ich lebe jetzt wirklich von der Kunst, oder besser gesagt von meiner künstlerischen Tätigkeit.“ Das war zur Mitte der Achtzigerjahre.
Dass ich diese Leidenschaft zu meinem Beruf machen konnte, war eben Glück, denn in dieser Situation sind sehr wenige Menschen. Ich glaube sogar, dass für viele durch ihren Arbeitsplatz mehr Leid als Freude entsteht.
Es ist doch wirklich eine unglaubliche Gnade, etwas zu tun, das man sehr gerne tut und worüber man sagt: „Ich will genau das, ich möchte nichts anderes, mir ist es aber völlig egal, wie viel Geld ich damit verdiene. Ich möchte gerade so viel haben, um durchzukommen und überleben zu können.“ Das hätte schon genügt und darin besteht ja im Grunde bereits das gute Leben. Als aber dann ganz plötzlich wirklich irrsinnig viel Geld in meine Kasse floss, weil sich immer mehr Menschen für das, was ich tat, zu interessieren begannen, war mein gutes Leben nicht mehr nur, das zu tun, was ich gerne tat, sondern noch dazu, mir alles kaufen zu können, was ich wollte. Ich fing an, mehr zu kaufen, als ich brauchte, und sogar mehr, als man wollen kann, aus dem einfachen Grund, dass ich die finanziellen Mittel dazu hatte. Irgendwann standen 30 Autos bei mir zu Hause – das geht weit übers Wollen hinaus. Vom Brauchen ganz zu schweigen.
Schon bald bemerkte ich, dass ich, nachdem ich mir irgendein neues Auto gekauft hatte – eine Corvette oder eine Dodge Viper, einen sogenannten „Traumsportwagen“ – letztlich nicht mehr Freude daran hatte als viele Jahre davor, als ich mir ein Paar Turnschuhe gekauft hatte. Das war eigentlich genau das gleiche Glückserlebnis, aber der Überfluss war ein Teil meines Lebens geworden und entsprach dem, was ich damals als gutes Leben empfand. Ich konnte alles haben, was ich wollte.
Irgendwann fing der Überfluss an, mir zu wenig zu sein. Interessanterweise deshalb, weil ich bemerkt hatte, dass ich mich eigentlich sehr mit äußerlichen Dingen beschäftigte, die keine echte Befriedigung darstellten. Ich konnte all das Materielle gar nicht benutzen, weil ich keine Zeit dafür hatte. Ich war ausgelastet durch meine künstlerische Arbeit, die vielen Auftritte – bis zu sechs mal pro Woche – durch das Drehen von Filmen, aber auch durch das Kaufen von Dingen, die ich nicht nutzen konnte, weil mir ja wie gesagt die Zeit dazu fehlte.
Ich begab mich dann erneut auf die Suche. Es war nicht so, dass ich mir dachte „ab jetzt ändere ich mein Leben“, sondern ich stellte mir die Frage, ob meine Vorstellungen vom guten Leben nicht vielleicht Irrtümer gewesen waren – ob es da nicht mehr gab. Inzwischen hat sich für mich herausgestellt, dass weniger mehr ist. Meine Sichtweise eines guten Lebens hat sich bis in die Gegenwart sehr verändert und sie wandelt sich noch immer. Wenn man mir heute, am 5. Juli 2013, die Frage stellt, wie man ein gutes Leben führt, antworte ich:
Ein gutes Leben hat man dann, wenn man an das Leben selbst wenige Ansprüche stellt – oder besser gesagt, nicht ans Leben, sondern an die eigene Lebensgeschichte. Ist es nicht schon ein Denkfehler, zu glauben, dass man ein Leben hat? Ist es nicht vielmehr so, dass wir ein Leben sind? Wenn man also mit wenig sehr gut auskommt, mit wenig zufrieden sein kann, seine Lebensgeschichte nicht über das Haben sondern über das Sein definiert, und daher auch wenig Ungeliebtes tun muss, um eine schöne Lebensgeschichte zu schreiben, dann ist es ein gutes Leben.
Für meine eigene Vergangenheit stimmt diese Definition nicht ganz, da ich ja für den materiellen Überfluss und die Anerkennung nicht viel Ungeliebtes tun musste, außer Zeit zu investieren. Die Leistung selbst, das Schauspielen, ist mir gewissermaßen in den Schoß gefallen. Es liegt mir ganz einfach und es fiel mir immer sehr, sehr leicht. Ich sagte niemals: „Jetzt muss ich mich da reinhängen, das muss noch besser werden. Ich muss und muss und muss …“ Ich tat es einfach, weil ich es konnte. Erst vor ein paar Jahren fing ich an, über Reduktion nachzudenken: „Okay, ich spiele nicht mehr sechsmal pro Woche Theater, sondern nur mehr dreimal. Ich spiele im Sommer gar nicht mehr und drehe in den Sommermonaten keine Filme. Ich verbringe mehr Zeit für mich und mit meiner Familie.“ Bereits das war eine bedeutende Reduktion, da somit von meinen finanziellen Einnahmen ein großer Teil wegfiel. Ich musste zwangsläufig auch das Materielle reduzieren, das wiederum nichts anderes als Luxus war. Wenn man auf Luxus verzichtet, fällt ja nichts weg, was wirklich Einfluss auf das gute Leben hat.
