Elena Makarova

Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book)


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die Bedeutung der Berufswahlmotive und der berufsbezogenen Zufriedenheit während der Laufbahn junger Frauen und Männer in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik. Dabei werden zwei Übergänge im Berufswahlprozess fokussiert: die Wahl der Berufslehre und die Wahl der Berufslaufbahn. Die Analysen stützen sich auf die Daten einer Schweizer Studie mit einem Multi-Kohorten-Sequenz-Design und einer ereignisbasierten Stichprobenziehung. Die Stichprobe der vorliegenden Studie umfasst junge Erwachsene, die im Durchschnitt 20 Jahre alt und unmittelbar vor der Lehrabschlussprüfung (N = 470) waren. Die Daten wurden mittels nichtparametrischer und parametrischer Methoden ausgewertet. Die Ergebnisse unserer Studie machen deutlich, dass sich Jugendliche durch die vorherrschende Geschlechtstypik der Berufe in ihrer Berufswahl einschränken lassen, wobei insbesondere die Zone der akzeptablen Berufe bei jungen Männern kleiner wird. Dennoch scheint diese Einschränkung den Jugendlichen nicht bewusst zu sein. Sie schätzen die berufliche Geschlechtstypik sowohl für die Wahl der Berufslehre als auch für die Wahl der späteren Berufslaufbahn als unbedeutend ein. Bezogen auf die berufsbezogene Zufriedenheit zeigt unsere Studie, dass die Geschlechtstypik des gewählten Berufs während der beruflichen Ausbildung oder Ausübung zu einer nicht zu unterschätzenden kontextuellen Bedingung gehört, die die Beurteilung der Zufriedenheit im Beruf mitzuprägen vermag. Insgesamt zeigen die Ergebnisse unserer Studie, dass die berufliche Geschlechtstypik nicht nur ein gewichtiger Faktor ist, wenn es um die Begründung der Berufswahl und der Wahl der Berufslaufbahn, sondern auch, wenn es um die Beurteilung der Zufriedenheit im Beruf geht.

      1 Einleitung

      Eine der zentralen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter besteht darin, eine Berufswahl zu fällen und eine berufliche Laufbahn aufzunehmen. Die Passung zwischen dem individuellen Persönlichkeitsprofil und den Eigenschaften und dem Anforderungsprofil eines Berufs (Holland, 1959) ist für die Berufswahl von zentraler Bedeutung. Das Berufsimage wird mit dem Selbstkonzept verglichen, wobei der Übereinstimmungsgrad über die Wahl oder Abwahl eines Berufs entscheidet (Gottfredson, 2002). Zwei für das Image eines Berufs beziehungsweise der beruflichen Grundbildung wesentliche Merkmale sind dessen Geschlechtstypik und dessen Sozialprestige. Die berufliche Geschlechtstypik erweist sich sogar als das wichtigste Berufswahlkriterium, das über dem Sozialprestige der Berufe und dem eigenen Interesse an einem Beruf steht (Ratschinski, 2009). Damit wird die Zone der akzeptablen Berufe im Berufswahlprozess eingeschränkt, sodass zuletzt nur – aus jeweils individueller Sicht – realisierbare Berufe zur Wahl stehen. Eine solche Einschränkung führt dazu, dass junge Frauen und Männer mehrheitlich geschlechtstypische Berufe wählen und sich nur selten für einen geschlechtsuntypischen Beruf entscheiden (OECD, 2006; WEF, 2017). Zugleich zeigt eine Schweizer Studie zu Trajektorien der beruflichen Geschlechtstypik bei berufsbiografischen Übergängen junger Frauen und Männer, dass im berufsbiografischen Verlauf nur rund die Hälfte aller Frauen und Männer in demselben geschlechtsbezogenen Passungstyp – das heißt im geschlechtstypischen, geschlechtsneutralen oder geschlechtsuntypischen Beruf – verbleiben, in den sie in ihrer beruflichen Ausbildung einmündeten. Bei der anderen Hälfte gibt es zumindest einen Wechsel der beruflichen Geschlechtstypik beim Eintritt in die Erwerbstätigkeit und/oder beim Wechsel einer beruflichen Tätigkeit oder Arbeitsstelle (Makarova & Teuscher, 2018). Vor dem Hintergrund der Annahme, dass eine erfolgreiche berufliche Laufbahn durch die persönliche Zufriedenheit mit der Berufswahl und der wahrgenommenen Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit gekennzeichnet ist (Hirschi, 2013), setzt sich der vorliegende Beitrag mit der Bedeutung der Berufswahlmotive und berufsbezogenen Zufriedenheit während der Laufbahn junger Frauen und Männer in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik auseinander.

