Detlev Vogel

Achtsamkeit in Schule und Bildung (E-Book)


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target="_blank" rel="nofollow" href="#fb3_img_img_2a77c24f-bf7e-5620-9ff1-d59c97eeba78.jpg" alt="images"/>Zunahme von Wohlbefinden und persönliche Entwicklung (Lau & Hue, 2011)

      Diese Daten werden in Schüleraussagen, hier eine Oberstufenschülerin aus der Achtsamkeits-AG des Friedrich-Ebert-Gymnasiums in Berlin, so formuliert: «Was mir direkt dazu einfällt, dass Achtsamkeit die Lebensqualität für mich in vielen Hinsichten ungemein steigert. Weil du dir selbst einfach so viel bewusster wirst, sowohl über die guten Dinge als auch über die schlechten. Aber mit den Schlechten lernst du dann besser umzugehen und die Guten mehr zu gewichten. Das hilft mir, in die Mitte zu kommen und den Fokus zu finden, mich mehr auf die positiven Dinge zu konzentrieren und dabei das Schlechte zu sehen und auch nicht zu verdrängen. Das gibt mir so viel an – wie gesagt – Lebensqualität und das ist ein sehr starkes Wort für mich. Aber ich meine das auch so, das verbessert wirklich viel.» (in Krämer, 2019, S. 36)

      Aufbau sozialer Kompetenzen:

      

verbessert soziale Kompetenz (Saltzman & Goldin, 2008)

      

interkulturelle Kompetenzen und Bewusstheit für selbst und andere steigen (Wall, 2005)

      

eigene Emotionen können erlebt, ausdrückt und ertragen werden (Biegel et al., 2009, Semple et al., 2010)

      

weniger Aggressivität (Singh et al., 2007) und grössere Impulskontrolle (Van Der Weijer-Bergsma et al., 2012, Van Der Oord et al., 2012)

      Die Veränderung der Emotionsregulation wird von den Schülerinnen und Schülern sehr bewusst wahrgenommen. Ein weiterer Schüler der Achtsamkeits-AG (Friedrich-Ebert-Gymnasium, Berlin) berichtet: «Es hat ganz viel mit der Atmosphäre in der Klasse gemacht. Selbst wenn sich nicht alle darauf einlassen und lachen und alles kaputt machen. Aber wenn man selbst dabeibleibt, habe ich immer wieder gemerkt, dass es einem hilft, auch damit umzugehen. Also auch wenn nicht die ganze Klasse dann ruhiger war, war ich für mich ruhiger und konnte so viel gelassener, klarer und konzentrierter am Unterricht teilnehmen» (in Krämer, 2019, S. 193).

      Verbesserung kognitiver Fähigkeiten:

      Ein für den schulischen Kontext entscheidender Faktor stellt die Verbesserung der Aufmerksamkeit dar. Die Stärkung der Aufmerksamkeit durch veränderte Hirnstrukturen, welche bei Erwachsenen nachgewiesen ist (Hölzel et al., 2007), konnte bei Kinder und Jugendlichen bestätigt werden. Starke Prädikatoren für den Schulerfolg sind insbesondere die selektive Aufmerksamkeit, einhergehend mit einer Zunahme der Kreativität, der kognitiven Flexibilität und der Merkfähigkeit im Hinblick auf den Unterrichtsstoff (Napoli et al., 2005), die Stärkung des Arbeitsgedächnisses und der Konzentration, des logischen Denkens, von geistiger Flexibilität und Problemlösefähigkeit sowie Verbesserung der Planung und Durchführung kognitiver Prozesse (Flook et al., 2010).

      Interessant ist, dass die wiederholte Lenkung der Aufmerksamkeit während der Meditation die entsprechenden Hirnareale vergleichbar einem Muskel trainiert. Der anteriore cinguläre Cortex (ACC), der für die exekutive Aufmerksamkeit zuständig ist, wird durch Meditation in Funktion und Struktur gestärkt, es wird sowohl die weisse Substanz verändert als auch eine «zunehmende Konnektivität mit anderen Regionen» festgestellt (Tang & Posner, 2012).

      Und so werden die Vermutungen vergangener Jahrhunderte zu neuronalen Fakten. «Es ist der Geist, der sich den Körper baut», schrieb Friedrich Schiller einst im «Wallenstein». Zug um Zug erkennt die Neurowissenschaft, wie richtig der Dichter − und examinierte Arzt − damit lag: «Die Seele kann den Leib verändern» (Blech, 2013).

