Der Prozess des Sterbens könnte schmerzhaft sein.
4. Ich könnte keine Erfahrungen mehr machen.
5. Ich wäre nicht mehr in der Lage, für diejenigen zu sorgen, die von mir abhängig sind.
6. Ich fürchte mich davor, was mit mir geschehen könnte, wenn es ein Leben nach dem Tode gibt.
7. Ich fürchte mich davor, was mit meinem Körper nach dem Tode geschehen könnte.26
Viele dieser Ängste scheinen den persönlichen Tod nur am Rande zu berühren. Die Ängste vor den Schmerzen liegen offensichtlich auf dieser Seite des Todes; Ängste wegen eines Lebens nach dem Tode fragen nach der Möglichkeit, den Tod in ein nicht terminiertes Ereignis zu verwandeln; Ängste um andere sind offensichtlich keine Ängste um uns selbst. Die Furcht vor persönlichem Ausgelöschtwerden scheint im Zentrum der Besorgnis zu stehen: »Meine Pläne und Vorhaben wären am Ende« und »Ich könnte keine Erfahrungen mehr machen.«
Jacques Choron kommt in einem Überblick über die hauptsächlichen philosophischen Ansichten vom Tod zu einer ähnlichen Analyse. Er unterscheidet drei Typen der Todesfurcht: (1) was nach dem Tod kommt, (2) das »Ereignis« des Sterbens und (3) aufhören zu sein.27 Von diesen sind die ersten beiden, wie Robert Kastenbaum hervorhebt, Ängste, die mit dem Tod verbunden sind.28 Es ist jedoch der dritte Typus, das »Aufhören zu sein« (Vernichtung, Auslöschung, zunichte machen), welcher die zentralere Angst vor dem Tod zu sein scheint; und es ist dieser Typus von Angst, auf den ich mich in diesen Kapiteln beziehe.
Kierkegaard war der erste, der eine deutliche Unterscheidung zwischen Furcht und Angst traf; er stellte Furcht, die eine Furcht vor einer Sache ( einem Etwas) ist, der Angst gegenüber, die eine Angst vor keiner Sache (einem Nichts) ist – »Nicht«, wie er fein festhält, »ein Nichts, mit dem das Individuum nichts zu tun hat.«29 Man hat Angst davor, sich selbst zu verlieren und zu nichts zu werden. Diese Angst kann nicht lokalisiert werden. Wie Rollo May sagt: »Sie greift uns von allen Seiten gleichzeitig an.«30 Einer Angst, die man weder verstehen noch lokalisieren kann, kann man sich nicht stellen, und sie wird darum umso schrecklicher: Sie erzeugt ein Gefühl der Hilflosigkeit, welches unabwendbar weitere Angst hervorbringt (Freud hatte den Eindruck, dass Angst eine Reaktion auf Hilflosigkeit war; Angst, schrieb er, »ist ein Signal, das uns Gefahr anzeigt,« und das Individuum erwartet, »dass sich eine Situation von Hilflosigkeit ergeben wird.«31
Wie können wir Angst bekämpfen? Indem wir sie von nichts zu etwas verlagern. Das ist es, was Kierkegaard meinte mit »das Nichts, welches zum Objekt der Angst wird, wird sozusagen immer mehr zu etwas.«32 Es ist das, was Rollo May mit »Angst versucht, zur Furcht zu werden« meinte.33 Wenn wir eine Angst vor nichts in eine Furcht vor etwas verwandeln können, kön nen wir eine Aktion beginnen, mit der wir uns selbst schützen – das heißt, wir können das, was wir fürchten, vermeiden, Verbündete dagegen suchen, magische Rituale entwickeln, um es zu besänftigen, oder eine systematische Aktion planen, um es zu entgiften.
Todesangst: Klinische Erscheinungsformen
Die Tatsache, dass Angst die Tendenz hat, zur Furcht zu werden, vereitelt den Versuch des Klinikers, die ursprüngliche Quelle der Angst zu identifizieren. Man begegnet ursprünglicher Todesangst selten in der klinischen Arbeit in ihrem Urzustand. Wie entstehender Sauerstoff wird sie rasch in einen anderen Zustand überführt. Um die Todesangst abzuwehren, entwickelt das kleine Kind Schutzmechanismen, die, wie ich im nächsten Kapitel ausführen werde, auf Verleugnung beruhen, durch mehrere Stadien gehen und schließlich aus einer hochkomplexen Folge mentaler Operationen bestehen, die die nackte Todesangst verdrängen und sie unter einer Schicht solcher Abwehroperationen verbergen wie Verschiebung, Sublimierung und Konversion. Gelegentlich zerreißt eine aufrüttelnde Erfahrung im Leben den Vorhang der Abwehr und erlaubt der rohen Todesangst, ins Bewusstsein einzubrechen. Das unbewusste Ich repariert den Riss jedoch schnell wieder und verbirgt erneut die Natur der Angst.
Ich kann das aufgrund meiner persönlichen Erfahrung veranschaulichen.
