Max Schrems

Kämpf um deine Daten


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etwas unpraktischen Gegebenheiten, keinen logischen Grund, warum wir uns nicht im Bus, der U-Bahn oder auf dem Gehsteig der Liebe hingeben sollten. Warum tun wir das also nicht? Es ist am Ende wohl Kultur. Logisch begründbar ist es, nüchtern betrachtet, nicht.

      Sexualität ist übrigens ein Beispiel, bei dem wir in den USA mehr Drang zur Privatheit als in Europa sehen. Für körperliche Freuden im Auto oder im Freien haben Sie in den USA interessanterweise eine viel höhere Chance auf eine Strafe als in Europa. Denn bei Sexualität haben wir tendenziell einen weniger verschämten Umgang als unsere Freunde auf der anderen Seite des Atlantiks.

      Ähnliche Unterschiede sieht man auch bei diversen Umfragen. In Deutschland waren beispielsweise laut NTV im April 2014 ganze 79% gegen die Vorratsdatenspeicherung. In den USA waren ein halbes Jahr früher laut einer Umfrage der Washington Post nur 41% gegen ein ähnliches geheimes System der NSA zur Telefonüberwachung. In den USA fand die Mehrheit von 56% die Massenüberwachung akzeptabel und 45% sagten sogar, dass die Regierung auch noch alle E-Mails überwachen sollte.

      Hingegen halten viele meiner Freunde in den USA die Idee eines zentralen Melderegisters für einen Fall von massiver staatlicher Überwachung. Für uns ist das wiederum vollkommen normal. Es gibt also nicht nur einen größeren und kleineren Drang nach Privatsphäre, der Drang ist noch dazu in verschiedenen Bereichen verschieden ausgebildet.

      Aber abgesehen von verschiedenen Kulturen zeigt sich selbst innerhalb eines Kulturkreises eine riesige Bandbreite an Einstellungen. Die einen haben Spaß dabei, befreit am FKK-Strand in die Fluten zu springen, die anderen meiden das Schwimmbad überhaupt, weil sie nicht unter Fremden liegen wollen. Die einen stellen freudig verwackelte Selbstportraits aus ihrem Badezimmer öffentlich ins Netz, die anderen wollen überhaupt nicht fotografiert werden und wollen schon gar nicht, dass Fotos von ihnen irgendwo online zu finden sind.

      Wenn wir also von Privatsphäre sprechen, reden wir eigentlich alle von etwas anderem. Wenn Sie hundert Menschen aus ihrem Umkreis fragen, was für sie privat ist und was nicht, bekommen Sie vermutlich hundert verschiedene Antworten. Besonders unterschiedlich wird es, wenn wir über verschiedene Kulturen hinweg über solche höchst abstrakten und komplizierten Werte wie Privatsphäre sprechen. Je tiefer wir dabei in die Details gehen, umso mehr sehen wir, was uns trennt. Man spricht zwar vom selben Wert, im Detail und im Konflikt mit anderen Werten haben wir aber ganz verschiedene Prioritäten.

      Das sieht man natürlich auch bei anderen Themen. So sind wir uns weltweit einig, dass menschliches Leben geschützt gehört. In vielen Ländern gilt das aber nicht, wenn es um die Bestrafung eines Mörders geht. Hier ist die Strafe oder auch nur die Rache wichtiger als das Leben. Entsprechend gibt es die Todesstrafe oder eben abgehackte Hände bei Dieben. Auf die Frage, ob das richtig oder falsch ist, gibt es am Ende leider keine wissenschaftlich eindeutig richtige Antwort. Ich persönlich bin froh, in einem Land ohne staatliche Giftspritzen und Hackebeile zu leben, aber das liegt vermutlich zum größten Teil daran, dass ich es so gewohnt bin und das meinen Moralvorstellungen entspricht. Genauso können Sie über den Sozialstaat, Schranken für die Wirtschaft, die Rolle der Familie, den Sinn und Unsinn von Religionen oder tausende andere Themen jahrelang diskutieren, ohne die ultimative Wahrheit zu finden.

      Natürlich gehört in der Praxis viel Größe dazu, generell zu akzeptieren, dass verschiedene Menschen, Kulturen und Länder hier, vollkommen berechtigt, verschiedene Ansichten haben. Daher möchte ich auch gleich klarstellen, dass ich nicht glaube, dass meine oder die europäische Sichtweise objektiv korrekt ist, es ist nur eine Sichtweise von vielen. Diese Sichtweise ist aber genauso legitim und ist genauso zu respektieren wie jede andere. In einer demokratischen Struktur bedeutet das vor allem auch, dass es nicht mal unbedingt eine wissenschaftliche Wahrheit für diese Position braucht. Sie legitimiert sich allein über ihre allgemeine Akzeptanz oder die Mehrheitsfähigkeit. Das Ganze gilt natürlich auch für abweichende Meinungen.

