nicht vertraut wären. Daher würden sie die Suche nach Klaus womöglich noch zusätzlich behindern. Nutzlos herumsitzen wollten sie auch nicht.
Die meisten der verbliebenen Freunde dachten anfangs, dass sie bei einer Suche ebenfalls keine große Hilfe sein würden. Ihre Kenntnis der Wachau beschränkte sich mehr oder weniger auf die Straße am Donauufer.
Die beiden Polizisten machten ihnen jedoch klar, dass es ein großer Glücksfall war, dass sie alle da waren, und dass sie sehr wohl helfen konnten. Gemeinsam mit dem Streifenwagen hatten sie zehn Autos zur Verfügung. Die meisten waren soweit geländegängig, dass sie auch Forststraßen befahren konnten. Außerdem entpuppten sich die beiden Serviererinnen als Glücksgriff, weil sie beide gerne wanderten und sich in der Gegend auskannten.
Die Polizisten zeigten ihnen auf einer großen Karte, wie die Suche funktionieren konnte. Die meisten Straßen, die von der Hauptstraße abzweigten, fanden irgendwo an einem Hügel oder tief im Wald ein Ende. Diese Nebenstraßen mussten sie gemeinsam absuchen, ihnen also bis zu ihrem Ende folgen und keine Abzweigung auslassen. So hofften die Polizisten, zunächst irgendwo den dunkelblauen Porsche Cayenne von Klaus aufzuspüren. Dann konnten sie die Suche dort konzentrieren. Denn sie alle rechneten mit einem Unfall beim Laufen. Vielleicht ein böser Sturz oder ein Herzinfarkt.
Jedenfalls fand der Plan der beiden Polizisten schnell allgemeine Zustimmung.
Die eintretende Dunkelheit erschwerte ihr Unterfangen. Aber der Tipp der Polizisten, die Scheinwerfer auszuschalten und sich auf das Licht des Vollmonds zu verlassen, gab ihnen wieder Sicherheit. Einen irgendwo geparkten Porsche Cayenne würden sie jedenfalls sehen.
Mit zehn Autos konnten sie ein großes Gebiet zügig durchkämmen. Per Mobiltelefon blieben sie in ständigem Kontakt, trafen sich immer wieder als Kolonne auf der Hauptstraße und nahmen die nächsten Abzweigungen in Angriff. Im Nu rückten sie Richtung Norden bis ins fünf Kilometer entfernte Mühldorf vor. Sie weiteten den Suchradius immer mehr aus.
»Da ist die nächste Abzweigung.« Katja deutete nach vorne und schaute gleichzeitig auf ihr Handy. Dank GPS war ihre Position als roter Punkt am Display zu sehen. »Fahr rechts, das ist der Weg ohne weitere Abzweiger«, kommentierte sie matt.
Theresa betätigte kurz den rechten Blinker. Die beiden Autos hinter ihr blinkten links. Soweit alles klar.
Nach der Abzweigung begann ihr Wagen zu holpern. Sie fuhr noch langsamer. Die Furchen waren so tief, dass sie im fahlen Licht aussahen wie dunkle Lacken. Nach ein paar Metern ging es außerdem steil bergauf. Wahrscheinlich fuhren hier nur Waldarbeiter mit Fahrzeugen, die meterhohe Reifen hatten. Über Stock und Stein, ohne das Auto zu schonen, holperten sie weiter. Eine ganze Weile.
»Vergiss es«, kommentierte Katja schließlich. »Mit seinem heißgeliebten Cayenne wäre Papa keine drei Meter weit auf diesem Weg gefahren. Und gelaufen wäre er hier auch nicht.«
Theresa nickte und brachte den Wagen zum Stehen. »Wo können wir noch suchen?«
Katja verkleinerte die Karte auf ihrem Display und zog die Stirn in Falten. »Wir sind hier oben.«
»So weit von Spitz entfernt?«, fragte Theresa ungläubig.
»Ja. Vorhin waren wir bis hier drüben. Die andere Gruppe hat sich von der Straße hinter Weißenkirchen gemeldet. So weit weg würde Papa doch nie fahren.«
»Ja. Wenn er laufen will, will er laufen, nicht herumkutschieren«, pflichtete sie ihrer Tochter bitter bei.
Da läutete ihr Handy.
»Mathias?«
»Mama, wir haben nochmal alle Krankenhäuser angerufen. Und alle, zu denen er gefahren sein könnte. Auch Roman. Der sucht jetzt in Krems. Sonst fällt uns niemand mehr ein.« Dass er verzagt war, war nicht zu überhören. Zwei Gäste, die besonders viele andere Kollegen, Freunde und Bekannte von Klaus kannten, waren bei Mathias zu Hause geblieben und hatten sich ans Telefon gehängt. Auch erfolglos.
