eines Viertels zu steinig bzw. zu kopflastig sein, können Sie diese einfach übergehen, als belanglos, unverständlich oder was auch immer. – Aber unterschätzen Sie nicht Ihren Kopf!
1 Im Jahr 2017 wurden in etwas mehr als der Hälfte der Fälle die Scheidungsanträge von den Frauen gestellt. https://www.familienhandbuch.de/aktuelles/neue/39107/index.php (letzter Zugriff: 16.10.2019)
3 Trügerische Sicherheit und zu Bedenkendes
Bei der eigenen Beziehung sich in Sicherheit zu wiegen, ist so selbstverständlich wie die Annahme, dass nur andere überfahren werden. Überraschend sind Trennungen heutzutage jedoch kaum. Für die im Individualfall jeweils Betroffenen mag das so sein, doch früher oder später wird gut ein Drittel aller Ehen geschieden,2 was Schätzungen nach im Groben ebenso auf die Trennungsrate eheähnlicher Gemeinschaften zutrifft. Der wohl häufig wankende Boden, auf dem sich noch vermeintlich intakte Paarbeziehungen befinden, wird deutlich, wenn man einer Untersuchung Glauben schenkt, wonach nicht gerade wenige parallel zu ihrer Ehe-Partnerschaft die Augen für eine Alternative aufhalten.3 – Das wäre nicht unbedingt überraschend, ginge man mit Thomas Meyer darin überein, dass die Mehrzahl der Paarbeziehungen (er spricht von 80 Prozent) »nichtpassend« sind. (in: Trennt euch! Ein Essay über inkompatible Beziehungen und ihr wohlverdientes Ende4)
Hauptwohnsitz des Zeitgeistes sind augenscheinlich die großen Städte, denn in Ballungszentren liegt die Chance aufs Wohl oder Wehe5 – je nach der Position im zukünftigen Geschehen – bei bis zu fünfzig Prozent.6
Ein unaufhaltsam scheinender Trend. Das ehemalige »Bis dass der Tod euch scheidet« verliert seine Gültigkeit als allgemeine Norm oder auch nur als Regel. Die zuvor der letzten Instanz überlassene Entscheidung ist ihr aus der Hand genommen, sozusagen für ein zweites, drittes oder viertes Leben vor dem Tod.
Wenn man sich den gesellschaftlichen Zwang vergegenwärtigt und das individuelle Leid, das vormals mit der Ächtung von Scheidungen verbunden war, dann ist die Veränderung zweifellos ein Schritt zum Besseren. Die Frage ist, ob sich mit dem Fortschritt neue Normen und Leitbilder einschleichen, die mit den traditionellen Auffassungen gemeinsam haben, dass es sich um breit akzeptierte Selbstverständlichkeiten handelt, die fraglos für richtig und gut gehalten werden. Anders gesagt, ob nicht dabei Bewahrenswertes blind aufgegeben wird.
Näheres dazu findet sich an späterer Stelle (in Kapitel 20), deshalb zurück zum Thema im engeren Sinne.
2 Online-Quelle. Statistisches Bundesamt, nach: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/statistisches-bundesamt-mehr-als-jede-dritteehe-wird-geschieden-a-913849.html (letzter Zugriff: 16.10.2019)
3 Entsprechend einer Studie der Sozialwissenschaftler Kim Marie Lloyd und Scott J. South von1994. Vgl. Sven Hillenkamp (2014): Das Ende der Liebe – Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit. Frankfurt a. M.– Zürich–Wien: Büchergilde Gutenberg, S. 271
4 Thomas Meyer (2018), Zürich: Diogenes, S. 12
5 Seltene Ausnahmefälle dürften die sein, bei denen beide Partner im Grunde kein Interesse mehr an der Fortsetzung der Beziehung haben, bei denen sich die Frage nach Wohl oder Wehe nicht stellt; wo nur eben einer die Initiative ergreift.
6 Online-Quelle: in Ballungszentren bis zur Hälfte. Nach: https://w-h-l.de/familienrecht/scheidung/warum-ein-gerechter-ausgleich-beieiner-trennung-der-beste-weg-ist (letzter Zugriff: 16.10.2019)
4 Einander finden
Beginnen wir von vorne. Jede Tragödie hat einen Anfang, der vom Ende noch nichts ahnen lässt. Am Anfang steht die Partnerwahl, landläufig so genannt, obwohl von einer üblichen Wahl, bei der man sich etwa für diesen oder jenen Urlaubsort oder Job entscheidet, nicht die Rede sein kann. Leute, die sich aufgrund einer gedanklichen Strichliste verlieben, haben vermutlich Seltenheitswert. Vielmehr scheint das Zusammenfinden ein himmlischer Glücksfall zu sein, weniger überirdisch ausgedrückt, die Folge schlichten Hingerissen-Seins, unwiderstehlich, einem Einzelnen der Beteiligten nicht zuzuordnen: »halb zog sie ihn, halb sank er hin«. (Goethe)
Derart Rätselhaftes außer Acht gelassen, bleibt als Wegweiser nur die Intuition, eine Art von Handlungswissen, bei dem Bewusstheit nicht erforderlich ist; mehr noch, bei dem der Kopf das untrügliche Gefühl eher stören würde.
