10. »Systemintelligenz schlägt Personenintelligenz«
Vorwort
»Du musst dein Leben ändern« ist die zentrale Aufforderung vieler psychologischer, philosophischer und spiritueller Lehrer, so auch Peter Sloterdijks (mit seinem gleichnamigen Buch, 2009). Wie geht das und welche Bereiche betrifft das konkret? »Mit sich selbst befreundet sein« empfiehlt Wilhelm Schmid (2007). Aber wie kommt man auf diesem Weg voran und was heißt das für den Einzelnen oder sogar für Organisationen? Einige Grundideen der Transaktionsanalyse sind dabei zurzeit in aller Munde, wie die Vorstellung vom Ich. »Wer bin ich und wenn ja, wie viele?« fragt Robert David Precht (2007) in seinem Beststeller.
Mit dem »Workbook Coaching und Organisationsentwicklung« möchte ich meine beiden methodischen Bücher »Coaching und Selbstcoaching mit Transaktionsanalyse« (2008) und »Systemische Organisationsanalyse« (2006) ergänzen und dem Leser dazu praktische Vorgehensweisen und Anwendungsbeispiele vorschlagen. Man kann das Workbook für Fragestellungen im Coaching, im Training, in der Organisationsentwicklung und auch für sich selbst nutzen. Die Übungen und Charts, die ich hier zusammengetragen habe, wurden in vielen Seminaren, Gruppen und Coachings verwendet und ständig optimiert. Systemische Transaktionsanalyse und systemische Organisationsanalyse sind lebendige Methoden, die Erfahrung, Überprüfung und Entwicklung mitbringen. Daher sollen die Übungen in dem Buch Sie auch dazu inspirieren, die Übungsvorschläge und Ideen im Sinne Ihres eigenen kreativen Ansatzes selbst weiterzuentwickeln.
Die systemische Transaktionsanalyse ist eine ideale Kernmethode für professionelles Arbeiten in Organisationen, weil sie zu den sechs Grundfragen der Professionalität, nämlich Menschenbild, Persönlichkeit, Beziehung, Kontextbezug, Veränderung und Methodik ein gutes Rüstzeug bietet. Gleichzeitig ist sie von ihrem Kern aus hervorragend durch andere methodische Ansätze wie Verhaltenstraining, Einbeziehung unbewusster und tiefenpsychologischer Prozesse sowie auch alle Systemansätze zu ergänzen. Entlang dieser sechs Grundfragen stelle ich im ersten Teil die Übungen und Charts vor.
Der zweite Teil des Buches bezieht sich auf die Konzeption »Systemische Organisationsanalyse«. Mit diesem Ansatz habe ich die gesamte Organisation oder größere Teilbereiche von ihr als »Klient« im Visier. Dieses umfassende Konzept zur Analyse und Veränderungsgestaltung auf Systemebene wurde vielfach zum Einsatz gebracht und die unterschiedlichsten Organisationen wurden damit durchleuchtet. Dies beinhaltet auch einen Fragebogen zu dieser Arbeit.
Ich sehe das Workbook in der guten Tradition der Arbeitsbücher von Rolf Rüttinger und Reinhard Kruppa (1988), Manfred Gührs und Claus Nowak (2003), Dieter Gerhold (2005), Werner Vogelauer (2005), Ute und Heinrich Hagehülsmann (1998) und Jutta Kreyenberg (2004 und 2008), um hier nur einige zu nennen, die wie viele andere die Transaktionsanalyse gerade in der praktischen Dimension sehr bereichert haben. Ein besonderes Werk zur Transaktionsanalyse ist für mich auch hier erwähnenswert, das Lehrbuch von Gudrun Hennig und Georg Pelz (1997).
Gleichzeitig steht der zweite Teil des Workbooks neben dem transaktionsanalytischen Fundament auf dem Hintergrund der systemisch-organisationstheoretischen Ansätze von Peter Senge, Stafford Beer, Niklas Luhmann, Fritz Simon, Gunther Schmidt und Bernd Schmid, ohne die mein Konzept der Systemischen Organisationsanalyse nicht denkbar wäre. Ein Workbook kann auch nicht alles abbilden, aber es ermöglicht praktische Anregungen zu wesentlichen Konzepten. Oder man kann auch kleinere, punktuelle innere Reisen damit machen. Wer mehr über Transaktionsanalyse in Deutschland erfahren will oder einen Transaktionsanalytiker für sich sucht, sei hier schon auf die Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse (www.dgta.de) aufmerksam gemacht.
Allen Lesern und Anwendern wünsche ich eine gute Arbeit.