      Nach all diesen Studien nun die Aussage einer Studentin, die aus ihrem Erleben heraus Wirkungen schildert und davon inspiriert einen Appell an das gesamte Bildungswesen richtet:

      «Ich persönlich habe während des Seminars Achtsamkeit kennengelernt als einen Weg, zu sich selbst zurückzukehren, einen Schritt zurückzutreten aus der beschleunigten, komplexen Alltagswelt und das Wesentliche wieder im Blick zu haben. (…) Während meiner gesamten Schullaufbahn kam das Thema ‹Achtsamkeit› nie zur Sprache und auch der Umgang mit eigenen Gefühlen und Gedanken wurde sehr selten thematisiert. Letztendlich wusste ich (…) nicht, was ich gegen Ängste und Stress tun könnte, und habe mich diesen Empfindungen gegenüber ebenfalls eher ausgeliefert gefühlt. Das Seminar hat mich dazu gebracht, viele Prozesse (z. B. eigene Bewertungssysteme) genauer zu untersuchen und mir Praktiken anzueignen, die mich vielleicht ein Leben lang begleiten können.

      Besonders für Schüler und Schülerinnen im heutigen, stark selektierenden Schulsystem halte ich es für enorm wichtig, mit Stress und den eigenen Ängsten umgehen zu können. Meiner Meinung nach sollte das Thema unbedingt schon früher und am besten an alle Menschen herangetragen werden, unter anderem zur Vorbeugung von psychischen Erkrankungen und zur Stärkung des Selbstkonzepts und vor allem der Selbstwirksamkeitsüberzeugung, die ich für eine der wichtigsten Ressourcen, zunächst für die Motivation und für das Lernen allgemein, halte. Somit sollte es meiner Meinung nach als Aufgabe jeder Schule betrachtet werden, alle Schüler, wenn nicht alle Beteiligten am Bildungsprozess, auf dem Gebiet der Achtsamkeit auszubilden.»

      Das grosse Interesse und der Zustrom zu der ersten nationalen Tagung «Achtsamkeit in Schule» in Luzern machen deutlich, dass viele Lehrerinnen und Lehrer ein Umdenken im Bildungssystem für wichtig erachten, damit durch mehr Musse, Gelassenheit und fokussierte Aufmerksamkeit Schule ein Ort des Wohlbefindens wird, in dem Leben und Lernen sich nicht ausschliessen, sondern verbinden.

      Achtsamkeit kann einen Beitrag dazu leisten.

      «Achtsamkeit ist also ein ganz einfacher Weg, der heute so viel praktizierten, weit verbreiteten Ellenbogengesellschaft entgegenzutreten und dazu einzuladen, zu ermutigen und vorzuleben, wie viel schöner und glücklicher ein Leben ist, in dem man sich gegenseitig Beachtung und Zuneigung schenkt» (Student, Portfolio in Krämer 2019, S. 135).

      Literatur

      Althammer, M. (2016). Lehrerkurs, Modul «Motivation und Achtsamkeitspraxis». Einzusehen unter http://achtsame.schule/course/achtsame-lehrer-2 (letzter Aufruf am 2.11.2018).

      Altner, N., Erlinghagen, M. Körber, D., Cramer, H., Dobos, G. (2018). Achtsamkeit in den Grundschulen einer ganzen Stadt fördern – ein NRW-Landesmodellprojekt. Wiesbaden: Springer Fachmedien doi.org/10.1007/s11612-018-0417-7 (The final publication is available at link.springer.com).

      Bauer, J., Unterbrink, T., Zimmermann, L. (2007). Gesundheitsprophylaxe für Lehrkräfte – Manual für Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell. Dresden: Selbstverlag der Technischen Universität Dresden.

      Bauer, J. (2010). Die Bedeutung der Beziehung für schulisches Lehren und Lernen. Eine neurobiologisch fundierte Perspektive. Weinheim: Pädagogik 62 (2010) 7/8.

      Bechthold-Hengelhaupt, T. (1990). Bildung als Erkenntnis des Unaussprechbaren. Über Sprache und Wahrheit bei Meister Eckhart, In: Zeitschrift für wissenschaftliche Pädagogik 66 (4.1990), S. 478−497.

      Biegel, G. M., Brown, K. W., Shapiro, S. L., & Schubert, C. (2009). Mindfulness-Based Stress Reduction for the Treatment of Adolescent Psychiatric Outpatients: A Randomized Clinical Trial. Journal of Clinical and Consulting Psychology, 77, 855–866. doi: 10.1037/a0016241.

      Blech, J. (2013). Heilen mit dem Geist, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-95169259.html, Der Spiegel 21/2013, (Zugriff: 16.11.2015).

      Bootzin, R., & Stevens, S. (2005). Adolescents, Substance Abuse, and the Treatment of Insomnia and Daytime Sleepiness. Clinical Psychology Review, 25(5), 629–644. Doi:10.1016/j.cpr. 2005.04.007.

      Chang, M. (2013). Toward a Theoretical Model to Understand Teacher Emotions and Teacher Burnout in the Context