auszuhalten, beharrlich dranzubleiben und ausdauernd seine Ziele zu verfolgen. Lernen, einen »Schmetterlings-Achter« zu schlagen, auch wenn es anfangs unmöglich erscheint. Sportler sind darin Experten – etwa Turner und Turnerinnen. Mir wird immer ganz schwindelig, wenn ich sehe, was am Boden, an den Ringen, auf Schwebebalken oder am (Stufen-)Barren möglich ist. Ohne Zeitlupe bin ich nicht imstande, die ganzen Schrauben, Salti und Drehungen auseinander zu halten, geschweige denn zu zählen. Etwa die von der US-Amerikanerin Simone Biles (Jahrgang 1997), die bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 vier Goldmedaillen und eine Bronzemedaille gewann. Der Lohn für die vielen, harten Trainingseinheiten in Halle und Kraftraum.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit und den kurz vor den Sommerferien stattfindenden Wettbewerb »Jugend trainiert für Olympia«? Und wenn es nach Rennen, Laufen und Werfen Urkunden und Medaillen gab? Ich fand das toll, nach der ganzen Trainiererei zu merken, dass sich Geduld, Disziplin und Ausdauer irgendwann mal auszahlen. Wer Sport treibt, weiß, dass es nicht immer schneller, höher und weiter geht, sondern es Phasen vermeintlichen Stillstands gibt (Plateauphase). Da geht nix vorwärts. Gar nichts. Schrecklicher Zustand. Schuld ist die Homöostase, das physiologische Streben eines Organismus und seiner einzelnen Organe nach einem Gleichgewichtszustand. Unser Körper sucht immer einen Ausgleich und passt sich ans Training, an die Reize auf Nerven und Muskulatur an. Klar, dass es daher Pausen und Stagnation statt linearer Leistungssteigerung gibt. Vergleichbar ist diese Phase mit dem Moment, wo ein Schmetterling auf einer Blüte sitzt, Nektar schlürft und die Zeit für eine Winzigkeit stillzustehen scheint. Die Kunst besteht für uns Menschen darin, diese Augenblicke nicht nur auszuhalten, sondern zu genießen und sich darauf zu verlassen, dass es auch wieder besser wird. Also nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern eher das Programm zurückfahren, innehalten, Batterien aufladen und Tankstellen suchen. Dehnen, Recken und Strecken statt einen Marathonlauf zu absolvieren. Und bloß nicht mit anderen vergleichen, das tut weder Körper noch Seele gut. Aufmerksam sein für die eigenen Bedürfnisse heißt die Devise.
Waren Sie schon einmal in Asien und haben Tempel in Laos, Myanmar, Vietnam, Kambodscha oder Thailand bestaunt? Der Königspalast in Bangkok etwa ist der absolute Wahnsinn. Ein touristisches Muss, wenn Sie dort sind! An vielen Stellen sind bunte Mosaike zu sehen, die teilweise mit schillernden Schmetterlingsflügeln dekoriert sind. Und genau das erreichen, was die Künstler wollten: die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters einfangen und ihn staunen lassen. Je nach Lichteinfall und Standort entstehen neue Farben und Effekte. Bezaubernd. In der christlichen Kunst sind Schmetterlinge seit jeher ein Symbol der Auferstehung, sie zieren viele Grabmale und finden sich auch in ägyptischen Grabmalereien. In der griechischen und römischen Mythologie erscheint die Seele oft mit Schmetterlingsflügeln. Auf diese Weise kann sie sich vom Körper lösen und gen Himmel schweben. In der Antike galten Schmetterlinge als d a s Sinnbild von Wiedergeburt und Unsterblichkeit, weil sie nach monatelanger Ruhe in einem äußerlich reg- und leblosen Kokon plötzlich erwachen und lebendig werden.
Wie schön wäre es, wenn wir Monate lang ruhen könnten, uns zurückziehen, in der Regungslosigkeit verharren? Wenn wir ein Schild »Wegen Umbau geschlossen« raushängen könnten? Tolle Vorstellung. Ich habe zwar meist nicht mehrere Wochen am Stück frei, doch ich plane mir immer wieder Auszeiten ein. Tage, an denen weder Coaching-Klienten noch Kundengespräche im Terminkalender stehen und auch kein Seminarkonzept, kein Angebot meinen Computer verlässt. Zeit für mich, Zeit für mein Gehirn und meine Gedanken, die sich dann sortieren können. Und ich Dinge, Gespräche, Situationen verarbeiten und einen neutralen Blick gewinnen kann. Das klappt nur im Entspannungsmodus, in den Sommerferien und den Wochen rund um Weihnachten, jedoch nicht in den Hauptarbeitsphasen. Da jagt ein Termin den anderen, ein Seminar das nächste und Projekte wollen angestupst werden.