Günther Mohr, August 2009
Praktisches Lernen und Vorbereitung
Das Workbook stellt praktische Fragerichtungen zu zentralen Themen der systemischen Transaktionsanalyse und der Systemischen Organisationsanalyse dar. Wer in Gruppen mit Übungen arbeitet, sollte seine eigene kreative Vorgehensweise und Ausführung dazu wählen, um möglichst breit alle Wahrnehmungssysteme anzusprechen. Dies bedeutet, visuelle, auditive und kinästethische (körperfühlige) Systeme zu adressieren. Man kann mit Bildern, Worten und Bewegungen, vielleicht sogar mit Klängen arbeiten. Beispielsweise kann man Verhalten in Bildern oder Karikaturen darstellen, man kann Leitsätze oder Denk-Reflexionen dazu anstellen oder man kann sie probeweise in Bewegungen ausführen lassen. Wenn man etwa mit einer größeren Gruppe arbeitet, sind unterschiedliche Genres zu verwenden, damit die Menschen sich einerseits nach eigener Lust zuordnen können und andererseits in der Vielfalt ihren Zugang zu einem Th ema erkennen. Will man etwa unterschiedliche Konfliktstile in einem Unternehmen erforschen, könnte das nebeneinander ein gemaltes Bild, eine vorgetragene Reportage und eine gespielte Szene bedeuten.
Übungen zu Inhalten brauchen immer Vorbereitung. Der Übende muss in eine gute Haltung und Einstellung gebracht werden, sonst fruchtet der beste Inhalt nicht. Mit der Tür ins Haus fallen, empfiehlt sich in den seltensten Fällen. Obwohl die direkte, deutliche Ansprache eines Themas von vielen Rhetoriktrainern gelehrt wird, ist diese »typisch deutsche« Art für viele Menschen in der Welt nicht nachzuvollziehen. Gerade in meiner langjährigen Erfahrung in internationalen Gremien und Gruppen musste ich zu Beginn viel Lehrgeld bezahlen. »Germans are open, direct and rough« (Deutsche sind offen, direkt und rau) war die verhaltene Reaktion vieler Gesprächspartner.
Auch der Hypnotherapeut Bernhard Trenkle rät für den praktischen Einsatz ein ausführliches Hinarbeiten auf Übungen und Interventionen. Man soll zunächst »eine Bühne bauen« (Trenkle 2003). Wer einmal beim Dalai Lama in einem Vortrag war, konnte diese Technik ebenfalls erleben. Der in aller Welt bekannte tibetische Religionsführer und Friedensnobelpreisträger versucht zu Beginn jedes Vortrages ausführlich das Bild von sich zurechtzurücken. Er räumt erst einmal alle positiven Vorurteile aus, etwa er könne heilen, oder er sei in irgendeiner Weise etwas Besonderes. Denn auch positive Vorurteile können durchaus vom Lernen und von der Erkenntnis ablenken.
Zusätzlich macht es Sinn, die unterschiedlichen Aufmerksamkeitsebenen, mit denen Menschen sich auf die Welt beziehen zu berücksichtigen. Dazu können als Orientierung die sechs Bewusstseinsebenen dienen: körperliches, emotionales, rationales, selbstbildbezogenes, mehrgenerationales und nonduales Bewusstsein (Mohr 2009b). Gutes Lernen findet in einer Kombination aller dieser Aufmerksamkeitsebenen statt. Grundlegend zielt transaktionsanalytische Arbeit auf Erkenntnisgewinn und mehr Bewusstheit ab. Transaktionsanalytiker haben nichts dagegen, wenn Symptome von selber oder beiläufig verschwinden, im Gegenteil: Sie freuen sich dann mit ihren Klienten. Leitmotiv der Transaktionsanalyse bleibt aber der sich selbst steuernde Mensch. Dazu ist Erkenntnis und Bewusstheit notwendig. Insofern sind die Übungen auch auf Erkenntnisgewinn gerichtet. Dies ist nicht nur ein Denkprozess, Erkenntnis ist ein ganzheitlicher Prozess aus Einstellung, Fühlen und Verhalten. Weiterhin ist auch das Lernen von Transaktionsanalyse mit einer nichtakademischen Sprache und auch ohne eine erst zu erlernende Fachsprache möglich. Dies macht die folgende Charakterisierung zum Lernen von Verhalten deutlich.
Grafik: Lernen von Verhalten
1. oft kein einfaches richtig oder falsch 2. situations- und wesensgemäß 3. »aus dem eigenen Mist« 4. »keine Sonntagsanzüge« 5. »neues Land gewinnen« 6. braucht Wissen/Erkenntnis 7. ereignisgesteuert oder unbewusst 8. abhängig von innerer Haltung 9. erfordert Offenheit 10. im vertraulichen Rahmen |
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