und hierzu die Aspekte Kernkompetenzen und Passung mit berücksichtigen. Sein Ziel war es, alle Führungskräfte ihren (Kern-)Kompetenzen entsprechend in der neuen Struktur zu positionieren. Angesichts der Tatsache, dass manche altbewährten Fachpersonen, welche Topführungsfunktionen innehatten, ihre hierarchischen Topfunktionen im Laufe des Prozesses verlieren würden, war es dem Prozessleiter besonders wichtig, ein Vorgehen zu gestalten, in welchem transparent entschieden und alle Beteiligten im Veränderungsprozess nach Möglichkeit qualitative Entwicklungen machen können sollten. Zentrale Bedeutung hatte die Würdigung und die optimale Nutzung unterschiedlicher Zugänge und Kompetenzen.
Vorgehen:
• Der Prozessleiter setzte sich im Coaching mit seinen eigenen Neigungen, seinen Stärken und Schwächen auseinander. Damit war die Voraussetzung gegeben, dass er sich in allen folgenden Maßnahmen immer als Teil der Systeme begreifen und auch kritisch seine eigene Rolle mitbedenken konnte.
• Alle 40 Führungskräfte nahmen an einem Workshop teil, in welchem sie sich mit ihren Kernkompetenzen und Leistungsbedingungen auseinander setzten.
• Danach führten alle mit dem Prozessleiter ein erstes Laufbahngespräch, in welchem es um Standortbestimmung und um den Austausch darüber ging, wie der Betroffene seine Zukunft und mögliche Funktionen und der Prozessleiter dessen Potenziale und Herausforderungen sah. Dabei wurden auch lebensphasen-gemäße Entwicklungs- und Gestaltungsinteressen in die Überlegungen mit einbezogen.
• Die Projektgruppe, welche die neue Prozessorganisation entwickelte, wurde primär nach Prozesskompetenz und Innovationsfähigkeit zusammengestellt.
• Gleichzeit wurde dieser Gruppe ein sog. »Weisenrat« zur Seite gestellt, in welchem die erfahrenen, eher fachlich orientierten Führungskräfte versammelt waren. Ein verbindliches Zusammenspiel dieser beiden Gremien hat zu einer wechselseitigen Befruchtung und Würdigung geführt.
Methodische Zugänge: Ein auf der Jung’schen Persönlichkeitstypologie basierendes Instrument, mit welchem individuelle Persönlichkeits- und Verhaltenspräferenzprofile erstellt wurden, diente als einer der Ausgangspunkte, die es erleichterten, Persönlichkeitsunterschiede als Ressourcen erkennen zu können. Diese Profile wurden als »Hypothesengeneratoren« genutzt, um mögliche Dynamiken und Wechselwirkungen in bestimmten Szenarien in szenischer Weise durchspielen zu können.
Eine bestimmte Form der Szenariotechnik spielte eine zentrale Rolle. Es wurden z.B. bestimmte Szenarien im Rahmen einer Funktion angenommen und dann eigentliche Szenenentwicklungen und mögliche Abläufe und Wechselwirkungen simuliert und gefragt, was dieselben für die Beteiligten (mit deren Neigungen) bedeuten könnten. Dies geschah etwa in der Art: Wie würde es sein, wenn Sie sich in der Situation X, Rolle X entwickeln resp. verhalten würden? Welche Arten von Wirklichkeit würden daraus entstehen, und was wiederum könnte dies für die relevanten Partner bedeuten? Was würde dies insbesondere für den Vorgesetzten bedeuten? Welche Führungsaufgabe wäre damit verbunden und wie würde sich der Vorgesetzte darauf beziehen können resp. wollen? In diesem Szenarioprozess entwickelten die Beteiligten ein gemeinsames, aufeinander bezogenes Situationsverständnis und tauschten Meinungen darüber aus, was sinnvolle und weniger sinnvolle Varianten sein könnten.
Eine zentrale Rolle in dem Prozess spielten szenische Feedbacks. So wurden z.B. erst Computer-Profile abgegeben und zum Thema gemacht, nachdem sich die Beteiligten selbst mit den relevanten Dimensionen auseinander gesetzt und sich wechselseitig zugeordnet hatten (Was erlebe ich als Deine Neigungen? In welchen Situationen habe ich sie wie wirken erlebt? Etc.)
