Heidi Wahl

Mach's dir leicht, sonst macht's dir keiner


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Was machen Menschen, die ihr Ding machen und daher mit Leichtigkeit durchs Leben schweben, eigentlich anders? Wie kommt es, dass einige meiner Freunde gerne zur Arbeit gehen, während andere die Tage bis zur Rente zählen? Oder eine Abteilungsleiterin mir auf dem Weg zur Kantine erklärt: »Ich warte eigentlich nur darauf, dass ich Oma werde.« Es ist ihr zu anstrengend, einen anderen Job zu suchen. »In meinem Alter finde ich ja sowie nichts mehr.« Stattdessen verlässt sich Gisela darauf, dass das ersehnte Enkelkind künftig ihrem Leben wieder einen Sinn gibt und sie als Oma beim Kinderwagen-Schieben aufblüht. Diese Haltung konnte ich nicht nachvollziehen. Ich fragte Gisela irritiert: »Und was machen Sie, bis Sie Oma werden? Das kann ja noch dauern, Ihre Tochter ist doch gerade erst 22 geworden.« »Nichts. Ich mache so weiter wie jetzt.«

      Dieses kurze Gespräch beschäftigte mich so sehr, dass ich mich auf die Suche machte. Nach Mechanismen und Mustern, die solche Denkweisen fördern. Aber auch nach Voraussetzungen und Faktoren, die Leichtigkeit, Spaß und Freude ins Leben bringen. Theoretisch und praktisch. Als Trainerin und Coach habe ich dazu jede Menge Gelegenheiten. Auch in meinem Leben gab es Situationen (Trennung, Jobverlust, Krankheit, Unfall), die mich ganz schön gebeutelt haben. In der akuten Phase zählt nur das Durchkommen, das Überstehen der aussichtslosen Lage. Wenn sich das Chaos etwas gelichtet hat, geht es um die Frage: Wie gewinne ich wieder die Leichtigkeit, mit der ich vorher durchs Leben gegangen bin? Und wie gestalte ich meinen weiteren Lebensweg, so dass ich jeden Tag zufrieden bin und mich abends im Bett an die kleinen angenehmen Momente erinnern kann?

      In diesem Buch will ich Ihnen Zusammenhänge aufzeigen, die Sie so vielleicht noch nicht gesehen haben: Die Entwicklung der Leichtigkeit ähnelt der Metamorphose bei Schmetterlingen. Das hat die Natur ganz schön raffiniert eingefädelt, Respekt! Bei meinen Erkundigungen habe ich zudem erstaunt festgestellt, welche entscheidende Rolle unser Gehirn und die darin ablaufenden neurobiologischen Vorgänge spielen. Sie werden sich wundern, was unsere grauen Zellen so treiben, wenn wir ihnen freien Lauf lassen: Was sie einmal gelernt haben, wollen sie auf Teufel-komm-raus beibehalten. Ganz schön fiese Nummer. Die gute Nachricht: Mit Beharrlichkeit und einigen Tricks lässt sich selbst das eingefahrenste Hirn umprogrammieren. Sofern der Besitzer sich dazu entscheidet und sich nicht durch Versprechungen wie »auf dem Sofa ist es viel schöner als im Fitnessstudio« beeinflussen lässt. Das kommt Ihnen bekannt vor? Prima, dann freuen Sie sich auf die Episoden von Bekannten, Seminarteilnehmern oder Coaching-Klienten (alle Namen geändert). Wahrscheinlich stellen Sie fest: Oh, so was Ähnliches habe ich auch schon mal gedacht oder erlebt. Und vielleicht entdecken Sie wertvolle Hinweise oder Tipps für Ihre eigene Weiter-Entwicklung.

      Ich gebe Ihnen mit dem MARIPOSA-Prinzip acht Schlüssel an die Hand, mit denen Sie an den verschiedenen Rädchen drehen können und mit denen Sie geschmeidiger durch Hochs und Tiefs gleiten. Einfache Methoden und alltagstaugliche Techniken helfen Ihnen, Ihre Wahrnehmung zu trainieren, damit Sie eingerostete Bremsklötze und Schrauben rasch erkennen und lösen können. Denn Sie wollen doch Ihre Energie und Ihr Know-how zielgerichtet in den Bereichen einsetzen, die Sie für sinnvoll halten, oder? Und sich öfter trauen, das zu sagen und das zu tun, was Sie für sich als richtig ansehen. Also Ihre PS auf die Straße bekommen, selbst wenn der Partner oder die Freundin eingefleischte Fahrradfahrer sind. Und aktiv Situationen angehen, vor denen Sie sich bislang gedrückt haben. Ja, genau, ich meine das zerrüttete Verhältnis mit XY, das Ihnen schon seit Wochen den Schlaf raubt und Ihnen schwer im Magen liegt. Ich kann das Gespräch nicht für Sie führen, doch ich zeige Ihnen, wie Sie sich darauf mental vorbereiten können und dann selbstbewusst zum Telefonhörer greifen und die Angelegenheit elegant aus der Welt schaffen.