Während ich dabei war, dieses Buch zu schreiben, war ich an einem frontalen Autozusammenstoß beteiligt. Ich fuhr friedlich eine Vorortstraße entlang, als ich plötzlich einen Wagen, der außer Kontrolle geraten war und direkt auf mich zufuhr, bedrohlich näherkommen sah. Obwohl der Zusammenstoß heftig genug war, um beide Autos zu zerstören, und obwohl der andere Fahrer ernsthaft verletzt wurde, hatte ich Glück, und mir wurden keine bedeutsamen körperlichen Verletzungen zugefügt. Ich erreichte ein Flugzeug zwei Stunden später und war in der Lage, in einer anderen Stadt eine Vorlesung zu halten. Aber ich war zweifellos schwer erschüttert, ich fühlte mich benommen, war zitterig und konnte weder essen noch schlafen. Am Abend war ich unklug genug, mir einen schrecklichen Film (Carrie) anzusehen, der mich gründlich entsetzte, und ich verließ das Kino, bevor er zu Ende war. Ich kehrte ein paar Tage später nach Hause zurück, ohne offensichtliche psychische Nachwirkungen, abgesehen von gelegentlichen Schlafstörungen und Angstträumen.
Aber ein seltsames Problem tauchte auf. Zu dieser Zeit verbrachte ich ein Jahr als Stipendiat am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences in Palo Alto, Kalifornien. Ich war gern mit meinen Kollegen zusammen und freute mich besonders auf die täglichen gemütlichen Diskussionen über gelehrte Fragen zur Mittagessenszeit. Unmittelbar nach dem Unfall entwickelte ich jedoch starke Angst bei diesen Mittag essen. Würde ich etwas von Bedeutung zu sagen haben? Was würden meine Kollegen von mir halten? Würde ich mich zum Narren machen? Nach einigen Tagen wurde die Angst so extrem, dass ich nach Entschuldigungen suchte, um woanders alleine essen gehen zu können. Ich begann jedoch auch, mein Dilemma zu analysieren, und eine Tatsache war überaus klar: Die Angst vor dem Mittagessen trat zum ersten Mal nach dem Autounfall auf. Außerdem war die starke Angst im Zusammenhang mit dem Unfall, bei dem ich nahe daran war umzukommen, innerhalb von ein oder zwei Tagen vollkommen verschwunden. Es war klar, dass es der Angst gelungen war, zur Furcht zu werden. Ein großes Maß an Todesangst war unmittelbar nach dem Unfall in mir aufgebrochen, und ich hatte sie in erster Linie durch Verschiebung »bearbeitet« – ich hatte sie von ihrer wahren Quelle abgespalten und sie an eine spezifische passende Situation geheftet. Meine grundlegende Todesangst erlebte daher nur ein kurzes Aufflackern, bevor sie zu solchen kleineren Sorgen wie Selbstwertgefühl, Furcht vor zwischenmenschlicher Zurückweisung oder Erniedrigung säkularisiert wurde.
Obwohl ich mit meiner Angst umgegangen war, sie »durchgearbeitet« hatte, hatte ich sie nicht gründlich beseitigt; und Spuren davon waren noch monatelang spürbar. Obwohl ich meine Mittagessensphobie durchgearbeitet hatte, tauchte eine Serie anderer Ängste auf – Ängste, einen Wagen zu fahren, Fahrrad zu fahren. Monate später, als ich zum Skifahren ging, war ich so vorsichtig, so ängstlich, dass etwas passieren könnte, dass mein Skivergnügen und meine Fähigkeiten beim Skifahren ernsthaft eingeschränkt waren. Doch diese Ängste konnten in Raum und Zeit lokalisiert und in einer systematischen Art und Weise behandelt werden. So störend sie auch waren, sie waren nicht grundlegend, sie bedrohten nicht mein Sein.
Zusätzlich zu diesen spezifischen Ängsten bemerkte ich einen anderen Wandel: Die Welt erschien gefährlich. Ich hatte in ihr mein Heimatgefühl verloren: Überall schien Gefahr zu lauern. Das Wesen der Realität hatte sich verändert, während ich das erfuhr, was Heidegger »unheimlich« [im Original dt.] nannte – die Erfahrung, »in der Welt nicht zu Hause zu sein«, die er als eine typische Konsequenz der Todesbewusstheit ansah (was ich bestätigen kann).34
Eine weitere Eigenart der Todesangst, die oft in der Literatur über geistige Gesundheit Verwirrung gestiftet hat, ist, dass die Furcht vor dem Tod auf vielen verschiedenen Ebenen erlebt werden kann. Man kann, wie ich ausgeführt habe, sich Sorgen machen über den Akt des Sterbens, die Furcht vor den Schmerzen beim Sterben, das Bedauern über unvollendete Vorhaben, man kann das Ende persönlicher Erfahrungen bedauern oder den Tod so rational und leidenschaftslos betrachten wie die Epikureer, die einfach den Schluss zogen, dass im Tod kein Schrecken ist, weil »wo ich bin, ist der Tod nicht; wo der Tod ist, bin ich nicht. Daher bedeutet der Tod mir nichts« (Lukrez). Wir sollten uns jedoch bewusst sein, dass diese Antworten bewusste erwachsene Reflexionen über das Phänomen des Todes sind; keinesfalls sind sie identisch mit der primitiven Angst