Sie holte tief Luft, atmete bewusst langsam aus. Das Schlimmste war, dass sie sich das Verschwinden von Klaus nicht erklären konnte. Hätte er einen Unfall gehabt, dann hätten sie ihn bestimmt gefunden. Aber was sollte es sonst sein? Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war jetzt kurz nach 22 Uhr. »Kinder«, sagte sie und machte eine Pause, um ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Ich denke, es liegt an uns, eine Entscheidung zu treffen.« Ihre Stimme zitterte trotzdem. »Ich denke,… wir haben getan, was wir konnten. Wir finden ihn nicht.«
»Aber das kann doch nicht sein«, schrie Mathias durchs Telefon.
Katja vergrub das Gesicht in ihren Händen.
Theresa legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. »Wir brechen die Suche ab.«
Ihre Tochter heulte auf.
»Mathias, bitte ruft alle zurück nach Hause.«
»Das kann doch nicht sein«, wiederholte ihr Sohn leise.
Da kamen auch ihr die Tränen.
Sonntag, 18. April 8 Uhr 45
Die Kremser Großbäckerei hatte zweihundert Stück Gebäck pünktlich an Bord gebracht. Aber der Fleischhauer war mit der Lieferung der täglichen hundertfünfzig Paar Frankfurter zehn Minuten später als vertraglich vereinbart dran gewesen. Kapitän Leutgeb notierte zwar die Verspätung in seinem Bordbuch. Da der Lieferant aber seit dem Beginn der Zusammenarbeit mit der DDSG immer pünktlich gewesen war, wollte er daraus keine große Sache machen. Er würde die verspätete Lieferung nicht nach Wien melden.
Ein Ablegen ohne die Würstel wäre für das Schiff freilich eine kleine Katastrophe gewesen. Stimmungsmäßig und finanziell. Frankfurter waren die bei Weitem beliebteste Speise auf einem Wachau-Schiff. An einem guten Tag verzehrten die Passagiere mehr als zweihundert Paar. Besonders gern zusammen mit einem Wachauer Laberl. Viele Passagiere kamen von weit her mit dem Auto nach Krems, um den Schiffsausflug in die Wachau zu machen. Darunter war stets eine erkleckliche Anzahl von Personen, die ohne zu frühstücken in ihre Autos gestiegen waren. Die stürmten gleich nach dem Ablegen des Schiffs das Bordrestaurant. Um ihren ersten Kaffee des Tages zu trinken oder sich ein Paar Frankfurter zu gönnen.
Heute gab es kaum Wellengang. Der Wasserstand der Donau war seit Monaten ausgesprochen niedrig. Der Winter war zwar recht lang und überraschend kalt, aber niederschlagsarm gewesen. Auch in den letzten Wochen hatte es wenig geregnet. Und die Schneeschmelze in den Bergen hatte gar noch nicht richtig begonnen.
Bei niedrigem Wasserstand war das Ablegemanöver für die gesamte Mannschaft eine tausendfach durchexerzierte Routineangelegenheit. Dennoch war der Kapitän wie immer aufmerksam und überwachte die Einhaltung der für das Manöver geltenden Vorschriften sehr penibel. Immerhin hatte es auch auf der Donau schon Schiffsunglücke mit mehreren Toten gegeben. Er wusste, dass sich das eine oder andere Crew-Mitglied von ihm manchmal einen etwas laxeren Umgang mit den Regeln gewünscht hätte. Davon ließ er sich jedoch nicht beeindrucken. Auf seinen Schultern lag ja die ganze Verantwortung.
Als das Manöver beendet war, lehnte er sich an die Fensterfront des Kapitänsstandes und gönnte sich bewusst eine Pause. Bewusste Pausen förderten die Konzentrationsfähigkeit. Außerdem würden sie gleich an Stein vorbeifahren. Die ufernahe Häuserfront von Stein war für ihn eines der Highlights der Fahrt. Die weißen und grauen Fassaden hinter der Reihe alter Bäume, die breite, fast unbefahrene Straße parallel zur Uferstraße, die beiden kleinen Plätze, die sich wie Buchten zur Donau hin öffneten, das alles vermittelte ein Gefühl von Gemütlichkeit und Lebensfreude, irgendwie ein mediterranes Flair. Immer wieder war er überrascht, dass offenbar nur wenige Passagiere seine Begeisterung für Stein teilten. Allenfalls zückten die Passagiere ihre Handys und Fotoapparate, wenn sie die Pfarrkirche und die gleich dahinter am Hügel stehende Frauenbergkirche sahen. Beide Kirchen lagen hinter der jahrhundertealten Häuserzeile. Er hatte schon mehrmals mit seiner Frau Führungen durch Stein mitgemacht. Da gab es traumhafte barocke Innenhöfe mit Arkaden und Balustraden, die mit Weinlaub verwachsen waren. Außerdem reich verzierte Bürgerhäuser, die vom bis ins Mittelalter zurückreichenden Reichtum dieses alten Handelsplatzes zeugten. Die beiden