selbst, wie auch für das gesamte Kollegium eine grosse Belastung darstellt. Teilweise ist dann nicht die Frage, ob es geht, sondern wie lange. Oft springen auch die Schulleitungen ein und übernehmen Stellvertretungen. Nach dem Motto: lieber selbst machen als eine schlechte Lösung ausbaden. Es ist auch keine Lösung, Klassen zusammenzulegen, denn dann erhöht sich der Druck auf die noch verbleibenden Lehrpersonen, die dies zwar eine gewisse Zeit lang zu tragen bereit sind, aber dann durch die zusätzliche Belastung teilweise auch kündigen, weil anderswo die Bedingungen besser sind.
Der nächste Bereich ist «Beziehungen und Netzwerk pflegen». Eine Schulleitung arbeitet mit Menschen, mit Erwachsenen und auch mit Kindern. Daher sollte eine Schulleitung Menschen mögen und gerne mit ihnen zusammenarbeiten. Als Schulleitung wirst du die meiste Arbeitszeit mit den Lehrpersonen zubringen, diese beraten und unterstützen. Oft sind die Gründe, warum die Schulleitung beigezogen wird, nicht nur freudig. Meist kommt sie dazu, wenn es um Probleme oder Schwierigkeiten geht. Das heisst, dass Schulleitungen auch Probleme mögen müssen. Das tönt vielleicht komisch, aber wenn du davon ausgehst, dass Schwierigkeiten einfach dazugehören, dann empfindest du sie auch nicht als Zumutung, sondern als Aufgabe, die es zu lösen oder zumindest anzupacken gilt. Die Schulleitung muss sich möglichst alle Seiten anhören, allenfalls auch rechtliche Beratung bei der Beratungsstelle des Verbandes, dem Rechtsdienst des Kantons oder beim Inspektorat einholen. Teilweise braucht es auch weitere Informationen des schulpsychologischen Dienstes, des Sozialdienstes, der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde oder auch von einzelnen Personen, wie einer Beiständin oder eines Beistandes, der Mütter- und Väter-Beratung und weiteren. Diese unvollständige Aufzählung zeigt, dass es als Schulleitung Sinn macht, alle Personen zu kennen, die für die Einzelschule zuständig sind. Da diese Fachstellen meist nicht wissen, dass eine neue Schulleitung in der Gemeinde angestellt wurde, liegt es an dir, den Kontakt selbst zu suchen und dich kurz vorzustellen. Wenn du dann den Kontakt hergestellt hast, sind meist die Wege viel kürzer und du greifst bei Unsicherheit und Unklarheiten schnell mal zum Telefon und vergewisserst dich. Dieses schulische Netzwerk kannst du nicht von heute auf morgen bauen. Wenn du dir aber bewusst bist, dass es für deine Arbeit wichtig ist, dann lege ab und zu die «brennenden Feuer» weg und nimmt dir Zeit, jemanden anzurufen oder bei ihm vorbeizugehen. Netzwerke sind eine Investition in eine ungewisse Zukunft.
Der Bereich «Schule neu denken» ist für die meisten Schulleitungen die Hauptmotivation, eine Schule zu leiten. In der Studie Leadership in German Schools der Universität Tübingen wurde 2020 erforscht, warum jemand Schulleitung wird und auch bleibt. Die Ergebnisse aus Deutschland decken sich mit den Resultaten meiner Masterarbeit zum Berufseinstieg von Schulleitungen im Kanton Bern. Die Vorstellungen, was eine Schulleitung tut, und die später in der Praxis angetroffene Realität sind aber alles andere als deckend: «Mit 93 Prozent hätten nahezu alle Schulleitungen in Deutschland als Motivation für ihre Tätigkeit angegeben, das Amt eröffne die Möglichkeit, neue Ideen zu entwickeln und zu erproben. In der Praxis verbrächten sie jedoch die meiste Zeit damit, einen reibungslosen Alltag an Schulen sicherzustellen, so 67 Prozent der Befragten. Nur 16 Prozent bestätigten, ausreichend Zeit für neue Ideen und die Umsetzung von Innovationen zu haben» (Karbe, 2020). Daher ist es nicht weiter erstaunlich, dass viele der berufseinsteigenden Schulleitungen einen Praxisschock erleben. Vorstellungen und Wünsche entsprechen so gar nicht der angetroffenen Realität. Die Schulleitungsnovizinnen und -novizen haben gerade Zeit, sich um die Bereiche «Feuer löschen» und «Organisation aufrechterhalten» zu kümmern.
Alltagseinblick 5 – «Schule neu denken»
In der Idealvorstellung von Martina sind die Lehrpersonen engagiert, machen guten Unterricht und wollen für die Kinder da sein. Sie nimmt sich vor, ihre Schule in diese Richtung zu entwickeln. Martina bedauert, dass die Schulentwicklung nicht im Fokus ihrer Arbeit liegt. Sie hat das Gefühl: «Das, was mich eigentlich die spannende Frage dünken würde: Wie macht man eine gute Schule? Da habe ich das Gefühl, das kommt irgendwie in vier, fünf Jahren. Dann erst komme ich vielleicht dazu, mich dem mal zu widmen.» In ihrem Alltag musste Martina sich vor allem mit vielen aktuellen Problemen auseinandersetzen, die an sie herangetragen wurden.
