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Dinge Anlass zur Austragung von Kontroversen bieten. Nach fast endlos streitendem Hin und Her könnte die Auseinandersetzung um des lieben Friedens willen enden mit dem einvernehmlichen Statement: »Na gut, wir sind beide gleich schuld«, mit dem beidseitig allerdings nur gedachten Zusatz: »Aber du ein bisschen mehr«.

      Um die Sache geht es nicht wirklich, sie ist zweit- oder drittrangig, oder wenn nötig an den Haaren herbeigezogen, sondern es geht, an irgendetwas aufgehängt, um Selbstbehauptung, um die Sicherung einer in der Beziehung ebenbürtigen Position. Letztlich – an Orwells »Farm der Tiere«9 erinnernd – um gleichere Gleichheit.

      Das komplementäre Gegenbild wird wohl jeder kennen, Paare mit den Gegensätzen introvertiert vs. extrovertiert, spontan vs. bedacht, rational bzw. emotional, vielleicht auch den cholerischen Haustyrannen und das »Heimchen am Herd«. Und schließlich, man wird es erraten, als Extrem quasi ins Auge springend, der Sadist und der Masochist. Was wäre der eine ohne den anderen?

      Es handelt sich hier in der Wirtschaftssprache ausgedrückt um Komplementärgüter, also solche, die nur zusammen wie linke und rechte Schuhe ihren Zweck erfüllen und deshalb paarweise gekauft bzw. gelebt werden. – Ein Beispiel dafür, dass unterschiedliche Rollen in verschiedenen sozialen Feldern gelebt werden können, wäre der resolute Firmenchef als Pantoffelheld. Zudem kann es innerhalb einer Beziehung verschiedene Bereiche geben, wo jeweils der eine oder eben andere das Sagen hat.

      Wie oben schon angesprochen, ergibt sich ernsthaftes Konfliktpotential für eine symmetrische Beziehung, wenn eine Eskalationsspirale in Gang kommt, bei komplementären Beziehungen dann, wenn jemand die bislang eingenommene und vom Partner zur Selbstdefinition gebrauchte Rolle deutlich zu modifizieren sucht bzw.

      gar aufkündigt. Recht selten dürfte über die Zeit hin ein Rollentausch sein.10

      Es scheint eine verzwickte Angelegenheit zu sein, in Zufriedenheit beider eine Beziehung in Balance zu halten, vergleichbar der Aufgabe eines Seiltänzers, mit ständigem Austarieren. Nur hat dieser ein physikalisch berechenbares Gegenüber, kein eigenwilliges.

      Es wäre vielleicht noch handhabbar, denn Übung macht den Meister. Aber dieser Aspekt beschreibt nur die äußere, die beobachtbare Seite, nicht die innere der Beteiligten. Man kann entsprechender Literatur entnehmen, dass so einfach und durchschaubar ein Seelenleben nicht ist, und ein mögliche Schwierigkeiten noch potenzierendes Beziehungsleben schon gar nicht. Was im letzten Fall noch hinzu kommt, erinnert an Woody Allens Beschreibung der Ehe, sie sei ein Versuch, zu zweit mit Problemen fertig zu werden, die man alleine nicht hätte.

      Ob allein oder zu zweit, viel Unbekanntes ist bzw. viele »Strippenzieher inkognito« sind am Werk. Um Aufklärung und Hilfe bemühen sich zum Beispiel Tiefen- und Verhaltenspsychologen, systemische Ansätze, unzählige Heilpraktiker verschiedener Couleur, Coaches, Lebensberater sowie Esoteriker, Letztgenannte mitunter mit direkter Standleitung ins Jenseits.

      Je nachdem, ob es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz handelt oder um einen Eigenbau, so vieles ist zu berücksichtigen: Projektionen, Übertragungen, ein Ich in der Klemme zwischen Es und Über-Ich, sprachlose innere Kinder, misslungene Kommunikation oder auch die versäumte Versöhnung mit den Ahnen der siebten Generation.11

      Hinzu kommt bei Paaren mit Kindern, dass quasi eine »Dreiecksbeziehung« besteht, die ein erweitertes Konfliktpotential bietet. Bei so vielen Faktoren nimmt es kaum Wunder, dass man leicht den Überblick verlieren kann und dass am Ende kommt, woran man nicht glaubte.

      Das verwickelte wie tiefgründige Seelenleben außer Betracht lassend, vom Oberflächlichen, vom Sichtbaren ausgehend scheint eine paradox klingende Folgerung zuzutreffen. Nämlich, dass in Bezug auf ihre Haltbarkeit ihrem Muster nach stabile Beziehungen instabiler sind, hingegen instabile stabiler. Kurz, dass ein offenes, flexibles Miteinander, pendelnd von hier nach dort, die gelungene Mischung zu sein scheint.