      Nach der Übung »Lebens-EKG« werden Sie mit anderen Augen auf die einschneidenden Erlebnisse in den vergangenen Jahren schauen und staunen, wie gut Sie vieles gemeistert haben und weiterhin meistern werden. Sie erkennen, welche Kompetenzen und Stärken in Ihnen schlummern, die manchmal, ruckzuck, von Verhaltensmustern und Denkweisen aus der Kindheit in die hinterste Ecke gedrängt werden. Sie bekommen aber auch Ideen und Vorschläge, wie Sie sich aus dieser ungünstigen Position befreien können. Ganz besonders viel Spaß beim Lesen werden Sie auf den Seiten haben, wo wir gemeinsam pädagogische Leitsprüche wie »Das macht man nicht!« oder »Nur die Harten kommen in den Garten« auseinanderpflücken. Dieses Wissen wird Ihnen helfen, souveräner und gelassener auf die Kapriolen des Lebens zu reagieren.

      Vielleicht sind Sie nach der Lektüre des Buches so motiviert, dass Sie sich mutig auf die Suche nach einem passenderen Job oder nach einem befriedigenden Hobby machen. Vielleicht buchen Sie wild entschlossen die lang ersehnte Reise nach Bali? Es kann auch sein, dass Sie ganz kleine Schritte gehen und damit starten, Ihr Augenmerk auf die positiven Dinge zu lenken, auf das, was Ihnen täglich gelingt. Abends, im Bett. Ziel ist, das Denkorgan aus seiner Wohlfühlzone zu bugsieren. Ihre eigene Situation etwas besser zu verstehen und Ihnen einen Ansporn zu geben, sich von Altlasten zu befreien und Ihr Leben dadurch wieder leichter werden zu lassen. Mit Hilfe der acht Gebote des MARIPOSA-Prinzips schaffen Sie das! Das Gute daran: Sie müssen nicht bei M, beim ersten Punkt beginnen. Sie können auch beim S starten. Hauptsache, Sie fangen an!

      1. Mariposa oder Faszination Schmetterling

      Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken …

      (Carlo Karges)

      Blut rühren war mein erster Ferienjob. Eine verantwortungsvolle Aufgabe für eine Siebenjährige. Das rotbraune Schweineblut mit beiger Schaumkrone im weißen Plastikeimer musste immer in Bewegung bleiben, damit es nicht gerann. Also rührte ich immerzu. Einmal linksherum, einmal rechtsherum. Immer abwechselnd. Meine Mutter fand das alles sehr eklig. Das Blut, der Geruch, die Borsten, die vollen Schweinedärme. Für mich war es einfach nur aufregend, ein Highlight in den Herbstferien, auf das ich mich schon wochenlang vorher gefreut habe. Mich faszinierte der ganze Ablauf der Schlachtung, die einzelnen Schritte, die fette Speckschicht unter der Haut und besonders das Innenleben der Schweine. Ich bekam große Augen beim Anblick von Herz, Hirn, Nieren, Darmschlingen und Leber. Wie unterschiedlich doch die einzelnen Organe waren! Hinsichtlich Form, Farbe, Aufbau und Struktur. Und natürlich durfte ich die Innereien auch anfassen. Natürlich erst nachdem ich Stein und Bein geschworen hatte, meine Hände vorher gründlich gewaschen zu haben. Während sich die Leber eher labberig anfühlte, war das Herz kompakt, der Darm glitschig und zart zugleich. Und niemand hat es gestört, dass ich ’zig Fragen stellte und alles genau wissen wollte. Hauptsache, ich stand nicht im Weg herum und behinderte die Erwachsenen.

      Wir haben früher zuhause auf der Schwäbischen Alb bei uns im Haus, besser gesagt, in der Garage geschlachtet. Die Schweine züchteten meine Großeltern, Metzgermeister Gerhard tötete, zerlegte und verarbeitete die Tiere und danach hatten wir in der Gefriertruhe Unmengen Schnitzel, Braten und Rouladen. Leber- und Blutwürste wurden in Därme oder Dosen gefüllt. Klassische Selbstversorgung, alles biodynamisch und wahnsinnig lecker.

      Als Kind war ich nicht nur beim Schlachten dabei, sondern ständig im Stall von Oma und Opa. Ich fütterte Schweine und Hühner, streichelte Katzen, Kälber und Kühe. Sie kennen das Gefühl einer rauen Kuhzunge auf der Hand? Herrlich. Wahnsinnig traurig war ich jedoch, als ich eines Morgens das sehnsüchtig erwartete, in der Nacht zuvor geborene Kalb sehen wollte: es war tot. Der Kadaver lag zugedeckt unter einer Decke in der Scheune, auf dem kalten Steinboden. Abholbereit für den Tierverwertungs-Laster. »Warum musste das Kälbchen sterben?«, fragte ich meine Oma. »Es war einfach zu schwach. Das passiert halt manchmal. Das gehört dazu zum Leben.« Ich fand das nicht gut, nahm das aber kommentarlos hin. Denn wenn das die Oma sagt, dann ist das so. Meine Oma – ich nannte sie auf gut schwäbisch »Ahna« – kannte alle Facetten von Freud und Leid im Stall.

      Tiere und Technik. Das waren damals meine Favoriten. Neben Skifahren, Handball und Lesen. Unseren hellblauen Traktor konnte ich schon als Grundschülerin auf dem Acker durch die Heuballen steuern – ohne mit den Füßen aufs Gaspedal zu reichen. Das war kein Problem, denn Opa (»Ene«) legte den ersten Gang für mich ein und ich grinste breit hinterm Lenkrad. Als Teenie lernte ich unter Ahnas Aufsicht mit der Hand melken und an meinem Geburtstag im September war immer Kartoffeln auflesen angesagt statt Party.