Es ist normal, dass du dich im Berufseinstieg manchmal überfordert fühlst. Zeit für Innovationen hast du dann hoffentlich in einem Jahr, wenn du alle Jahreszeiten einmal durchlebt hast. Aktuell ist deine Aufgabe, dir Wissen anzueignen und drängende Probleme anzupacken, um zu gewährleisten, dass «der Laden läuft». Ich stelle mir diese Phase jeweils wie eine Lehre vor. Wenn ich als Azubi in einem neuen Bereich anfange, kann ich auch noch nicht von Beginn weg die grossen Projekte stemmen, die eine ausgebildete Berufsfachperson bewältigen kann. Gib dir daher Zeit. Nach deiner Einarbeitung, wenn du dir Wissen und Erfahrung angeeignet hast, deine Beziehungen tragen und dein Netzwerk geknüpft ist, dann hast du noch dein ganzes Berufsleben lang Zeit, dich um die Weiterentwicklung deiner Schule zu kümmern.
WAS KOMMT AUF DICH ZU?
Die grosse Mehrheit der Schulleitungen bringt einen Hintergrund als Lehrperson mit. Nach dem Bildungsbericht Schweiz von 2018 waren 95 Prozent der Schulleitungen vorher als Lehrpersonen tätig. In einer Untersuchung fand Wiebke Bobeth-Neumann (2013) heraus, dass Lehrpersonen Schwierigkeiten haben, die Schule als Ganzes wahrzunehmen und nur über ein geringes Organisationsverständnis verfügen. Diese für Schulleitungen wichtigen Fähigkeiten würden weder im Lehramtsstudium noch im Zuge des Unterrichtens im Schulalltag ausgebildet. Sich die entsprechenden Kompetenzen für den Schulleitungsalltag anzueignen, sei die Aufgabe der Schulleitungen im Berufseinstieg. Mechthild von Lutzau (2008) stellte in ihrer qualitativen Studie über Biografie und Leitungshandeln von Schulleiterinnen fest, dass es der »Kreativität, dem Anpassungs- und Lernvermögen einer neu ins Amt eingeführten Schulleiterin oder eines Schulleiters überlassen werde, wie und wo sie sich das für diesen Beruf notwendige Wissen aneigne und die entsprechenden Fähigkeiten erwerben.« Diesen Umstand kritisieren Heinz Rosenbusch und Julia Warwas (2010), wenn sie festhalten, dass die Übernahme eines Schulleitungsamtes nichts weniger als einen Berufswechsel beinhalte, welcher nicht durch Praxisroutine erlernt werden kann, sondern einer spezielle Ausbildung bedürfe. In der Deutschschweiz gibt es jedoch keine berufsbefähigenden Ausbildungen, sondern weitgehend fakultative Zusatzausbildungen für Schulleitungen, was den «Perspektivenwechsel von der Lehr- zur Führungspersönlichkeit» und die Bildung eines beruflichen Selbstverständnisses als schulische Leitungspersonen erschwert (Schmerbauch, 2017).
In der Schweiz entscheiden de facto die Verbände, was ein Beruf ist und was nicht. Der VSLCH hat im Jahr 2015 das Berufsleitbild Schulleitung verabschiedet. Darin stellt er einleitend fest:
Jede Profession im Bildungsbereich braucht ein Berufsleitbild. Ein Berufsleitbild gibt das Selbstverständnis einer Profession wieder (…) Schulleiterinnen und Schulleiter der Volksschule gehören einer jungen Profession an. Diese kann sich durch ein Berufsleitbild finden und profilieren – namentlich in kluger Abgrenzung zu Berufsfeldern, mit denen sie eng kooperiert: zum Lehrberuf, aber auch zu Führungsaufgaben in Verwaltung und Privatwirtschaft. (VSLCH, 2015)
Der VSLCH bezeichnet die Arbeit der Schulleitungen als (junge) Profession, die sich noch profilieren und abgrenzen muss. Das ist insofern nachvollziehbar, als es in der Schweiz erst seit den 1990er-Jahren Schulleitungen auf der Stufe Volksschule gibt, welche zum Beispiel im Kanton Bern erst 2008 gesetzlich verankert wurden. Die im Berufsleitbild gezeigten Professionalisierungsabsichten streben den Status eines eigenständigen Berufes an.
De jure bestimmt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), was ein in der Schweiz anerkannter Beruf ist. Nach SBFI wird in der Liste der reglementierten Berufe nur die Lehrperson aufgeführt. Jedoch ist für die Zulassung und Anerkennung von Lehrpersonenzertifikaten nicht das SBFI, sondern die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zuständig. Auch auf der Webseite der EDK wird Schulleitung nicht als eigenständiger Beruf, sondern als Zusatzausbildung für Lehrpersonen aufgeführt. Im Jahr 2009 hat die EDK ein Profil für die Zusatzausbildung für Schulleitungen erlassen, um gesamtschweizerisch die gleiche Qualität zu garantieren. Als Voraussetzung gilt das Lehrdiplom, eine fünfjährige Unterrichtserfahrung sowie eine Anstellung als Schulleitung. In begründeten