Wirkungen: Im Rückblick wird die daraus erwachsene Organisation als sehr aufeinander bezogen erlebt mit der ihr eigenen Fähigkeit, auch ohne beraterische Unterstützung sorgfältige Passungsprozesse zu gestalten. Innerhalb von drei Jahren hat nur eine der 40 Führungskräfte die Organisation aus familiären Gründen verlassen (Umzug). Dadurch, dass in der intensiven Szenarioarbeit sowohl Erfolgs- als auch mögliche Crashszenarien vorweggenommen wurden, sind wesentliche Beziehungsthemen enttabuisiert und ansprechbar geworden. Für den Prozessleiter bedeutete der Neubesetzungsprozess eine enorme persönliche Ausbildung als Führungskraft und Regisseur.
2. Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur
Verantwortung in der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung und – auf organisationaler Ebene, als Verantwortungskultur – spielen in Zeiten gesteigerter Komplexität und Unüberschaubarkeit eine zentrale Rolle. Oft wird »Verantwortung« im Unternehmen ganz einfach vorausgesetzt und daher nur zu selten bewusst reflektiert und gestaltet. Hierzu definieren wir zentrale Dimensionen und Prozesse von Verantwortung und beschreiben Ansatzpunkte zur Entwicklung einer Verantwortungskultur.
2.1 Das Verantwortungssystem
Die zunehmenden Anforderungen an die Ausrichtung und das Zusammenspiel von Prozessen erfordern heute eine wesentlich intensivere wechselseitige Abstimmung zwischen den handelnden Personen und der Organisation. Die Qualität dieses Zusammenwirkens kann dabei immer weniger allein strukturell durch Zuständigkeiten definiert werden, sondern muss situativ immer wieder neu hergestellt werden. Die dafür notwendigen Klärungen können Verantwortungsdialog genannt werden und finden in einem Verantwortungssystem statt.
2.1.1 Dimensionen im Verantwortungssystem
Wir unterscheiden vier Dimensionen eines Verantwortungssystems
Abb. 4: Vier Dimensionen eines Verantwortungssystems
Im Kern von »Ver-Antwort-ung« steht der Begriff »Antwort«. Verantworten heißt, dass Personen bezogen auf ihre jeweiligen Funktionen
• antworten wollen: Das ist eine Frage der Werteorientierung.
Will jemand die mit einer Funktion verbundene Verantwortung wahrnehmen? Passt die Rolle und die damit verbundene Verantwortung zu seinem Wertempfinden, zu seinen zentralen Gestaltungsinteressen?
• antworten können: Das ist eine Frage der Befähigung durch Qualifikation.
Verfügt eine Person über passende Qualifikationen, um die erforderlichen Antworten geben zu können? Beherrscht sie die Funktion? Versteht sie den Kontext?
• antworten dürfen: Dies ist eine Frage der Befähigung durch Ausstattung.
Ist die Funktion mit für die erwarteten Antworten notwendigen Gestaltungsmitteln ausgestattet? Stehen den Verantwortlichen Befugnisse und erforderliche Ressourcen zur Verfügung? Sind sie durch Mächtige autorisiert und mit geeigneten Machtmitteln ausgestattet?
• antworten müssen: Dies ist eine Frage der Zuständigkeit.
Auf welche Fragen muss der Funktionsträger wem gegenüber Antwort geben? Sind ihm Antworten freigestellt? Bei welchen Mängeln wem gegenüber werden von wem Konsequenzen gezogen?
Antworten wollen und können sind mit der Person verbunden. Identität und Kernkompetenzen der Personen spielen hierbei eine entscheidende Rolle.
Antworten dürfen und müssen beziehen sich hingegen eher auf die Organisation. Die Funktion als Teil der Konstruktion der Organisation (Kernprozesse, Rollen, Verantwortung) muss mit der erforderlichen Ausstattung verbunden sein, und die Organisation muss das Ausfüllen der Zuständigkeit auch einfordern (Führung).