      2 Berufswahlmotive

      In Anlehnung an die Motivationspsychologie und bezogen auf die Berufs- und Studienwahlmotive unterscheiden einige Studien zwischen intrinsischen und extrinsischen Motiven für die Wahl des Berufs beziehungsweise des Studiums. Intrinsische Motive fokussieren im Sinne der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 1993) das Erfüllen von Kompetenz, Autonomie und Zugehörigkeitsbedürfnissen. Motive sind intrinsisch, wenn sie sich auf das eigene Selbst beziehen. Motive sind hingegen extrinsisch, wenn sie Gründe außerhalb des eigenen Selbst ansprechen. Dabei gehören Aspekte wie das Interesse, die Neigung und Begabung sowie die persönliche Entfaltung und Selbstverwirklichung zu den intrinsischen Motiven und Aspekte wie das Einkommen, der Status, die Möglichkeiten der Weiterbildung sowie Aufstiegs- und Arbeitsmarktchancen zu den extrinsischen Motiven (Bundesamt für Statistik [BFS], 2009; Briedis, Egorova, Heublein, Lörz, Middendorff, Quast & Spangenberg, 2008; Heine, Willich, Schneider & Sommer, 2008; Neuenschwander, Gerber, Frank & Rottermann, 2012). Frauen scheinen sich stärker bei der Berufswahl an intrinsischen Motiven zu orientieren, Männer eher an extrinsischen Motiven (BFS, 2009; Heine et al., 2008). Der Forschungsstand ist im Hinblick auf die geschlechtsbezogenen Unterschiede in den Berufswahlmotiven jedoch nicht einheitlich. Laut einer Schweizer Studie, die Sozialisationsbedingungen für Jugendliche in Schule und Familie untersuchte (FASE-B, Neuenschwander et al., 2012), stellt die Entwicklung der beruflichen Laufbahn das wichtigste Berufsziel für Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger dar. Sie sind erfolgs- und leistungsmotiviert, setzen auf zukünftige Weiterbildungen und geben sich nicht damit zufrieden, eine Stelle mit angenehmer Arbeitsumgebung zu haben. Weiter wurde festgestellt, dass sich Frauen und Männer hinsichtlich der beruflichen Ziele nicht signifikant voneinander unterscheiden und sich Lehrabgängerinnen nicht weniger am Karriereerfolg orientieren als Lehrabgänger (Neuenschwander et al., 2012).

      Schließlich zeigt eine qualitative Studie (Kayser, Steinritz & Ziegler, 2012), welche auf die Berufswahltheorie von Gottfredson (2002) Bezug nimmt, aus welchen Gründen Jugendliche Berufe abwählen. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass Jugendliche Anstrengung und Aufwand primär als Gründe, einen Beruf abzuwählen, betrachten. Relevant sind diesbezüglich ein zu hoher Bildungsaufwand, psychische Belastung durch zu große Verantwortung, negative Erfahrungen sowie fehlende Qualifikationsvoraussetzungen. Schließlich zeigt die Studie, dass geschlechtsuntypische berufliche Kontexte mit einer höheren Anstrengung assoziiert wurden: Jungen sehen zu große Anstrengung und Aufwand in sozial-erzieherischen Aufgaben, Mädchen hingegen schätzen physisch-handwerkliche Tätigkeiten als zu anstrengend ein (Steinritz, Kayser & Ziegler, 2012).

      3 Berufsbezogene Zufriedenheit

      Während der Berufsausbildung resultieren die Ausbildungs- und Arbeitszufriedenheit aus den Erwartungen an eine Ausbildung beziehungsweise den Arbeitsplatz und deren Erfüllung (Otte, 2007). Deshalb muss die Zufriedenheit mit der gewählten beruflichen Ausbildung von der allgemeinen, bereichsunspezifischen Zufriedenheit abgegrenzt werden (Neuenschwander et al., 2012). Eder (1986) postulierte, dass Jugendliche dann zufrieden sind, wenn das berufliche Umfeld mit ihren Motiven und Ansprüchen im Sinne eines Ist-Soll-Vergleichs übereinstimmt. Er unterschied überdies zwei Aspekte der Zufriedenheit: den Personenaspekt sowie den gegenstandsbezogenen Aspekt (die subjektive Bewertung des Berufs).

      Forschungsbefunde zeigen, dass Jugendliche in der Schweiz zufrieden bis sehr zufrieden mit der getroffenen Berufswahl sind (Müller, 2009; Neuenschwander et al., 2012; Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung [SKBF], 2018). Es zeigt sich zugleich, dass die Lernenden eine höhere Zufriedenheit mit dem Betrieb als mit der schulischen Ausbildung in der Berufsbildung berichten. Zudem sind Frauen in der beruflichen Grundbildung zufriedener mit dem Arbeitsklima und der getroffenen Berufswahl als Männer. Männer hingegen weisen eine positivere Zukunftseinschätzung auf als Frauen (Müller, 2009). Dennoch zeigt eine Schweizer Studie, dass junge Frauen in der Ausbildung zu einem geschlechtsuntypischen Beruf sowohl in ihrem Lehrbetrieb als auch in der Berufsschule oftmals mit Vorurteilen und Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts konfrontiert werden. Dabei fungierte der Lehrbetrieb rund viermal häufiger als Ort geschlechtsbezogener Diskriminierung im Vergleich zur Berufsschule. Insgesamt zeigt die Studie, dass diskriminierende Erfahrungen mit einer hohen Belastung für die Betroffenen und einer geringen Zufriedenheit mit der beruflichen Ausbildung einhergehen (Aeschlimann, Makarova & Herzog, 2016; Makarova, Aeschlimann & Herzog, 2016a).

      Bezüglich des Übergangs von der beruflichen Grundbildung in den Arbeitsmarkt bestehen in der Schweiz heterogene Befunde. Kälin, Semmer,