Erik Haberzeth

Digitalisierung und Lernen (E-Book)


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(Decision Support Systems) und so weiter.

      Vor dem hier diskutierten Hintergrund wäre es jedoch notwendig, im Rahmen der formellen Weiterbildung auch Grenzen der Digitalisierung zu thematisieren und die damit verbundenen Anforderungen an Arbeit sichtbar zu machen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die genannten Grenzen der Digitalisierung vielfach erst beim praktischen Einsatz der jeweiligen technischen Systeme sichtbar werden. Zu unterscheiden ist daher zwischen explizit definierten Anforderungen an menschliche Arbeit, wie z. B. die Auswahl von Programmen, das Controlling von festgelegten Prozessen, das Anfahren komplexer technischer Anlagen und deren Überwachung, und den eher implizit im praktischen Einsatz auftretenden Anforderungen, wie bspw. das Erkennen der Entstehung von Fehlern und Gefahrenquellen, Abweichen vom Standard, Gegensteuerung bei Unregelmäßigkeiten, bevor hierzu exakte Informationen vorliegen etc.

      Neben der Diskussion der grundlegenden Methodik und Logik der Digitalisierung und ihrer Grenzen wären auch Erfahrungen aus der Praxis einzubeziehen, wobei die jeweiligen Erfahrungen der Teilnehmenden eine wichtige Informationsquelle sein könnten. Schwierigkeiten beim Umgang mit «neuen» Technologien wären dementsprechend nicht vorschnell als individuelle Defizite oder lediglich als Frage der Gewöhnung abzutun. Sie sind vielmehr aufzugreifen und es ist darüber zu diskutieren, in welcher Weise hier Anforderungen an menschliche Arbeit sichtbar werden, die bei der Auslegung der technischen Systeme nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

      Korrespondierend mit der Diskussion über Grenzen der Digitalisierung und verteilte Handlungsträgerschaft wäre ein weiterer notwendiger thematischer Schwerpunkt menschliche Fähigkeiten und Handlungsweisen, so wie sie zuvor mit dem Konzept des subjektivierenden Handelns umrissen wurden. Die bisher vorherrschende einseitige Orientierung am Modell des objektivierenden Handelns und wissenschaftlich begründeten Fachwissens ist entsprechend zu ergänzen. Dabei geht es nicht um eine Ersetzung, sondern um die Erweiterung objektivierenden Handelns und Wissens. Wie zuvor ausgeführt weist das subjektivierende Handeln eine besondere Systematik auf; es beruht bei der Erreichung von Zielen und Lösung von Problemen auf einer besonderen Ausprägung des Vorgehens, der Wahrnehmung, des Denkens und der Beziehung zur Umwelt sowie deren wechselseitigen Zusammenhang. Dabei handelt es sich zwar um grundlegende menschliche Fähigkeiten, sie müssen aber ebenso wie die Fähigkeit zu einem objektivierenden Handeln entwickelt, gefördert und gelernt werden. Im Folgenden sind die grundlegenden Merkmale des subjektivierenden Handelns und seine Unterschiede zum objektivierenden Handeln nochmals systematisch dargestellt.

       Abbildung 1: Objektivierendes und subjektivierendes Handeln; Quelle: Böhle u. a. 2011; Böhle u. a. 2004

      Wie die hierzu vorliegenden Untersuchungen zeigen, erlangt das subjektivierende Handeln in unterschiedlichen Arbeitsprozessen eine jeweils besondere, konkrete Ausprägung und muss ebenso wie das objektivierende Handeln an die Veränderungen von Produkten, Materialien, Verfahren und Technologien angepasst werden. Im Rahmen formeller Weiterbildung ist es jedoch nur begrenzt möglich, diese konkreten Fähigkeiten zu erwerben. Vielmehr ist hierfür ein besonderes erfahrungsgeleitetes Lernen im Arbeitsprozess erforderlich, auf das wir im Folgenden noch näher eingehen. Gleichwohl ist respektive wäre es notwendig, auch im Rahmen formeller Weiterbildung darauf vorzubereiten und das Verständnis für die hier maßgeblichen menschlichen Fähigkeiten zu fördern. Ein erster Schritt dazu ist die Vermittlung vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, so wie sie zuvor umrissen wurden. Ein Beispiel für die Entwicklung von allgemeinen Fähigkeiten zu subjektivierendem Handeln ist die Schulung der Imaginationsfähigkeit auf der Grundlage eigener sinnlicher Erfahrungen. Beim Lesen eines Wortes, wie beispielsweise Bahnhof, soll möglichst konkret eine visuelle Vorstellung über einen bestimmten Bahnhof entstehen bis hin zur Imagination eines Rundgangs oder Einkaufs in Geschäften– «wie in einem Film». Dies kann auch auf die Imagination von Arbeitssituationen, sowohl der eigenen als auch der von Kolleginnen und Kollegen oder Kundinnen und Kunden, angewendet werden. Weitere Hinweise hierzu finden sich etwa im Modell erfahrungsgeleiteten Lernens im Rahmen beruflicher Bildung in der chemischen Industrie (vgl. Bauer et al. 2006) sowie bei Modellen zu erfahrungsgeleitetem Lernen im Rahmen von Innovationsprozessen (vgl. Bauer et al. 2012). Dabei zeigt sich, dass in besonderer Weise künstlerische Lernarrangements für die Entwicklung der Fähigkeiten zu subjektivierendem Handeln geeignet sind und hierfür grundlegende Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen (vgl. Trobisch, Kraft 2018).

