionellen Kultur der Navajo-Indianer ist es üblich, dass eine neu hinzu tretende Person zuerst einmal längere Zeit schweigt und auch von anderen nicht angesprochen wird, um ihr Gelegenheit zu geben, über die Stille Verbindung zur vorhandenen Atmosphäre aufzunehmen. Alles andere wäre unhöflich bis beleidigend.
In der therapeutischen Arbeit setzen wir das Teilen der Stille in verschiedenen Varianten ein. Wie immer ist das Erleben individuell unterschiedlich. Eine Klientin erzählte einmal nach einem gemeinsamen Schweigen, dass sie dies als einen „Dialog der Stille“ bzw. einen „Dialog der Stillen“ erlebt hätte. Sie konnte ziemlich genau beschreiben, welche unterschiedlichen Klangfarben und Atmosphären die Stille nacheinander angenommen hatte. Wir haben diese Anregung aufgegriffen und gelegentlich KlientInnen zu einem Dialog der Stille bzw. der Stillen aufgefordert. Oft entstanden intensive Begegnungen, oft waren wir überrascht über den Klangreichtum, den Stille enthalten kann.
12
Die Klänge des Atems
12.1 Atemerleben – Atem-Achtsamkeit
Dem Atem kommt in der Musiktherapie eine besondere Bedeutung zu. Viele KlientInnen begegnen in der Musiktherapie Themen, die ihnen Angst machen. Angst engt ein, auch den Atem. Auch Erregung jeder Art beeinflusst den Atem, lässt ihn stocken oder tief fließen. Blasinstrumente werden mit dem Atem „gespielt“. Und, last not least, wird in der Musiktherapie vielfach mit der Stimme gearbeitet. Stimme ist schließlich nichts anderes als tönender Atem.
Um das Spiel eines Musikinstrumentes zu erlernen, bedarf es manchmal des Erlernens einer dafür richtigen Atemtechnik. In der Musiktherapie, wie wir sie verstehen, spielt das technisch richtige oder falsche Atmen keine Rolle. Unsere Musiktherapie ist leiborientiert, folglich interessiert uns das Atemerleben. Was erlebt eine Klientin, wenn sie auf ihren Atem achtet? Welche Gefühle treten auf, wenn sie fünf Minuten lang ihrem Atem lauscht? Welche Klänge und Bilder entstehen, wenn sie auf die Pause zwischen den Atemzügen fokussiert? Wie beeinflusst der Atem den Kontakt, die Resonanz zwischen verschiedenen Menschen? Wie spiegelt sich in der Nähe bzw. Entfernung zu anderen Menschen der Atem wieder? Solche und viele ähnliche Fragen interessieren uns und die KlientInnen. Solchen