ist gefordert, eine Auswahl von Informationskanälen zu treffen. Neu ist das für uns nicht: die Unzahl an Fernsehprogrammen zwingt uns schon lange, uns auf einige wenige Sender einzuschränken, wenn wir uns nicht im Studium der Programmzeitschriften verlieren wollen. Neu ist aber, dass sich die Bedeutung einzelner Kanäle für uns rasch ändern kann. So müssen wir laufend entscheiden, welche Kanäle wir nicht weiter verfolgen wollen und welche neu dazukommen sollen. Jean Paul Sartre hat uns vor mehreren Jahrzehnten die Freiheit bereits als Phänomen geschildert, das uns dazu verdamme, ständig eine Wahl treffen zu müssen. Wer diesen Gedanken im letzten Jahrhundert noch als skurril empfand, wird heute und in Zukunft immer wieder erfahren, wie groß diese Verdammnis sein kann.
Beim Thema «Information und Wissen» geht es um die Kompetenzen, den Bedarf an Informationen zu erkennen, diese zu finden, zu beurteilen, zu speichern, zielgerecht zu verarbeiten, neu aufzubereiten und zugänglich zu machen. Für eine tiefer gehende Recherche reicht es nicht mehr, die nächstgelegene Bibliothek aufzusuchen und sich dort allenfalls noch von einer kompetenten Bibliothekarin beraten zu lassen. Die Suche muss auf verschiedenen Plattformen (institutionelle Angebote, Wikipedia, YouTube, soziale Netzwerke) erfolgen. Übersetzungsprogramme erschließen die Inhalte von fremdsprachigen Dokumenten. Das ist hilfreich, denn kompetentes Recherchieren erfordert oft Suchanfragen in mehreren Sprachen. Ausgeklügelte Informationsdienste wie etwa die Suchmaschine Google unterstützen beim Rechercheprozess. Diese Dienste nutzen aber in erster Linie statistische Verfahren, zum Beispiel die Häufigkeit des Vorkommens eines Suchbegriffs in einem Dokument oder die Popularität einer Website, um bei einer Suche möglichst relevante Treffer anzubieten. Eine wirkliche Interaktion zwischen Benutzer und Suchdienst erfolgt nur in geringem Maß. Die Gefahr ist groß, bei einer Suche wichtige Dokumente zu übersehen. Deshalb ist es wichtig, möglichst zielsichere Suchanfragen zu stellen und diese aufgrund der erhaltenen Resultate anzupassen oder präziser zu formulieren.
Gerade beim Formulieren von Suchanfragen zeigt sich: Je mehr Wissen man in einem Themenbereich besitzt, desto besser kann man die gesuchten Inhalte erahnen und gezielt spezifische Suchbegriffe verwenden. Die Aussage «Heute muss man nichts mehr wissen, man findet alles im Internet» kann nur jemand machen, der sich bei einer Suche mit ein paar zufälligen, oberflächlichen Fakten zufrieden gibt. Wissen unterstützt uns auch bei der Beurteilung von Informationen auf ihre Relevanz und ihren Wahrheitsgehalt hin. Ein Mediziner wird bei der riesigen Anzahl Treffer zur Suchanfrage «Prävention von Altersdiabetes» schnell die wissenschaftlich fundierten Informationen von den unzähligen von medizinischen Laien verfassten Dokumenten trennen können.
Was heißt das für die Schule?
Für die Schule ist die Förderung der Informationskompetenz keine neue Aufgabe. Die Palette von Werkzeugen bei der Beschaffung und Verarbeitung von Informationen ist aber deutlich umfangreicher als früher. Die Schule hat die Aufgabe, die Funktionsweise und Eignung dieser Werkzeuge aufzuzeigen und gleichzeitig deren Nutzung einzufordern. Setzt sich ein Schüler beispielsweise mit den Ursachen des Bienensterbens auseinander und stützt er sich dabei nur auf die Wikipedia und ein Fachbuch aus der Mediothek der Schule, hat er die Aufgabe unzureichend gelöst. Gibt es aktuelle TV-Beiträge? Existieren Expertengruppen in den sozialen Netzwerken? Gibt es Beiträge der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) oder von Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel Greenpeace oder WWF?
Die Reduktion komplexer Sachverhalte mit dem Ziel, diese überschaubar und verständlich zu machen, ist eine weitere zentrale Aufgabe der Schule. Die Lehrpersonen wählen Unterrichtsinhalte gezielt aus, vereinfachen komplexe Zusammenhänge und stellen Analogien her. Die Konzentration auf das Wesentliche gehört zum Handwerk des Lehrberufes. Wichtig ist es, diese Methoden auch den Lernenden gegenüber transparent zu machen und sie anzuleiten, auf ähnliche Weise mit Inhalten umzugehen.