      4.2Lernen im Arbeitsprozess

      Grundlegend für den Erwerb der Fähigkeiten für ein subjektivierendes Handeln ist – wie schon erwähnt – ein erfahrungsgeleitetes Lernen, das mit den Merkmalen subjektivierenden Handelns korrespondiert (vgl. Bauer, Munz 2004). Auf das Lernen im Arbeitsprozess bezogen heißt dies vereinfacht ausgedrückt: Das subjektivierende Handeln und dessen jeweils besondere, auf konkrete Arbeitszusammenhänge bezogene Ausprägung wird gelernt, indem man es praktiziert. Auf den ersten Blick erscheint diese Feststellung ebenso banal wie die Aussage: Man lernt Fahrradfahren, indem man Fahrrad fährt. Doch bei genauerer Betrachtung ergeben sich hieraus für die Gestaltung von Weiterbildung (zumindest) zwei Konsequenzen: Zum einen ist subjektivierendes Handeln nicht in gleicher Weise wie objektivierbares Wissen und objektivierendes Handeln lehrbar, es ist aber durchaus lernbar. Zum anderen kann dieses Lernen dadurch gefördert werden, dass das subjektivierende Handeln durch Organisation, Arbeitsumgebungen und -gegenstände und Führung ermöglicht und unterstützt wird. In den Blick gerät damit die lernförderliche Gestaltung von Arbeit.

      Um die Fähigkeit zu subjektivierendem Handeln zu erwerben, müssen Arbeitsprozesse so gestaltet sein, dass Spiel- und Experimentierräume für ein solches Handeln bestehen. Dinge auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen gehört ebenso dazu wie die Akzeptanz und das Vertrauen von Vorgesetzten, dass auch Entscheidungen und Vorgehensweisen, die nicht vollständig rational begründbar und explizierbar sind, «richtig» sind (vgl. Böhle et al. 2014). Was dies in der Praxis bedeutet und in welche Richtung hier weitere Entwicklungen speziell im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu gehen hätten, soll abschließend am Beispiel wissensintensiver Tätigkeiten im technischen Bereich illustriert werden.

      Durch die Digitalisierung verstärkt sich u. a. die Vernetzung der eigenen Tätigkeit mit anderen Bereichen. So besteht bspw. bei Ingenieurinnen und Ingenieuren in der technischen Konstruktion eine direkte und indirekte Kooperation und Korrelation mit vorgelagerten Prozessen, technischen Entwicklungen und übergreifenden Planungen sowie nachgelagerten Bereichen der Realisierung technischer Konstruktionen bis hin zu ihrem praktischen Einsatz und ihrer praktischen Nutzung. Durch die Digitalisierung wird es möglich, zunehmend Informationen aus anderen Bereichen zeitnah zu erhalten und auszutauschen. Zugleich erweisen sich aber in der Praxis unmittelbare Erfahrungen «vor Ort» und direkte persönliche Kontakte als unverzichtbar, um die digitalisierten Informationen vollständig zu verstehen und effektiv nutzen zu können. Ingenieurinnen und Ingenieure benötigen «erfahrungsbasiertes Kontextwissen», also ein «Wissen über vor- und nachgelagerte Arbeitsprozesse und -bedingungen sowie das Wissen über hierfür notwendige Kooperationen» (Sauer, Bolte 2018, S. 10), um Informationen mit konkreten Gegebenheiten und Arbeitsbedingungen «vor Ort» zu unterfüttern und um (damit) einschätzen zu können, an welchen Stellen der Produktionskette beziehungsweise des Produktlebenszyklus Unwägbarkeiten auftreten könnten. Erfahrungsbasiertes Kontextwissen bezieht sich auf die Dimensionen Produkt, Prozess, Kultur und Soziales und ist sowohl hinsichtlich des konkreten Arbeitsgegenstands als auch der Zusammenarbeit über Bereichsgrenzen hinweg erfolgskritisch.

       Abbildung 2: Erfahrungsbasiertes Kontextwissen; Quelle: Sauer/Bolte 2018

      Bei zunehmender digitaler Vernetzung von Arbeit wird dieses erfahrungsbasierte Kontextwissen nicht etwa durch den digitalen Informationsfluss überflüssig, im Gegenteil: Bedeutung und Umfang steigen, da die eigene Arbeit verstärkt in weiterreichende direkte und indirekte Wirkungszusammenhänge eingebunden ist, für die ein Verständnis entwickelt werden muss, um ein sinnvolles Arbeitsergebnis erzeugen zu können. Der Erwerb dieses Wissens erfordert erfahrungsgeleitetes