      Das Spannende im Internet ist nun aber, dass Gruppen, für die Privatsphäre wichtig ist, im gleichen Raum auf Gruppen treffen, die das überhaupt nicht so sehen und auch nicht unbedingt verstehen können. So gelten im Silicon Valley die Europäer mit ihrem Datenschutz für viele als vollkommen absurde Truppe. Sowas wie ein Grundrecht auf Datenschutz, wie es in der EU vorgesehen ist, kennt man dort schlichtweg nicht. Nur bei wenigen Menschen, die beim Thema Datenschutz besonders kritisch sind, gilt die EU als schillerndes Vorbild. Zu einem großen Teil wird die Idee von Privatsphäre im Netzzeitalter dort aber wie gesagt als verträumt, falsch, überkommen und jedenfalls für die Unternehmen als lästig gesehen.

      Aus irgendwelchen hehren Gründen auf möglichen Profit zu verzichten ist innerhalb des liberalen Wirtschaftsverständnisses nur schwer erklärbar. Das wäre ja wie staatliche Gesundheitsversorgung für alle. Sowas kann ja auch nur den Kommunisten einfallen, würden viele ätzen.

      Neben der Frage der Anerkennung von Privatsphäre an sich, kommt man hier auch zu einem zweiten Phänomen: In Europa gibt es einen viel stärkeren Drang, die armen, kleinen Konsumenten, Arbeitnehmer oder Mieter zu schützen. In den USA gibt es hingegen eine Tendenz, die Übermacht des Stärkeren als gerechten Lohn für dessen Arbeit und Kraft zu sehen. Wer sich nicht durchsetzt, hat eben verloren. Der Wilde Westen lässt grüßen, aber an sich ist diese Grundhaltung ebenso legitim wie das europäische Beschützertum.

      Die Einführung von Datenschutz ist so gesehen auch nur ein logischer Schritt nach dem Arbeitnehmer- oder Konsumentenschutz. Datenschutz ist nichts anderes als der Schutz der Bürger vor den übermächtigen Unternehmen und Staaten, nur eben im digitalen Informationszeitalter. Das Ziel, das damit verfolgt wird, ist, dass der Konsument nicht informationell ausgebeutet werden soll, ebenso wie Kreditnehmer, Mieter oder Arbeitnehmer nicht finanziell oder persönlich ausgebeutet werden sollen.

      Der Schönheitsfehler im europäischen Konzept ist jedoch, dass die USA den weltweiten Markt für IT-Produkte massiv dominieren. Mit wenigen Ausnahmen haben US-Unternehmen die Software unserer Geräte nach ihren Vorstellungen gemacht. Unter dem Schlagwort »Code is Law« (die Software ist das Gesetz) gilt damit auch auf unseren Geräten faktisch die amerikanische Idee von Privatsphäre und Grundrechtsschutz. Die IT-Industrie arbeitet extrem schnell und will, wenn möglich, ein Produkt mit wenig Aufwand in kürzester Zeit auf der ganzen Welt verkaufen. Anpassungen an das Recht von etwas mehr als 190 Staaten der Erde sind da nicht vorgesehen und schon gar nicht erwünscht.

      Die IT-Unternehmen gehen eher mit dem »Friss Vogel oder stirb« Prinzip durch die Welt, und das funktioniert recht gut. Was für andere Branchen unmöglich wäre, ist in der IT-Sparte total normal. Oder könnten Sie sich vorstellen, dass ein europäisches Auto in den USA eine Zulassung bekommen würde, ohne unzähligen US-Standards zu entsprechen? Oder, dass jemand in den USA einfach so Kaffee verkaufen könnte, ohne diesen mit unzähligen Warnhinweisen von »Achtung, heiß!« bis zu »Kaffee kann krebserregend sein!« zu verschönern? Das wäre unmöglich.

      Wenn es sich aber um die Produkte handelt, in denen unsere gesamte Kommunikation, alle unsere Unterlagen, alle unsere Interessen und unser halbes Leben verarbeitet oder oft auch überwacht werden, gelten lokale Gesetze plötzlich nicht. Wenn es nach den Herstellern geht, sollten hier, unter Ausblendung des Rests der Welt, nur die Gesetze und die Kultur eines Teils der Welt gelten. Das Traurige dabei: Wir sehen diesem Geschehen zu und tun nicht mehr, als uns verbal zu empören, um dann erleichtert ein Bier trinken zu gehen.

      5. Information ist Macht

      Aus Ihren Verhandlungen um Ihr Gehalt, Ihren Auftrag oder Ihren Job wissen Sie: Information ist Macht. Wer weiß, wo die roten Linien des Verhandlungspartners, die Interessen, die internen Abmachungen und Zwänge sind, hat schon fast gewonnen. Das Gleiche gilt natürlich auch in der Politik und der Diplomatie. Kein Wunder also, dass die NSA die Telefone ausländischer Regierungschefs und eventuell auch der EU-Behörden abgehört hat.

      Diese Macht lässt sich natürlich noch viel intensiver nutzen. Man kann beinhart erpresst werden, mit Informationen. Letztes Jahr bei der Steuer etwas gedreht? Dem Partner untreu gewesen? Hinter dem Rücken des Partners sich mal so richtig ausgelassen? Oder eher peinliche Vorlieben? Wer Ihre kleinen oder großen Geheimnisse kennt, hat Sie vielleicht in der Hand. Auch hier gilt ganz klar: Information ist Macht.

      Alltäglicher