Ein Freund erzählte mir, dass er im Sommer mehrmals für einige Tage in die Berge fahre, um runterzukommen. Mit seiner Lebensgefährtin mietet er sich in kleinen Pensionen ein, isst gut, schwimmt in Weihern, wandert, erkundet die Gegend und lässt die Seele baumeln. »Und dann seh ich auch wieder klarer«, beschreibt Paul den Ausklink-Effekt. Mehr noch: Er trifft auch Entscheidungen. Etwa den Ausstieg aus einer Band, die der Gitarrist mitbegründet und gepusht hat, doch nach reiflichen Überlegungen und Überdenkungen als nicht zukunftsträchtig einstuft hat. »Da gehen zwei Pole nicht zusammen und viele Kleinigkeiten passen nicht«, lautet das nüchterne Urteil nach einem langen Wochenende in den bayerischen Voralpen. Ohne Groll und Gram berichtet Paul von seiner Entscheidung. Im Gegenteil: »Ich fühle mich jetzt erleichtert und kann ein neues Band-Projekt angehen bzw. ausbauen.«
Respekt gegenüber den Bandkollegen, dem Chef, dem Kunden oder der Nachbarin – auch wenn sie noch so nerven. Nur wer bei sich ist, in einer neutralen Position, ist in der Lage, seine Mitmenschen in allen Facetten zu sehen und sich nicht sofort ein Urteil zu bilden und den anderen zu bewerten und in eine Schublade zu stecken. Die Fähigkeiten, Kompetenzen und das Positive anzuerkennen, ist keine einfache Sache. Doch es ist ungemein hilfreich, schont Kraft und Energie und macht das Leben leichter.
Vor über 40 Jahren, nämlich 1972, beflügelte ein US-Amerikaner die Erforschung chaotischer Systeme: Edward N. Lorenz fasste sein keckes Gedankenspiel in die Frage: »Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?« Der Meteorologe wollte am Beispiel des Wetters zeigen, dass kleine Abweichungen langfristig ein ganzes System vollständig und unvorhersagbar verändern können. Seither bezeichnet der Schmetterlingseffekt (butterfly effect) folgendes Szenario: Verändert man in einem komplexen, dynamischen System die Anfangsbedingungen nur geringfügig, können diese im langfristigen Verlauf zu einer völlig anderen Entwicklung führen. Konkret heißt das: Kleine Unterschiede in der Ausgangssituation führen möglicherweise später zu starken Änderungen in einem System. Oder ganz einfach, populärwissenschaftlich ausgedrückt: kleine Ursache, große Wirkung.
Auf das Wetter übertragen bedeutet dies: Meteorologen können das Wetter für einen Tag mit Hilfe von zigtausend Werten aus Satellitendaten, Wetterstationen und leistungsstarken Computern inzwischen sehr genau vorhersagen. Auch für drei, vier Tage schaffen sie noch eine recht zuverlässige Trefferquote, doch für einen Monat ist eine Prognose so sicher wie der Blick in eine Kristallkugel. Weil eben die Anfangsbedingungen so unterschiedlich sind wie die Wolkenformationen am Himmel. Das musste auch der »Erfinder« des Schmetterlings-Effekts akzeptieren: Weder Lorenz noch sonst ein menschliches Wesen weiß, wie viele Schmetterlinge es auf der Welt gibt, geschweige denn, welche wo genau mit den Flügeln schlagen oder regungslos auf einer Blüte sitzen und genüsslich Nektar schlürfen.
Im Coaching ist der Schmetterlings-Effekt schön zu beobachten: Ein Satz, eine Idee, ein Gedanke oder ein anderer Blickwinkel reicht oft aus, um beim Klienten etwas zu bewegen und neuen Schwung in eingefahrene Verhaltensmuster zu bringen. Und den Blick auf Lösungen und Handlungsvarianten zu lenken, die vorher unmöglich, undenkbar erschienen. Sascha Stiefel, rechte Hand eines Bürgermeisters in einer bayerischen Kleinstadt, wollte zu Beginn seiner neuen Tätigkeit schnell einen Überblick bekommen und erledigte daher viele Kleinigkeiten selbst. Da ein Anruf, dort eine kleine Notiz und dann noch kurz den ausfindig machen, der die Vertretung von Frau Müller macht. »Das geht ganz gut nebenbei«, erklärte er mir, »und außerdem schneller, als wenn ich es an meine Sekretärin weiterleite. Die hat eh so viel zu tun.« Einige Wochen funktionierte diese Strategie gut, doch immer öfter bemerkte Stiefel, dass er Überstunden machen musste, um seine Hauptaufgaben zu erledigen wie etwa eine Rede für seinen Chef, den Bürgermeister zu schreiben. Er kam immer öfter zeitlich in die Bredouille und daher irgendwann zu mir ins Coaching. Allein kam er aus diesem Wirrwarr nicht mehr heraus. Hilfe von außen war angesagt. Allein das zu akzeptieren, war für Sascha Stiefel schon ein großer Schritt hin zu einer Veränderung, zu einer Lösung und Verbesserung.
Wir analysierten seine Situation, seine Aufgaben, die Abläufe in der Abteilung und natürlich auch verschiedene Möglichkeiten, die ihn entlasten könnten. Der Satz