Das Prinzip der Verwesentlichung gilt aber auch beim Speichern und Verwalten von Unterrichtsmaterialien. Billiger Speicherplatz verleitet dazu, Unmengen von Material zu sammeln und auf Lernplattformen zu horten und den «information overload» derart zu verstärken, dass das Erschließen der wesentlichen Inhalte für die Lernenden unnötig erschwert wird. Nicht nur das Sammeln, sondern auch das Löschen von Material gehört zu einer konsequenten Datenverwaltung.
Wie macht die Schule das?
Die bekannten Methoden zur Informationsbeschaffung, zur Evaluation von Informationen und zur Reduktion der Informationsfülle können auf die neuen Informationsangebote übertragen werden. Bei der Beschaffung von Informationen ist es empfehlenswert, gemeinsam mit den Lernenden verschiedene Informationsdienste zu analysieren und je nach Anwendungszweck auf ihre Eignung hin zu beurteilen. Für welche Informationsbedürfnisse eignet sich ein Suchdienst wie Google? Wann nutzt man die Wikipedia? Wo liegen die Vor- und Nachteile von Social-Media-Diensten wie etwa Twitter? Das gleichzeitige Nutzen verschiedener Informationsdienste und der Vergleich der gefundenen Informationen helfen, die unterschiedlichen Informationsdienste so klassifizieren zu können, dass eine Routine im Umgang mit ihnen entsteht.
Für die Reduktion auf das Wesentliche kann man sich der Methode der drei «Siebe der Reduktion» von Martin Lehner bedienen, die eigentlich für Lehrpersonen konzipiert wurde, aber ebenso gut von den Schülerinnen und Schülern selbst angewendet werden kann. Ein Beispiel: In einem ersten Schritt erhalten die Lernenden den Auftrag, einem kanadischen Kollegen in zwanzig Minuten die Institutionen der EU zu erklären. In einem zweiten Schritt haben sie für die gleiche Aufgabe nur zehn Minuten Zeit. Schließlich bleibt ihnen in einem dritten Schritt noch eine Minute.
Verwesentlichen hat auch eine gestalterische Komponente. Lehner schlägt hierfür die «Blumenstraußtechnik» vor. Man bringe einer geliebten Person nicht eine Blumenwiese, wenn man ihr eine Freude machen will. Man wähle vielmehr einzelne Blumen aus und bilde einen Strauß, der ein Abbild der Blumenwiese darstellt. Zur Reduktion gehört auch die Selektion. Wenn wir alle Treffer bei unseren Recherchen zu einem bestimmten Thema als Blumenwiese bezeichnen, kommt es darauf an, einzelne Treffer als Blumen auszuwählen. Der Strauß stellt schließlich das Resultat unserer Recherche dar.
Ein weiteres Bild geht auf den Physiker und Pädagogen Martin Wagenschein zurück. Er spricht von Grundlandschaften und exemplarischen Tiefenbohrungen. Wenn wir in der Art eines Brainstormings möglichst viele Begriffe zu einem Thema zusammentragen, erhalten wir eine sogenannte Grundlandschaft. Jetzt wählen wir einige wichtige Begriffe aus, an denen wir Tiefenbohrungen vornehmen. Die Einsichten aus den einzelnen Tiefenbohrungen ermöglichen uns Verbindungen und Strukturen, die zu einem besseren Verständnis der Grundlandschaft führen, ohne dass wir diese in allen Details erforschen müssen.
Welche Strategien und Methoden man nutzt, um das Wesentliche eines Themas einzugrenzen, spielt unserer Ansicht nach eine untergeordnete Rolle. Entscheidender ist es, dass man den Lernenden immer wieder von Neuem bewusst macht, dass Reduktion in unserem Leben eine wichtige Rolle spielt, dass Analogien die Beschreibung von Sachverhalten vereinfachen und dass eine reine Ansammlung von Fakten noch kein Wissen darstellt.
Wir schlagen vor, verschiedene Methoden zur Informationsbeschaffung und zur Evaluation von Informationen zu klassifizieren. Dieses Vorgehen ist auch deshalb ratsam, um jene Fallen aufzuspüren, die unsere Freiheiten und unsere Persönlichkeitsrechte zur Disposition stellen. Im Unterricht soll diskutiert werden, wer oder was unsere Freiheit bedroht, was unsere Persönlichkeit und unsere Privatsphäre ausmacht, was wir einzutauschen bereit sind und welche Folgen es haben kann, auf die Privatsphäre zu verzichten. Es darf unserer Meinung nach nicht sein, dass Generationen für unsere individuellen Freiheitsrechte gekämpft haben und wir diese Rechte in ihrem Gehalt nicht mehr schützen können oder gar wollen, nur weil wir als Gegenleistung online mit Informationen, Dienstleistungen oder Konsumgütern versorgt werden.
Was muss ich wissen und können?
Früher war es eine Selbstverständlichkeit, dass Lehrpersonen wussten, wie man den Zettelkatalog einer Bibliothek nutzt. Es wurde auch erwartet, dass die Schule die Lernenden in die Nutzung von Bibliotheken und Nachschlagewerken einführt.