Nachdem mein Weg der Reduktion ein freiwillig gewählter ist, kann man ihn auch gerne als ein Experiment bezeichnen, das ich an mir selbst durchführe.
Das Leben als Experiment
Durch die Unabhängigkeit, die mein Beruf mit sich bringt, habe ich nun das Privileg, mir Zeit nehmen zu können. Ich kann es mir also leisten, Zeit zu investieren, um mit dem Leben an sich zu experimentieren. Und ich habe in meinem Leben tatsächlich schon einige Experimente durchgeführt. Jetzt, während dieses Gesprächs, sitzen wir zum Beispiel in meinem Garten, den ich vor fünf Jahren angelegt habe und der davor einfach eine grüne Wiese war. Ich pachtete diese Fläche von einem lieben Nachbarn, um mir mein eigenes Gemüse anzubauen. Auch das war eine Art Experiment. Ich wollte wissen, wie sich das Leben mit einem Garten und in einem Garten anfühlt.
Warum ich ständig auf der Suche nach solchen Experimenten bin, ist relativ einfach erklärt: Es ist ein beachtlicher Teil meines Berufs, zu experimentieren und Erfahrungen zu machen. Auch außerkörperliche! (lacht)
Wenn man Schauspieler ist, schlüpft man in die Rollen anderer Personen. Dazu muss man Menschen sehr genau beobachten, ihr Verhalten studieren. Man muss aber auch sich selbst beobachten können, seine eigenen Verhaltensmuster erkennen. Erst dann kann man sich selbst ablegen, um in eine Rolle zu schlüpfen.
Ich muss weg sein, damit jemand anderes da sein kann – darin liegt das wirklich Spannende an dem Beruf des Schauspielers.
Was mich schon immer fasziniert hat, ist, dass man in einer Rolle plötzlich Dinge tun kann, die man üblicherweise nicht tun, ja sogar strikt ablehnen würde. Um aber nicht nur eine Maske zu kreieren oder eine flache Karikatur einer Figur darzustellen, sondern stattdessen wirklich in dieses gespielte Wesen hineinzuschlüpfen – oder besser gesagt: dieses Wesen in sich hineinzulassen –, muss man selbst ein Stück zurücktreten.
Ein guter Schauspieler beobachtet andere nicht nur und äfft sie nach, kopiert sie, karikiert sie, sondern versteht, weshalb er in seiner Rolle dieses und jenes tut. Wenn man erkennt, warum eine Figur das tut, was sie tut, wenn man also begreift, was sie antreibt, dann hat man irgendwann die Fähigkeit, dieses Wesen förmlich in sich hineinzulassen.
Ich denke zum Beispiel an meine Rolle als Herr Breitfuß. Dieser war eine Figur, die ich in der TV-Serie „MA 2412“ und im gleichnamigen Kinofilm spielte.
Roland Düringer als Engelbert Breitfuß in der satirischen Sitcom „MA 2412“, die in den Jahren 1998 bis 2002 im Auftrag des Österreichischen Rundfunks produziert und ausgestrahlt wurde.
Die Figur des Herrn Breitfuß war sehr, sehr weit von dem entfernt, was ich selbst bin. Um den Charakter authentisch spielen zu können, musste ich diesen fiktiven Menschen dennoch verstehen und genau wissen, weshalb er sich so oder so verhielt und wie er innerlich funktionierte. Seit ich das weiß, kann ich in jeder Lebenssituation Herr Breitfuß sein. Ich muss nur den Schlüssel finden und umdrehen. Herr Breitfuß ist allerdings keine real existierende Person, die ich irgendwann im Leben traf, dieser Charakter entstand aus einer Sammlung vieler Beobachtungen an unterschiedlichen Menschen. Hat man den Schlüssel zur Figur gefunden, muss man sie ausprobieren, am besten im Alltag. Dann gehe ich einkaufen wie Herr Breitfuß. Ich kaufe Dinge, die ich selbst nicht kaufen würde. Was isst Herr Breitfuß? Was schmeckt ihm? Welche Zeitung liest er? Welche Autos sieht er sich auf der Straße an? Worauf legt er seinen Fokus, wenn er die Straße entlanggeht? Ihm fallen bestimmt andere Dinge auf als mir. Wenn ich über die Straße gehe und dort steht irgendwo ein Motorrad, dann sehe ich mir dieses Motorrad an. Er geht wahrscheinlich an dem Motorrad vorbei, weil es für ihn gar nicht wahrnehmbar ist.
Das Entwickeln einer Rolle ist also ein Experiment, das man innerhalb des eigenen Lebens durchführt. Man verändert sich ganz bewusst und geht eine Zeit lang als dieses Wesen durch die Welt. Man kann es jederzeit ab- und dann wieder einschalten. Abschalten, einschalten. Das ist mein Beruf. Ich experimentiere