Gerald Hörhan

Null Bock Komplott


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Der Ministerpräsident zeigte sich tatsächlich als Benjamin der Staatsgewalt, dessen Vision darin bestand, artig zu sein.

      Frage: Was macht Sie für Ihre Wähler spannend?

      Antwort: Ich habe mit mehr als sechzig Jahren den Großteil meines Lebens hinter mir. Alles, was ich brauche, habe ich schon.

      Womit er offenbar andeuten wollte, dass er schon zu alt zum Stehlen war. „Stellt sich die Frage, warum der Typ mit mehr als sechzig Jahren nicht einfach daheim bleibt und seine Gartenzwerge poliert, damit wenigstens die glänzen“, schrieb ich David. Mir wurde klar, dass meine kaum zwei Stunden zurückliegende Hochstimmung über die vermeintliche große Freiheit nur dem Heavy-Metal-Sound geschuldet gewesen war. Die Wirklichkeit sah anders aus. Die Bürokraten hatten längst die Macht übernommen. Sie regierten die industrialisierte Welt, indem sie regelten, kontrollierten und bestraften. Sie hatten so viele Gesetze und Verordnungen geschaffen, dass es in der Wirtschaft nicht mehr darum ging, gute Geschäfte zu machen, sondern nur noch darum, möglichst keinen Fehler zu machen. Spaß war zu einer Form von organisierter Kriminalität geworden, und mit Verpetz-Plattformen im Internet hatte der Kontrollstaat die Bürger zu Kontrollbürgern gemacht und ein Spitzelwesen ähnlich dem in der ddr etabliert.

      Die Konzerne hatten sich ein Beispiel am Kontrollstaat genommen. Sie gingen mit ihren Mitarbeitern um, wie Lehrer mit Schülern auf Landschulwoche. Zur Sicherheit regelten sie alles und was aufregend war, verboten sie. Indem sie das Anschwärzen anderer förderten und belohnten, machten sie ihre Mitarbeiter, genau wie der Staat seine Bürger, zu ihren Handlangern.

      Niemand war nirgendwo vor niemandem mehr sicher.

      Aus dem Kontrollstaat, den Kontrollkonzernen und den Kontrollfirmen war ein Kontrollsystem entstanden, in dem vor lauter Angst alle nur noch verwalteten und niemand mehr gestaltete. Die Weicheier waren überall. Die Benjamins, die Jasager und Arschkriecher, die keine Entscheidungen mehr trafen und für nichts verantwortlich waren, die sich hinter dem System versteckten, hinter Gutachtern, Studien und Komitees, die wie organische Roboter Vorschriften erfüllten, die Systemtrottel, das waren die neuen Helden.

      Sie waren, je nach Firmenkultur, immer perfekt unauffällig gekleidet. Sie nahmen die Demütigungen, die sie täglich erfuhren, sei es von Vorgesetzen, Sicherheitspersonal oder Staatsbeamten, mit unterwürfigem Dank entgegen. Sie regten sich niemals auf, es sei denn, jemand in ihrer Umgebung hielt die Gesetze, Verordnungen und Verhaltensregeln nicht so genau ein wie sie selbst. Sie verstanden nicht, was jemand gegen Gesetze, Regeln und Kontrolle haben konnte.

      Wer sich korrekt verhält, hat nichts zu befürchten.

      Die Weicheier waren richtig froh darüber, dass es Regeln gab. So brauchten sie nicht selbst zu denken und sich nicht mit Selbstreflexion aufzuhalten. Sie plapperten einfach nach, was sie hörten, und begnügten sich mit der Reflexion, die ihnen das System bot, indem es ihnen bei Regelverstößen auf die Finger klopfte. Sie waren damit perfekt manipulierbar, kalkulierbar und kontrollierbar. Denn wer, statt selbst zu denken, Regeln erfüllt, läuft immer dorthin, wohin die Pfeile weisen.

      Das ganze Kontrollsystem war längst ausgerastet. Mangels Ambition und Kompetenz der Exekutive gediehen internationale Verbrecherringe, während ein Heer von Polizisten mit 4 000 stationären und 15 000 mobilen Radarfallen allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz Autofahrern auflauerte, die mit Autos, die für 180 Stundenkilometer gebaut waren, auf Straßen, die für 200 Stundenkilometer gebaut waren, 140 statt 120 fuhren. Die Leistungsträger erlahmten, weil sie das Kontrollsystem bremste, während es die Weicheier förderte, und mit den Leistungsträgern erlahmte die Wirtschaft. Es entstand eine faule, träge Suppe, in der niemand glücklich war, auch nicht die Weicheier.

      Das Kontrollsystem hatte Überwachungsmethoden entwickelt, gegen die jene des Kommunismus Kinderkram waren, aber auch das regte niemanden richtig auf. Als Edward Snowden aufdeckte, wie der amerikanische Geheimdienst nsa in Zusammenarbeit mit Staaten und Konzernen systematisch alle Bürger ausspähte, ließen sich die meisten nur via Fernsehen mit der aufregenden Jagd der USA nach Snowden, dem Match zwischen den Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin und dem üblichen politischen „Wer hat was wann gewusst“ berieseln. Das Problem selbst war allen ziemlich egal.

      Ich bin nicht wichtig genug.

      Dabei konnten die nsa und die Geheimdienste durch die Daten aus privaten Online-Aktivitäten mit ein paar Klicks schon mehr über ihr Liebesieben in Erfahrung bringen als sie selbst in drei Jahren Sexualtherapie, hundert Euro die Stunde.

      Die Politiker mussten ihnen nur erklären, dass alles ihrer eigenen Sicherheit diente. Dann würden sie sich wahrscheinlich auch in Käfige sperren lassen, in denen ihnen knallgrüne Schilder mit weißen Piktogrammen zeigten, in welchem Winkel sie durch die Eisenroste zu scheißen hatten, und in denen sie zwecks Stromgewinnung für die Rechner im Rechenzentrum der nsa in Maryland den ganzen Tag in Pedale treten mussten.

      Das ginge dann doch zu weit.

      Ginge es nicht. Als die Online-Ausgabe einer großen deutschen Boulevardzeitung tatsächlich über Vorschriften in Form einer Benutzungsordnung für Toiletten in Behörden, Dienststellen und öffentlichen Gebäuden des Landes Sachsen-Anhalt berichtete, regte sich auch niemand richtig auf. Obwohl darin die Sitzposition, die Darmentleerung, die anschließende Sichtkontrolle, die Reinigung des Rektums und die Reinigung der Toilette geregelt waren.

      Was denen wieder eingefallen ist.

      Die Sache hatte sich als Ente herausgestellt, die ein Zyniker in Umlauf gebracht hatte, doch sie hatte gezeigt, wie weit der Staat ungehindert gehen könnte. Ich zog die Vorhänge zu und hatte bis 12 Uhr Mittag Albträume von Bürokraten, die Weicheier züchteten und allen, die sich nicht normieren ließen, das Leben zur Hölle machten. Zum Glück gab es eine Möglichkeit, Widerstand zu leisten und es trotzdem zu schaffen, dachte ich später. Wer sie nutzen wollte, musste das System allerdings zuerst durchschauen.

      

Das system

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