Zweifellos, der Beginn ist ungebrochen ergreifend. Er ließe sich in den wunderschönsten Farben ausmalen, worauf aber verzichtet sei. (Sie werden sich erinnern.) – Kurz und weniger beteiligt ließe er sich beschreiben als Zeit der Euphorie und der Idealisierung des anderen, begleitet von einem bis an Erlösung erinnernden Gefühl der Befreiung von der Last und den Sorgen des Alltags. Und darüber hinaus vielleicht sogar überhaupt vom Ich, das in einem Wir aufgeht. Sich auflösende Grenzen, ein Herz und eine Seele.
Vollkommen planlos scheint Amor jedoch nicht vorzugehen. Vielleicht wird er in der römischen Mythologie nicht umsonst als Halbwüchsiger mit einem Anteil schalkhafter Bosheit7 gesehen. Es scheint, dass das Ergreifende System hat, wenn auch unterm Strich nicht eindeutig. Was der Volksmund sagt, scheint beides zu stimmen: »Gleich und Gleich gesellt sich gern« und ebenso: »Gegensätze ziehen sich an«.
Von Äußerem abgesehen – was schließlich nicht alles ausmacht – sind es oft gemeinsame Interessen, berufliche Überschneidungen und ähnliche Lebens- und Werteinstellungen, die einander näher bringen. Seltener dürfte eine große Ähnlichkeit hinsichtlich des Temperaments und der Persönlichkeit sein. Häufiger ziehen sich hier wohl die Gegensätze an. Es ist, als ob man bewusst oder unbewusst gesucht und schließlich gefunden hätte, was zur eigenen Vervollständigung fehlt. Schlicht, dafür noch anschaulicher, als ob zum Topf der passende Deckel gefunden wäre.
7 Vgl. etwa Wikipedia
5 Ähnlichkeit, Gegensätze und der Sand im Getriebe
Die Volksweisheiten von Gleich und Gleich und den sich anziehenden Gegensätzen finden sich in der Wissenschaft wieder, freilich etwas ausgearbeiteter. Gewissermaßen übersetzt handelt es sich um symmetrische bzw. komplementäre Beziehungen.8 Damit ist die jeweils vorherrschende Art miteinander umzugehen gemeint.
Paul Watzlawick zufolge zielen symmetrische Beziehungen auf die Verminderung von Unterschieden, auf Positionsgleichheit der Beteiligten, wobei es kein fest abgegrenztes Terrain gibt. Dagegen ergänzen sich in einer komplementären Beziehung die Rollen und somit Verhaltensweisen wechselseitig. Man kann auch von Konkurrenzmodell bzw. von Ergänzungsmodell sprechen.
Wie es aussieht, sind das keine schlechten Arrangements, zur Wahl je nach Persönlichkeitstyp. Auf Dauer jedoch sind sie nicht ganz ohne Fallstricke. In Bezug auf mögliche Konflikte lässt sich sagen: Fußt die Ergänzungsvariante geradezu auf den Unterschieden, sind diese beim symmetrischen Modell hingegen Störfaktoren, sozusagen der Sand im Getriebe.
Andererseits führt zunehmende Gleichheit in einer Komplementärbeziehung zu Komplikationen. Wobei für beide Konstellationen gilt: ein bisschen Sand belebt. Er kann aber auch, wenn es zu viel wird, früher oder später zum Totalschaden führen, ökonomisch ausgedrückt: Er kann die jeweilige Geschäftsgrundlage existenziell ins Wanken bringen.
8 Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson (1985): Menschliche Kommunikation. Bern: Hans Huber, S. 68 ff.
6 Augenhöhe sowie rechte und linke Schuhe
Die Unterteilung in Ergänzungs- und Konkurrenzmodell ist freilich idealtypisch gemeint. Bis auf wohl sehr wenige Ausnahmen handelt es sich »im richtigen Leben« um Mischformen. Es geht bei dieser Unterscheidung lediglich um den vorherrschenden Stil in Sachen Kommunikation, um unterschiedliche Modelle der Selbst- und Fremddefinition.
Anschaulich