      Beweglichkeit im Sinne von ständigem Ausbalancieren scheint ebenso in Bezug auf die innere Seite, die seelische Nähe der Beteiligten vonnöten. Förderlich scheint es, sich wie Arthur Schopenhauers überwinternde Stachelschweine zu verhalten: Nicht zu nah beieinander, um Verletzungen zu vermeiden, aber wiederum nah genug, um einander zu wärmen.12

      Abgehoben formuliert wirkt das einleuchtend. Doch konkret: wie geht das? Zum Glück ist dies hier nicht das Thema. Wir können uns also wieder dem Totalschaden zuwenden bzw. erst einmal dem Ende des beeindruckenden Anfangs.

      9 George Orwell (2017): Farm der Tiere. Zürich: Diogenes

      10 Ein gleichsam aufgezwungener Rollentausch könnte sich beispielsweise ergeben, wenn ein zuvor dominanter Partner ernsthaft krank wird.

      11 Stefan Limmer (2015): Versöhnung mit den Ahnen: Mit der 7-Generationen-Aufstellung zu ungeahnter Kraft. München: Arkana

      12 Vgl. Online-Quelle: https://gutenberg.spiegel.de/buch/die-stachelschweine-9831/1; (letzter Zugriff: 16.10.2019)

      7 Gleitflug in die Niederungen des Alltags

      Mehr oder minder lange kann die glückliche Zeit anhalten, doch früher oder später geht das Hochgefühl in einen Gleitflug über in Richtung der Niederungen des Alltags. Als gelungen ist wohl anzusehen, wenn von Wolke sieben aus ein Halt auf halber Strecke erreicht wird, wie es ein Popsong formuliert: Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein.13

      Als stabil überdauernde Position wird dies in aller Regel jedoch nicht erreicht. Vielmehr gibt es neben den Höhen vermehrt und zunehmend längere Täler. Die Palette der Gründe reicht von der Entzauberung, der ernüchternden Erkenntnis, dass der andere auch nur ein Mensch ist – mit nicht immer leicht erträglichen Verhaltensweisen, mit Bedürfnissen, Wünschen und Ansichten, die man nicht unbedingt teilt – bis hin (das wäre allerdings schon ein Spätstadium) zur sprichwörtlichen, eben falsch ausgedrückten Zahnpastatube. Zu spät aus der Maschine genommene Wäsche, sich häufende Pfandflaschen oder zuverlässige Unpünktlichkeit tun es allerdings auch.

      Hinzu kommen womöglich übersteigerte Ansprüche an den anderen (vgl. Kapitel 20) und ein gewisses Maß an Unzufriedenheit beider mit sich selbst, die man beim jeweils anderen »ablädt«.

      Erinnert man den Anfang, sind die Themen schon fast entwürdigend bodenständig. Wer macht was oder eben auch nicht im Haushalt? Wohin geht es im nächsten Urlaub? Weshalb ist eigentlich einer für die Bespaßung der Kinder zuständig, und beim anderen liegt die Last der Erziehung? Die Antwort auf die Frage, was ihn dazu bringt, ganz anders als früher, ewig vorm Computer zu sitzen, wo es doch im Fernsehen so viele interessante Kochshows gibt, bleibt unerfindlich.

      Eine Zeit schleicht sich ein, wo allein die Abwesenheit des anderen relative Entspannung bietet. Begleitet von der Hoffnung, es möge wieder anders werden, welche aber bei fast jeder Rückkehr des Partners nach geraumer Zeit in ihrer Berechtigung stark beeinträchtigt wird.

      Auf der einen Seite der beiden besteht vielleicht die Frage: Sind womöglich die Erwartungen zu hoch? Auch so lässt es sich doch schließlich leben, wenn man sich drauf einrichtet, realitätsgerecht eben, das Leben ist nun mal, wie man so sagt, kein Wunschkonzert oder Ponyhof.

      Auf der anderen Seite hingegen verlängern sich stetig die Täler, bis womöglich ein stabiles Null-Niveau erreicht ist, bis der »versprochene Rosengarten«14 sich als komplette Fata Morgana erweist. Manch einer der nun Trennungswilligen hält es dann – vermutlich nach vielen schlaflosen Nächten – mit den Bremer Stadtmusikanten und beschließt, sich auf den Weg zu machen, denn: »Etwas Besseres als den Tod findest du überall.«

      Wirklich überzeugt davon scheinen andere wiederum nicht zu sein. Das heißt, der Beziehung tut die Lage formal keinen Abbruch. Erst wenn etwas in Aussicht steht, was an den Anfang des Entschwundenen erinnert, nur eben in anderer personeller Besetzung, ergibt sich Bewegung. – Vorerst nur einseitig im Stillen und kaum merkbar, denn je nach Schauspielkunst ist alles fast oder haargenau wie immer. Bis die Sache dann doch ihren Lauf nimmt, im Regelfall nach gleicher oder mindestens ähnlicher Dramaturgie, welche im Folgenden geschildert